Optimisten glauben: Trumps narzisstisches Chaos hat System
Der brutale russische Überfall auf die Ukraine, der menschverachtende Umgang Israels mit der Bevölkerung in Gaza, die aussen-, wirtschafts- und finanzpolitische Unberechenbarkeit der Amerikaner, der Egoismus der Bevölkerungsriesen China und Indien sowie die wankelmütige Feigheit der Europäer, sich vom keynesianischen Schlaraffenland zu verabschieden und sich auf das Wesentliche zu konzentrieren – kaum etwas zeigt deutlicher, dass sich die regelbasierte Weltordnung überlebt hat.
Das disruptive Verhalten des amerikanischen Präsidenten Donald Trump stellt den globalen Rahmen mit gemeinsamen Regeln, Normen und Institutionen (etwa die Vereinten Nationen, der Internationalen Währungsfonds oder auch die Weltbank) endgültig infrage.
Zwei wesentlich Mankos killen die regelbasierte Weltordnung
Dieser war nach dem zweiten Weltkrieg als Reaktion auf die Zerstörungen und drohende Instabilitäten konzipiert worden und sollte die politische Zusammenarbeit, die friedliche Beilegung von Streitigkeiten, den wirtschaftlichen Aufschwung und die Werte der liberalen Demokratie fördern. Er hatte nur zwei wesentlich Mankos: Er setzte erstens voraus, dass die viel gescholtenen Amerikaner freiwillig den «Weltpolizisten» spielen und auf eigene Kosten die internationalen Handelsrouten sichern. Zweitens, dass sich die Handelsströme zwischen den verschiedenen Ländern langfristig ausgleichen.
Beides trifft nicht mehr zu. Donald Trump ist zu ersterem nicht länger bereit, weil sich in seinen Augen Handelstheoretiker wie David Ricardo in ihren Elfenbeintürmen geirrt haben. Der Welthandel in der bisherigen Form habe zu riesigen Aussenhandels- und Budgetdefiziten, zu rasant steigenden Staatsschulden in den USA und zur Benachteiligung der amerikanischen Mittelschicht geführt. Die ausgeprägte Neigung der Industriestaaten, der Wirtschaft im Zweifel mit billigem Geld und Staatsausgaben auf Pump auf die Sprünge zu helfen, habe zudem die Preise nach oben getrieben und zur allgemeinen Unzufriedenheit beigetragen.

Trump und seine Entourage werfen vor allem den Europäern vor, die in den vergangenen Jahren angefallenen Handelsüberschuss-, Friedens-, Energie- und Billiggeld-Dividenden auf Kosten der Amerikaner verfrühstückt zu haben. Sie hätten den grössten Teil ihrer hohen Staatseinnahmen und der wachsenden Schulden für alles Mögliche verkonsumiert, statt geopolitische Risiken zu erkennen und genügend in die eigene Verteidigung, in die Diversifikation der Energie- und Rohstoffversorgung sowie in die Modernisierung der Infrastruktur für künftiges Wachstum zu investieren.
Donald Trumps Politik sorgt scheinbar für Chaos
Aus diesem Grund hat er gleich am Anfang seiner zweiten Amtszeit beinahe alles in der Vergangenheit Gewohnte über Bord geworfen und mit prägnanten Ansagen für chaotische Furore gesorgt. Als 47. Präsident der Vereinigten Staaten wollte er den «Ukrainekrieg in einem Tag zu beenden», den «korrupten, bürokratischen Sumpf in Washington austrocknen», enorme Handelsungleichgewichte, Staatsdefizite und Schulden verringern, Steuern senken, den amerikanischen Mittelstand durch Reindustrialisierung wiederbeleben und vor allem auch die geopolitischen Interessen der Amerikaner verstärkt in den Vordergrund rücken.
Hohe Zölle sind in seinen Augen ein Allheilmittel für die Lösung aller strukturellen Probleme der USA. Sie sollen auf dem Rücken der Importeure für hohe Staatseinnahmen sorgen und sie sollen in Verhandlungen mit anderen als Druckmittel und sogar dem Schutz der nationalen Sicherheit dienen.
Die Bilanz ist bisher durchwachsen. Das Morden in den ukrainischen Weiten geht munter weiter, «Putins Fleischwolf» frisst täglich hunderte Menschen. Auch vom Trockenlegen des Sumpfes kann keine Rede sein. Kritiker behaupten, die Trump-Familie schlage hemmungslos Kapital aus ihrer Macht. Beispiele: Ein luxuriöser Boeing-Jet als Geschenk aus Katar, die intransparente Ausgabe von Kryptowährungen zweifelhaften Wertes zur Selbstbereicherung und zur verdeckten Entgegennahme von Bestechungsgeldern sowie dubiose Immobiliengeschäfte in aller Welt.
Ihre Bilanz ist durchwachsen – verstärkt sie die Probleme?
Mit dem OBBBA (One Big Beautiful Bill Act) hat Trump zwar ein Gesetzespaket durch alle Instanzen gebracht, das angeblich das Wirtschaftswachstum beleben soll. In den Augen von Skeptikern ist es aber nur gut für die Unternehmen und die Gutverdiener, und eher schlecht für den Rest. Es sieht dauerhaft niedrige Steuern für gutverdienende Privatpersonen und Unternehmen vor, starke Kürzungen bei Sozialleistungen, erhöhte Ausgaben für Verteidigung und Grenzschutz, die Rücknahme zahlreicher Klima- und Umweltanreize sowie eine Kombination aus neuen Gebühren und Steuern vor.
Die Budgetwächter vom überparteilichen Congressional Budget Office fürchten, das Gesetz werde das amerikanische Defizit bis 2034 markant erhöhen und etwa 11 Millionen Menschen ihren Krankenversicherungsschutz kosten. Hätten sie recht, würde Trump auch das Ziel verfehlen, die Defizite zu verringern. Und das, nachdem schon «Sparkommissar» Elon Musk mit dem Department of Government Efficiency grandios gescheitert ist. Er wollte die Staatsausgaben um ein, zwei Billionen Dollar senken, herausgekommen sind ein paar Milliarden. Mittlerweile ist er von der politischen Bildfläche in Washington verschwunden.

Inzwischen verdichten sich Hinweise darauf, dass die Trumpsche «Zollkeule», die radikale Abschiebung angeblich illegaler Immigranten in grossem Stil, die Spannungen wegen der innenpolitischen Spaltung des Landes, die zunehmende Gängelung der Notenbank (Trump drängt trotz drei Prozent Inflation auf tiefere Zinsen, um die enorme Staatsschuld günstiger zu machen), die Verunsicherung der Handelspartner und weitere Faktoren das amerikanische Wirtschaftswachstum belasten. Das würde das Chaos verstärken.
Allerdings sind nicht alle so skeptisch. Beobachter wie der ehemalige Hedge-Fund-Manager Michael Kao wollen eine konsistente Strategie ausmachen. Kao betrachtet die Zolloffensive nicht als Handelspolitik, sondern als wirtschaftspolitisches Manöver – ein bewusstes Instrument, um China zu isolieren und um konzessionsorientierte Investitionsabkommen zu erreichen. Trump trete in der Öffentlichkeit bewusst narzisstisch und unberechenbar auf, um etwa vorteilhafte Verträge mit Grossbritannien, Vietnam, Japan oder auch der EU möglich zu machen.
Ist das Chaos Teil einer übergeordneten Strategie?
Ein strategisches Konzept also, statt willkürlicher Theatralik. Was wie Chaos daherkomme, sei in Wirklichkeit staatspolitisches Handwerk. Zölle seien mehr als Handelsbarrieren, weil sie sowohl als Einnahmequelle als auch als diplomatische Druckmittel dienten. Sie verwandelten sich im Rahmen der «wirtschaftspolitischen Staatskunst» in aussenpolitische Werkzeuge. Der Zugang zu den amerikanischen Konsumenten diene als Hebel, um globale Lieferketten und Allianzen neu zu gestalten.
Die Fachleute der niederländischen Rabobank sehen das ähnlich. Auch sie glauben an eine übergeordnete Strategie, in der die aussenpolitischen, die militärischen und die wirtschaftlichen Stränge der amerikanischen Staatskunst zusammenkämen. Nur die Umsetzung erscheine chaotisch, weil man andere absichtlich destabilisieren wolle – und weil sich sonst die erwünschten Veränderungen nicht schnell und radikal genug umsetzen liessen.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
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