Syriens Captagon-Schmuggel blüht weiter
Aufputschmittel gehören zum Krieg wie Waffen und Munition. Im Zweiten Weltkrieg zogen deutsche Soldaten mit Hilfe von Pervitin ins Feld. Im Syrienkrieg war es Captagon, das Kämpfer aller Kriegsparteien wachhielt. Seine Verbreitung im Nahen und Mittleren Osten brachte ihm die Bezeichnung «Dschihad-Droge» ein.
Die Assad-Familie finanzierte sich und das mit Sanktionen belegte Syrien über lange Zeit mit dem Handel von Captagon. Das Aufputschmittel brachte ungefähr 10 Milliarden Dollar pro Jahr ein – mehr Geld als jeder andere Wirtschaftszweig. Koordiniert wurden Herstellung und Handel von Baschar al-Assads Bruder Maher.
In Syrien weiter überall zu bekommen
Syriens neue Machthaber, die HTS (Haiat Tahrir al-Scham), kündigten an, mit aller Härte gegen Produktion und Schmuggel vorzugehen. Bereits im Dezember 2024, kurz nach Assads Sturz, verbrannte die HTS in Damaskus mehr als eine Million Captagon-Pillen. Sie beschlagnahmte die weissen Tabletten in Laboren und Lagerhallen in ganz Syrien.
Dennoch sei Captagon weiterhin überall zu bekommen, berichtet «Forbidden Stories» aus Syrien. In den Grenzregionen Daraa und Suweida an der jordanischen Grenze gehe der Schmuggel weiter. Die drusische Stadt Suweida liegt etwa 100 Kilometer von Damaskus entfernt. Wer als Journalist:in über Captagon berichtet, muss nach wie vor mit dem Schlimmsten rechnen.
Wer darüber berichtet, muss mit dem Schlimmsten rechnen
Wie Mahmoud al-Harbi, der im November 2023 erschossen wurde. Al-Harbi hatte für «Daraa 24» über die Verwicklungen einer lokalen Familie in den Captagon-Schmuggel berichtet. Keiner seiner ehemaligen Kollegen von «Daraa 24» veröffentlicht unter seinem eigenen Namen. Selbst den Chefredaktor trifft «Forbidden Stories», an das al-Harbi seine Recherchen weitergegeben hatte, nur unter Pseudonym.
«Der Captagonhandel ist dreimal grösser als die mexikanischen Kartelle», sagt «Mikad». Recherchen dazu seien für syrische Journalistinnen und Journalisten weiterhin tabu. Mahmoud Al-Harbis Mörder wurde zwar festgenommen und verurteilt, war nach wenigen Monaten aber bereits wieder frei. Medienschaffende, die für andere syrische Medien arbeiten, sagen, dass sie das Thema aus Angst vor Konsequenzen meiden.
«Vor dem Fall des Regimes musste ich für Captagon zehn Meter laufen. Jetzt sind es 20.»
Anonymer Drogendealer
Die Reporterinnen und Reporter von «Forbidden Stories» haben im Januar 2025 keine Probleme, Captagon-Pillen in einer Art Tankstellenshop in Suweida zu kaufen. Es habe sich nichts geändert, sagt der Verkäufer: «Vor dem Fall des Regimes musste ich für Captagon zehn Meter laufen. Jetzt sind es 20.» Auch in einem Café in Damaskus wird ihnen das Aufputschmittel angeboten.
Für die HTS ist Captagon «haram», also aus religiösen Gründen verboten. Das störte allerdings nicht einmal die Kämpfer des sogenannten Islamischen Staats.
Die alten Netzwerke bestehen weiter
Die von der HTS Ende Dezember in Damaskus verbrannten Captagon-Pillen sind ein Bruchteil dessen, was im Nahen und Mittleren Osten konsumiert wird. Gegen Captagon vorzugehen ist deshalb gar nicht so einfach. Illegale Drogen schaffen ihr eigenes Wirtschaftsgefüge. Längst haben sich Netzwerke in der Herstellung und im Schmuggel von Captagon etabliert, die weit über Syriens Grenzen hinausreichen.

Neben der Assad-Regierung stellte auch die Opposition Captagon her und verkaufte es. Die Pillen mit dem Doppel-C-Logo werden weltweit gehandelt. Konsumiert werden sie vor allem im Nahen und Mittleren Osten. Captagon wirkt euphorisierend, aufputschend und dämpft das Hungergefühl. Es gilt nicht nur als Kriegsdroge, sondern auch als Kokain der kleinen Leute. Der Preis für regelmässige Konsumentinnen und Konsumenten sind Depressionen und Halluzinationen.
Im Lifestyle-Bereich angekommen
Der grösste Markt für Captagon ist Saudi-Arabien. Dort ist mit dem in den 1960er-Jahren vom deutschen Unternehmen Degussa erfundenen Wirkstoff Fenetyllin dasselbe passiert wie mit Pervitin: Nach dem Zweiten Weltkrieg machte die einstige «Panzerschokolade» erst als Dopingmittel und dann als Crystal Meth Karriere. Auch Captagon wurde zur Lifestyle-Droge.
Eine Captagon-Tablette kostet in den Golfstaaten etwa 20 Dollar. In Syrien sind es etwa 70 Cent – so viel wie ein Päckchen Zigaretten, fanden die Reporter:innen von «Forbidden Stories» heraus. In den vergangenen Jahren habe die saudische Regierung 600 Millionen Amphetaminpillen beschlagnahmt, schrieb die «Taz» schon 2022.
Produziert wird Captagon auch im Libanon unter der Regie der Hisbollah. 2023 wurden im Gazastreifen Captagon-Pillen beschlagnahmt. Nach unbestätigten Meldungen sollen sie nach dem Hamas-Angriff auf Israel am 7. Oktober 2023 bei den Attentätern gefunden worden sein. Im März 2025 stellten irakische Behörden mehr als eine Tonne Captagon sicher, das aus der Türkei geschmuggelt worden war.
Drogen sind ein Sicherheitsrisiko – auch für einen Narco-Staat
Für die jetzigen Zustände sorgte zum Teil ausgerechnet Assad selbst. Drogen sind ein Sicherheitsrisiko. Wer sie herstellt und vertreibt, hat Geld und Macht. Jede Regierung, die das duldet oder nutzt, riskiert, die Kontrolle zu verlieren. Im letzten Jahr seiner Herrschaft zeigte das Assad-Regime deutlich mehr Härte gegen den Captagon-Handel. Kontrollen und Verhaftungen nahmen 2024 merklich zu, vermutlich als Reaktion auf Druck aus anderen arabischen Ländern, in denen die Droge zum Problem wurde.
In Folge wurden die Labors kleiner und mobiler. So könnten sie jetzt besser überleben, erklärte Carolin Rose, Leiterin des Bereichs «Verbrechen und Konflikte» beim New Lines Institute, gegenüber der «Deutschen Welle» (DW). Der US-Think-Tank verfolgt den Captagonhandel seit mehr als zehn Jahren.
«Altes» und «neues» Captagon
Bei vielen aktuellen Beschlagnahmungen handelt es sich um «altes» Captagon. In Syrien wird aber weiterhin produziert, das geht aus einem im März veröffentlichten Bericht hervor. Die HTS habe zwar guten Willen, aber gar nicht die Mittel, den Handel zu unterbinden. Es fehle an Personal, Überwachungstechnik, Zeit.
Und an Macht. Syriens neue Regierung bemüht sich, das Land zu stabilisieren. Lokale Machthaber vor den Kopf zu stossen, weil sie in den Captagonhandel verstrickt sind, kann sie sich kaum leisten. Milizen, die sich zur neuen Regierung bekannt haben, seien oft selbst verwickelt. In Suweida gingen sie nicht gegen die Droge an sich, sondern gegen die Dealer-Konkurrenz vor, sagt ein Einwohner zu «Forbidden Stories».
Und ein Volk in Armut ist anfällig für illegale Geschäfte. Falls es Syrien und Libanon nicht gelinge, ihre Länder in eine stabile Wirtschaft zu überführen, dann sei der derzeitige Produktionsrückgang nur ein Knick, sagt Hage Ali, stellvertretender Direktor am Carnegie Middle East Center, ebenfalls zur DW. Langfristig könne das gravierende Auswirkungen haben.
Der Captagon-Schmuggel hat sich 2024 noch ausgeweitet
Der Handel habe sich auf den Irak, die Türkei, Deutschland, Ägypten oder auch Kuwait ausgeweitet, sagt Rose. Gruppierungen ausserhalb Syriens wie die Hisbollah hätten an Einfluss gewonnen. Ausgangsstoffe für Captagon kämen auch vom Iran in den Irak und würden dort verarbeitet oder weitertransportiert.
Vor allem in den Grenzregionen ist die Lage schwierig. «Forbidden Stories» kann mit lokaler Hilfe Personen treffen, die am Captagon-Schmuggel beteiligt sind, aber kaum frei recherchieren. Der Lokaljournalist, der die Reporter herumführt, warnt jede Person, die mit Captagon zu tun hat, ihr Gesicht zu bedecken, um auf Fotos nicht erkannt zu werden. Die lokalen Clans tolerieren den Schmuggel und kennen die betreffenden Personen, auch wenn sie ihr Tun nicht immer gutheissen, berichten die Reporter.
Europäische Länder fürchten, zur Drehscheibe zu werden
Vor allem Saudi-Arabien hat Interesse daran, Herstellung und Handel einzudämmen. Das Aufputschmittel ist im Land jedoch weit verbreitet. Behandlungsmöglichkeiten für Süchtige gibt es im gesamten Nahen und Mittleren Osten kaum.
Und Captagon ist eine lohnende Ware. Die Herstellung von hundert Kilogramm Captagon kostet etwa 50’000 Euro, der Verkauf bringt Millionen. Nach dem Ende des Syrienkriegs befürchteten europäische Staaten, zur neuen Captagon-Drehscheibe zu werden. Wie weit sich Captagon bereits in Europa verbreitet hat, ist unklar. Deutschland sorgt sich schon länger, das zeigt ein Bericht der Europäischen Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht von 2023.
Laut «Tagesschau» wurden dort bis Oktober 2024 etwa 1,2 Tonnen Captagon sichergestellt. Das Dunkelfeld sei jedoch extrem gross, berichtete ein Beamter des Bundeskriminalamts. Schätzungsweise 90 Prozent des Markts gehe an den Behörden vorbei. In Europa werde hauptsächlich in den Niederlanden produziert. Aber auch im deutschen Regensburg wurde 2023 eine Produktionsstätte ausgehoben. Wie umfangreich der Konsum in Deutschland oder Europa ist, ist nicht bekannt.
Assads Erben stehen noch nicht fest
Wer das Assad-Regime als Captagon-Produzent beerbt, ist ebenfalls offen. Zu den potenziellen Interessenten gehöre neben der Hisbollah auch die Gruppe Wagner, die sich in der Vergangenheit am Schmuggel beteiligt haben soll, schreibt die Taz. Nordkorea, das Crystal Meth produziert, könnte in den Captagonhandel einsteigen. Hinweise, dass das Land am Schmuggel teilnimmt, gibt es bereits: 2004 wurden Mitarbeitende der nordkoreanischen Botschaft in Bulgarien mit 500’000 Captagon-Tabletten erwischt.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
_____________________
➔ Solche Artikel sind nur dank Ihren SPENDEN möglich. Spenden an unsere Stiftung können Sie bei den Steuern abziehen.
Mit Twint oder Bank-App auch gleich hier:
_____________________
Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.
“Personen” (fehlt da jetzt nicht etwas?)
“Journalist:in”
“Journalistinnen und Journalisten”
Ginge es bitte noch etwas komplizierter? Es soll ja noch mehr Geschlechter geben. Die Hautfarbe und Nationalität könnte man ja auch noch erwähnen. Nur so als Vorschlag.
Mich würde wirklich sehr interessieren, für wie viele Frauen sich die Lebensumstände dank des Gendern merklich verbessert haben. Sind es weltweit 0,5% oder noch weniger? Als Vergleich, bei einem bedingungslosen Grundeinkommen wären es wahrscheinlich 80-90%.
Kurze Zusatzinfo. Ich will mit meiner Kritik an Gendern weder die Autorin noch Infosperber angreifen, denn sie sind für die Einführung dieser Regeln schließlich nicht verantwortlich. Mir geht es um prinzipielle Punkte, wie zum Beispiel:
– Das Lesen ist umständlicher, das in einer Zeit mit Informationsüberfluss, in der immer weniger Menschen längere Texte lesen. Diesbezüglich finde ich das Gendern völlig kontraproduktiv.
– Ich kann mir nicht vorstellen, dass das Gendern die Lebensumstände des Großteil der Frauen auch nur geringfügig verbessert.
– Man könnte auch einwenden, dass Gendern andere Gruppen diskriminiert, und seien es nur die, die das Gendern als eine Verschandelung der Sprache empfinden. Um tatsächlich niemanden zu diskriminieren, müsste dann jeder Text in verschiedenen Sprachversionen zur Verfügung gestellt werden.
Danke und mit freundlichen Grüßen,
Karl Heinz P.
Hört sich für mich alles sehr konstruiert an. Überall in Konfliktzonen in der, der Westen seine Finger im Spiel hat, tauchen Drogen auf. 20 Jahre lang hat die NATO verkündet, es könne nichts gegen den Opium Anbau in Afghanistan tun. Die Taliban hat nach einem Jahr (!), 95% der Opium Anbaufläche umgenutzt. Die Angaben stammen vom Massachusetts Institute of Technology. Also, die jetzige Syrische Regierung sind alle ex-Al Kaida Terroristen aus Saudi-Arabien, die Drogen stammen aus Saudi-Arabien und die Schuldigen sind die Assads? Syrien war vor 2011 unter Assad nicht gerade für Drogen bekannt. Ich kenne Schweizer die haben damals in Damaskus studiert. Wer sehen möchte, woher die Drogenprobleme wirklich stammen, muss bloss nach Skid Row, Los Angeles, USA. Auf diese Bilder kann sich niemand vorbereiten.