Kommentar

Seitenblick auf die NZZ

Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des AutorsDer parteilose Jurist und Anwalt Peter Studer war von 1978 bis 1987 Chefredaktor des «Tages-Anzeiger». Von ©

Peter Studer /  So etwas gab es in der 195-jährigen Geschichte der NZZ noch nie.

Die Absetzung des «NZZ»-Chefredaktor Markus Spillmann durch den Verwaltungsrat der «NZZ» und die knapp verhinderte Einsetzung des Chefredaktor und Verlegers der «Basler Zeitung», Markus Somm – bekennender Blocher-Bewunderer und SVP-naher Freisinniger – ist ein «unerhörtes Ereignis». Goethe hat das als Kern einer Novelle bezeichnet.
Zu wenig rechts von der Mitte?

Darf ich mir dazu einen teils kritischen, teils bedauernden, teils angstvollen Seitenblick erlauben? Nur bedingt, denn ich habe 25 Jahre beim «Tages-Anzeiger» gewirkt und in der «NZZ» später bloss einige Gastartikel publiziert. Aber ich lese seit Jahrzehnten beide Blätter ausgiebig beim Frühstück, wobei Papier raschelt und meine Frau und ich kommentierende Bemerkungen austauschen.

Ich schätze mich glücklich, am Rand einer Stadt zu wohnen, die zwei solche Blätter nährt. Sie haben sich zwar einander angenähert, aber wetteifern doch auf beträchtlichem Niveau miteinander. Und lassen je ein eigenes Profil erkennen.

In meiner TA-Zeit (1978-1988) hiess einer der Referat-Titel, mit denen ich bei Service-Clubs und Generalversammlungen tingelte: «Wie links ist der Tages-Anzeiger»? Meine Schlusspointe: Der «Tages-Anzeiger» sei um Haaresbreite links der Mitte, die «NZZ» um Haaresbreite rechts der Mitte angesiedelt – und man trug die Haare lang. Die Haare sind heute – um im Bild zu bleiben – bei der «NZZ» etwas kürzer geworden, und das scheint den angeblich einstimmigen Verwaltungsrat mit zur Absetzung von Kollege Spillmann bewogen zu haben.

Von Jornod als Genie gelobt
Nun scheint Spillmann, der als publizistischer Leiter in der Konzernleitung – mithin auch für «Neue Luzerner Zeitung», «St. Galler Tagblatt» und Fernsehfenster teilzuständig – offenbar so stark belastet, dass er nach dem Urteil von Kollegen in der «NZZ» nur noch selten in der Redaktion auftauchte. Aber dazu hat sich der Verwaltungspräsident Jornod ja in einem Abschiedsartikel am Tag nach der Entlassung geäussert: Man habe Spillmann eine Entlastung im Führungsbereich vorgeschlagen und nur in Einzelheiten nicht zueinander gefunden. (Jornods Artikel lobte Spillmann so begeistert, dass meine Frau mich fragte, weshalb man so ein Genie denn entlasse.)

Zwar schien das Tempo notwendiger Schritte in das Digitalzeitalter – verglichen mit den Portalerfindungen von Tamedia, Ringier und Swisscom – langsam. Deutlich langsamer, als nach dem Einbruch an der Zeitungsinseratfront notwendig war. Aber dafür wäre doch wohl in erster Linie der mit Wirtschaftskoryphäen bestückte Verwaltungsrat zuständig.

Perlen im Angebot
Spillmann in der «NZZ» zu wenig präsent? Immerhin hat er – fast gleichzeitig mit dem «Tages-Anzeiger» – vor einigen Jahren eine Zeitungsrenovation gestemmt, die der «NZZ» einen frischeren, bildbetonteren und leserfreundlicheren Auftritt verpasste. Das erhob die «NZZ» zur «Beauty Queen» unter den wichtigeren europäischen Zeitungen. Die täglichen Hintergrundseiten mit Eigenkommentaren und Gastartikeln verstärkten die Abgrenzung vom Kurzfutter der Gratisanzeiger.

Umfänge und Personalbestände mussten angesichts erstmals roter Bilanzzahlen gekürzt werden. Aber gleichzeitig holte Spillmann einige Topguns aus scheiternden Medienhäusern an Bord. Und einige Perlen im Angebot – so die hierzulande einmalige wöchentliche Medienseite, die drei täglichen Kurzkommentare auf der zweiten Wirtschaftsseite (REFLEXE) wie auch die Kunst- und Kunsthandelsrezensionen im Kulturteil – blieben unbeschädigt. Offener als früher, nicht mehr im Mief des Kalten Kriegs befangen, der Auslandteil. Anderseits, so grau und lieblos wie eh und je: Die tägliche Radio- und Fernsehseite. Aber Verbesserungsbedarf gibt es an jeder Qualitätszeitung. Publizistisch ist die NZZ nach meiner Lesermeinung jedoch gut unterwegs.

Freisinn und Unfreisinn
Völlig unverständlich ist für mich, in jungen Jahren aktiver Innerschweizer Freisinniger (wir tauften uns damals in «Liberale» um), die grelle ideologische Färbung der Absetzung und versuchten Neubesetzung an der «NZZ»-Spitze. Markus Somm, ein brillanter Schreiber, der früher als junges Mitglied im Redaktionsstab des «Tages-Anzeigers» als linker Eiferer aufgefallen war und sich unlängst an der «Basler Zeitung» als «Blochers Statthalter» empfohlen hatte – auch mit der Aussage, die SVP sei eigentlich die bessere FdP – gaht’s no? Und das seitens eines zuletzt einstimmigen neunköpfigen Verwaltungsrats? Widerstand innerhalb der «NZZ»-Redaktionen und im Zentrum des Schweizer Freisinns brandete sofort auf.

Der amerikanische Historiker Gordon A. Craig, der 1988 ein brillantes Buch über «Geld und Geist – Zürich im Zeitalter des Liberalismus 1830-69» geschrieben hatte, erinnerte an ein Zitat von Gottfried Keller: «Wer freisinnig ist, traut sich und der Welt etwas Gutes zu…, während der Unfreisinn oder Konservatismus auf Zaghaftigkeit und Beschränktheit gegründet ist.» Die «NZZ» wird in ihren Statuten und hoffentlich mit ihren führenden Köpfen weiterhin einem solchen offenen Freisinn verpflichtet bleiben. Um Haaresbreite oder auch noch etwas weiter rechts der Mitte.

Dieser Beitrag erschien im Journal21.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Der parteilose Jurist und Anwalt Peter Studer war von 1978 bis 1987 Chefredaktor des «Tages-Anzeiger». Von 1989 bis 1999 leitete Studer die Abteilungen Information und Kultur des Schweizer Fernsehens. Heute publiziert er über Medienrecht und Medienethik.

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3 Meinungen

  • am 25.12.2014 um 12:13 Uhr
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    Wer meint, den offenen Freisinn verteidigen zu müssen, indem er anderen politischen Ansichten den Ausdruck verwehrt, hat eben diese Offenheit und Freiheit gerade selbst zu Grabe getragen.
    Studer äusserte sich zwar schon seit jeher sehr parteinehmend (parteiisch), wenn er von Offenheit und liberalem Geist sprach – worin eine Beschränktheit und Überheblichkeit zum Ausdruck kommt, die mich bei ihm schon immer nervte. Doch dass nicht nur Parteien richtige oder falsche Haltungen vertreten, sondern auch Medien und wie diese gefärbt sein müssen, damit sie in Studers eng beschränkte Auffassung von offen und liberal passen, genau das hat er hier erfreulicherweise offiziell gemacht.

  • am 29.12.2014 um 15:28 Uhr
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    @ Eisenring: Die NZZ ist nach meiner Meinung mehr als eine Haaresbreite rechts der Mitte. Wieviel mehr hätte sie nach rechts rücken sollen? Um Autobahnbreite bis an die Leitplanke? Studer hat zu Recht die geplante Einseitigkeit kritisiert. Ich sehe da keine eng beschränkte Auffassung. Aber vielleicht verstehen Sie unter Offenheit etwas anderes als er.

  • am 29.12.2014 um 18:22 Uhr
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    Herr Schmid, kommt halt sehr darauf an, wie man Rechts (oder Links) definiert – und ob damit auch noch eine Wertung verbunden ist (Moral, Zeitgeist, Menschlichkeit, etc.).
    Genau dieser oftmals moralinschwangere Unterton, welche Motive, Haltung, Entwicklung, etc. nicht (mehr) opportun oder gar «schlecht» sein sollen, gefällt mir überhaupt nicht bei den meisten Medien, besonders auch bei der NZZ.
    Die sich aus dieser voreingenommenen, engen Sichtweise heraus ergebenden Berichterstattungen sind leider zu oft Beispiele dafür, dass die NZZ nicht fähig ist, Themen tiefgehender und umfassender – speziell auf der sachlichen Ebene – beleuchten zu können.

    Beispielsweise las ich nie einen Artikel in der NZZ, der die Vor- UND Nachteile der PFZ ausleuchtete. Denn aus redaktioneller NZZ-Sicht kann und darf nichts wirklich substanziell kritisiert werden, was die EU geboren hat, besonders nicht ihre grundlegendsten Dogmen, wie eben beispielsweise die PFZ.
    Doch die Auswirkungen der PFZ lobt die NZZ ausnahmslos als extrem positiv und daher als unverzichtbar – und das sieht sie nicht nur für die CH so, sondern generell für die EU. Dass die NZZ die Dogmen und Beschlüsse der EU selten und kaum je substanziell hinterfragt und kritisiert, zeugt nicht nur von einer sehr beschränkten Sicht- und Darstellungsweise, sondern sie legt damit glücklicherweise gleichzeitig auch ihre politische Ausrichtung und ihre Abhängigkeiten offen.

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