Addax_Bioenergy_Sierra_Leone

Die Genfer Firma Addax Bioenergy produziert Agrotreibstoffe im westafrikanischen Sierra Leone © farmlandgrab.org

Schweizer Öko-Zertifikat für das «Land Grabbing»

Kurt Marti /  Obwohl in Sierra Leone viele Menschen hungern, baut dort die Genfer Firma Addax Agrotreibstoffe an. Mit Schweizer Öko-Zertifikat!

Die Genfer Firma Addax Bioenergy hat im westafrikanischen Land Sierra Leone 57 000 ha Land (Fläche des Genfer Sees) gepachtet und baut darauf Zuckerrohr für die Produktion von Agrotreibstoffen (Bioethanol) an, welche auch für den Export nach Europa bestimmt sind. VR-Präsident der Addax & Oryx Group, zu welcher die Addax Bioenergy gehört, ist der Genfer Rohstoffhändler, Kunstmäzen und Milliardär Jean Claude Gandur.

Sierra Leone ist eines der ärmsten Länder der Welt. Rund ein Drittel der Menschen ist unterernährt. 20 Prozent der verfügbaren Agrarflächen wurden schon von ausländischen Unternehmen gepachtet oder gekauft. Die Plattform Agrotreibstoffe prangert das sogenannte «Land Grabbing» (Land-Raffen) seit Jahren an, weil dadurch den lokalen Landwirten der Boden für die Nahrungsmittelproduktion entzogen wird. Die Plattform Agrotreibstoffe ist ein Zusammenschluss von Schweizer Nichtregierungsorganisationen (siehe Links unten), die sich gegen das Land-Grabbing einsetzen.

Audit-Firma lobt das Projekt in höchsten Tönen

Ende Februar wurde das Agrotreibstoff-Projekt der Addax Bioenergy in Sierra Leone vom «Runden Tisch für nachhaltige Biotreibstoffe» (Roundtable on Sustainable Biofuels RSB) als erstes Projekt in Afrika zertifiziert. Dazu Peter Ryus, CEO der RSB Services Foundation, welche für den RSB die Zertifizierung vornimmt: «Addax Bioenergy ist zu einem Modell für nachhaltige Projekte in Afrika geworden». Das Audit wurde von der «DNV Business Assurance» durchgeführt, deren Mitarbeiterin Elisabeth Bröms Sterner das Addax-Projekt in höchsten Tönen lobt. Dieses entspreche dem RSB-Standard «nicht nur in Bezug auf die Umwelt», sondern das Projekt arbeite auch «aktiv mit der lokalen Bevölkerung zusammen», um die sozialen Aspekte «verantwortungsvoll» anzugehen.

«Bestürzt über die Zertifizierung» des Addax-Projektes

Ganz anders sieht das die Plattform Agrotreibstoffe. Sie ist «bestürzt über die Zertifizierung des Genfer Unternehmens Addax Bioenergy durch den ‘Runden Tisch für nachhaltige Biotreibstoffe‘ (RSB)». Obwohl der Anbau von Bioethanol durch Addax «die lokale Ernährungssicherung gefährdet», erhalte das Projekt das erste «Nachhaltigkeitssiegel» in Afrika. Laut Plattform berücksichtigt das RSB-Zertifikat «lediglich den Ausstoss von Treibhausgasen». Andere Umweltaspekte wie «die Wassernutzung und -verschmutzung sowie Luft und Bodenverschmutzung und -verschwendung» würden ausgeblendet, obwohl der RSB im Vorfeld «über die kritische Situation informiert wurde».

Zudem zeige die Zertifizierung von Addax, dass der RSB den Begriff der Nachhaltigkeit «äusserst eng fasst», indem er «lediglich ökologische Aspekte berücksichtigt». Die beiden anderen, bedeutenden Pfeiler der Nachhaltigkeit – soziale Gerechtigkeit und langfristige wirtschaftliche Rentabilität für alle Stakeholder – werden laut Plattform «vollkommen ausgeklammert». In diesem Zusammenhang von Nachhaltigkeit zu sprechen, sei «zynisch» und zeuge «von sträflicher Ignoranz der effektiven Situation». Die Plattform stützt ihre Kritik unter anderem auf das Sierra Leonische Netzwerk für das Recht auf Nahrung (SILNORF), welches die Tätigkeiten der Addax in Sierra Leone seit 2010 beobachtet (siehe Link unten).

«Bundesämter legitimieren Land Grabbing»

Laut Tina Goethe, Koordinatorin der Plattform Agrotreibstoffe und Landwirtschaftsexpertin bei Swissaid, bestätigt die Zertifizierung «eines so offensichtlich fragwürdigen Projekts alle Zweifel an den Nachhaltigkeitskriterien des RSB». Miges Baumann vom Hilfswerk «Brot für alle», das ebenfalls Mitglied der Plattform Agrotreibstoffe ist, bezeichnet es zudem als «stossend, dass das Bundesamt für Energie, das Bundesamt für Umwelt und AlcoSuisse, ein Profitcenter der Eidgenössischen Alkoholverwaltung, als Mitglieder des RSB figurieren. Damit unterlaufen sie den sonst umfassenden Anspruch der Schweiz an die Nachhaltigkeit und legitimieren Land Grabbing».

Tatsächlich sind das Bundesamt für Energie (BFE) und das Bundesamt für Umwelt (BAFU) sowie das Profitcenter der Eidgenössischen Alkoholverwaltung Mitglieder des RSB. Der Jahresbeitrag beträgt 2 000 US-Dollar. Unterstützt wird der RSB auch vom Staatssekretariat für Wirtschaft (seco). Gegründet wurde der RSB im Jahr 2008. Seither führt das Energy Center der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Lausanne (EPFL) die Geschäftsstelle. Hans Björn Püttgen, der Direktor des Energy Centers, sitzt auch im Vorstand der RSB Services Foundation, welche für die Zertifizierung zuständig ist.

Auch der WWF International und das WEF sind dabei

Zudem gehören dem RSB insgesamt 48 internationale Grossunternehmen an, beispielsweise BP, Petrobras, Shell, Bunge, Airbus, Boeing, Swiss und auch die Addax Bioenergy. Und selbstverständlich dürfen an solchen runden Tischen das Weltwirtschaftsforum (WEF) und der World Wild Fund for Nature (WWF) nicht fehlen.

Laut Corina Gyssler, Mediensprecherin des WWF Schweiz, ist der WWF Schweiz «selber nicht aktiv am RSB beteiligt». Es ist nämlich der WWF International, der einmal mehr an einem runden Tisch Platz genommen hat. Anlässlich der RSB-Gründung führte Claude Martin, der ehemalige Generaldirektor des WWF International, den Vorsitz.

Obwohl die Addax Bioenergy die Vorwürfe der Plattform Agrotreibstoffe zurückweist, hat sie sich nicht öffentlich dazu geäussert, wie deren Mediensprecher gegenüber Infosperber erklärt. Hingegen hat Leonardo B. Rosario, Vorstandsmitglied der RSB Services Foundation, Mitte März in der Genfer Wirtschaftszeitung «L’Agefi» zur Kritik der Plattform Agrotreibstoffe Stellung genommen. Laut Rosario gilt die RSB-Norm als «eine der strengsten auf der Welt» und garantiert, dass die zertifizierten Agrotreibstoffe «wirtschaftlich, ökologisch und sozial verantwortlich» produziert werden.

BAFU gegen «jegliche Form von Land Grabbing»

Christoph Rotzetter, wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Bundesamt für Umwelt BAFU, hält gegenüber Infosperber grundsätzlich fest, dass «das BAFU der Verwendung von Nahrungsmitteln für die Herstellung von biogenen Treibstoffen kritisch gegenübersteht und sich entschieden gegen jegliche Form von Land Grabbing stellt». Am «Runden Tisch für nachhaltige Biotreibstoffe» RSB nehme das BAFU «eine beratende Funktion bei der Entwicklung und Weiterentwicklung des Standards ein. Das Ziel der Beteiligung des BAFU am RSB war und ist es, eine möglichst umfassende Bewertung biogener Treibstoffe durch den Standard zu gewährleisten.» Was hingegen die effektive Zertifizierung einzelner Projekte betreffe, sei das BAFU «nicht daran beteiligt». Deshalb kann Rotzetter auch «keine Angaben über die Zertifikatvergabe im Fall Addax Bioenergy machen».

Der Vorwurf hingegen, die Bundesämter und Alcosuisse würden die umfassenden Ansprüche der Schweiz an die Nachhaltigkeit von biogenen Treibstoffen durch ihre Teilnahme am RSB unterlaufen, sei aus Sicht des BAFU «nicht nachvollziehbar». Es sei auch «nicht gerechtfertigt, die Nachhaltigkeitskriterien des RSB aufgrund der Kritik an einem einzelnen Audit per se in Frage zu stellen». Laut RSB bestehe «für die Akteure die Möglichkeit, ihre Kritik in Form einer Beschwerde einzureichen».

Heikle Rolle der Bundesämter und der EPFL

Kaum war die Addax Bioenergy zertifiziert, verbreiteten die Lobbyisten des Swiss-African Business Circle (SABC) die imagefördernde Botschaft in einem Rundschreiben, nicht ohne das BFE und das BAFU prominent zu erwähnen. Die RSB-Mitgliedschaft der Eidgenössischen Bundesämter ist für die Weisswaschung des Land Grabbings von grossem Wert.

Bedenklich ist auch die Rolle der ETH Lausanne, insbesondere des Energy Centers. Dabei ist nicht nur die Beherbergung des RSB-Sekretariats fragwürdig, sondern auch einige externe Partner des Energy Centers, beispielsweise die Lobbyverbände der Atom- und Stromwirtschaft, namentlich der Verband Schweizerischer Elektrizitätsunternehmen (VSE) und das Nuklearforum Schweiz.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

keine

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