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Europa-Karte der Axpo: Riskante Expansion © axpo

Strombranche: Planwirtschaft und Ausland-Abenteuer

Kurt Marti /  Statt die Energiewende in der Schweiz zügig voranzutreiben, stürzt sich die Stromlobby in riskante Europa-Abenteuer.

Es sind keine zwei Jahre her, dass die Stromwirtschaft ihre milliardenteuren Pumpspeicherwerke als energiepolitisches und profitables Ei des Kolumbus anpries. Dann deckte Infosperber auf, dass der Stromkonzern Alpiq hinter den Kulissen von unrentablen Investitionen sprach und die Strombranche ziemlich frech nach Öko-Subventionen heischte. Damit war die Pumpspeicher-Kontroverse in der breiten Öffentlichkeit lanciert.

Energieministerin Doris Leuthard hat vorgespurt

Anfang Juli hat der Verband Schweizerischer Elektrizitätsunternehmen (VSE) zusammen mit den beiden deutschen und österreichischen Stromverbänden den neusten energiepolitischen Geistesblitz, die «Energie-Initiative der Alpenländer» präsentiert. Bereits vor einem Jahr ist es den Stromlobbyisten gelungen, Bundesrätin Doris Leuthard und die beiden anderen Energieminister Philipp Rösler (D) und Reinhold Mitterlehner (A) für ihre Zwecke einzuspannen. Gemeinsam unterzeichneten diese eine «Initiative für den Ausbau von Pumpspeicherkraftwerken».

Konkret verlangen die drei Stromverbände bessere Rahmenbedingungen für die Pumpspeicherwerke im Alpenraum, vor allem durch die Reduktion der Solar-Subventionen und den Abbau von Abgaben. Die Solarproduktion in Deutschland hat nämlich das profitable Vermarktungsmodell der Pumpspeicherwerke pulverisiert, nämlich das Hochpumpen von Wasser mit billigem Atom- und Kohlestrom und die anschliessende Produktion von teurem Spitzenstrom über Mittag. Weil die deutschen Solaranlagen just über Mittag auf Hochtouren produzieren, kam es zu einem massiven Preiszerfall und folglich zu einer Implosion der Gewinne aus dem Pumpspeicher-Betrieb.

Erinnerungen an die sowjetischen 5-Jahres-Pläne

Die Pumpspeicher-Initiative der länderübergreifenden Stromlobby ist aus drei Gründen erstaunlich: Erstens sind die Stromkonzerne in den drei Länder in Bezug auf die Pumpspeicherwerke eigentlich Konkurrenten. Ihre Kooperation ist ein deutliches Zeichen für die miserable, finanzielle Situation der Pumpspeicherwerke und dass sich die Strombranche einmal mehr mit ihren Milliarden-Investitionen und ihrer Planwirtschaft gründlich verschätzt hat.

Zweitens wollen die drei Branchenverbände die Pumpspeicherwerke trotz fehlender Rentabilität und Überkapazität massiv ausbauen, um damit die Ausgleichs-Energie für den Ausbau der erneuerbaren Energien (Solar, Wind) bis zum Jahr 2050 bereitzustellen, deren Förderung sie groteskerweie gleichzeitig verhindern wollen. Damit signalisieren sie implizit, dass die angebliche Ausgleichsfunktion für die erneuerbaren Energien nur ein öffentlichkeitswirksamer Vorwand ist, um ihre alte Strategie der zentralen Grosskraftwerke (Atom, Kohle, Gas) in die Zukunft zu retten.

Finanzielle und energiepolitische Sachzwänge

Und drittens steckt hinter der famosen «Energie-Initiative» eine sklerotische Planwirtschaft, die an die legendären 5-Jahres-Pläne der ehemaligen Sowjetunion erinnert. Denn laut der Initiative der Stromlobby können «die aktuell bekannten Projekte» den Bedarf nach Ausgleichsenergie «weit ins kommende Jahrzehnt abdecken». Erst dann seien «weitere Kapazitäten erforderlich». Erneut beginnt die Strombranche mit einer Planwirtschaft über Jahrzehnte bis zum Jahr 2050. Dabei weiss niemand besser als die Schweizer Stromwirtschaft selbst, was eine solche Planwirtschaft wert ist, denn sowohl mit dem Bau von Gaskraftwerken im Ausland als auch mit dem Ausbau der Pumpspeicherwerke haben sie sich in den letzten zehn Jahren massiv verschätzt.

Mit der angestrebten Planwirtschaft über Jahrzehnte und mit den Milliarden-Investitionen werden alternative Speichertechnologien verhindert sowie finanzielle und energiepolitische Sachzwänge geschaffen. Trotzdem behaupten die drei Stromverbände, sie «streben durch eine sinnvolle Flexibilisierung des Energieversorgungssystems (inklusive Speicher- und Netzausbau) ein wirtschaftliches Optimum für die Stromversorgung der Zukunft an».

Schweizer Pumpspeicherwerke für Europa

Die drei Stromverbände halten zudem fest, dass erst ab einem Anteil der erneuerbaren Energien von 40 % am gesamten Stromverbrauch weitere Pumpspeicherwerke nötig seien. Ein Blick in die Schweizer Statistik der erneuerbaren Energien (siehe Link unten) zeigt die grosse Differenz zwischen den phantastischen Zielen der Planwirtschaft und der real existierenden Produktion von neuem erneuerbarem Strom in der Schweiz:

  • Der Anteil der neuen erneuerbaren Energien an der gesamten Stromproduktion der Schweiz beträgt bloss 2,95 % . Mehr als die Hälfte davon stammt aus der Abfallverbrennung. Der Solaranteil liegt bei lächerlichen 0,49 % und der Windanteil bei 0,13 %. Das ergibt zusammen bloss 0,62 % der gesamten Stromproduktion in der Schweiz.
  • Aktuell sind in der Schweiz Pumpspeicherwerke mit einer Leistung von 1 700 Megawatt (MW) in Betrieb. Weitere 3 500 MW sind geplant. Das ergibt ein Total von 5 200 MW. Laut Initiative der drei Stromverbände reichen diese gebauten und geplanten Pumpspeicherwerke für den Ausgleich von erneuerbaren Energien bis zu einem erneuerbaren Energie-Anteil von 40 %. Bei einem aktuellen Solar- und Windstrom-Anteil von 0,62 % sind also schon die gebauten Pumpspeicher-Kapazitäten völlig überrissen, geschweige denn die geplanten und die erträumten.
  • In Deutschland sind Pumpspeicherwerke mit einer Leistung von 6 500 MW in Betrieb und von 4 000 MW in Planung. Daraus resultiert ein Total von 10 500 MW. Die gebaute und geplante Schweizer Pumpspeicher-Leistung beträgt rund 5 200 MW, also rund die Hälfte der Deutschen. Zum Vergleich: Der Stromverbrauch in Deutschland liegt rund zehn Mal höher als in der Schweiz, der Solarstrom-Anteil ist 87-mal und der Anteil von Solar- und Windstrom 180-mal höher. Wenn die Schweiz also proportional mit Deutschland gleichziehen wollte, würde schon ein Bruchteil der heutigen Pumpspeicher-Leistung der Schweiz völlig ausreichen.

Frauenhofer-Institut: Zuerst Solar, dann Speicher

Trotz der fraglichen Rentabilität und der Sistierung des Pumpspeicher-Projektes auf der Grimsel glaubt die Schweizer Stromwirtschaft weiterhin unbeirrt an die Wiederauferstehung des alten Goldesels Pumpspeicherung im Dienste der Stromversorgung der Nachbarstaaten. Selbst die neoliberale Denkfabrik Avenir Suisse (siehe Link unten) stellt diese riskante Strategie in Frage und warnt davor, dass das Risiko die Eigentümer der Stromunternehmen tragen, also die Kantone und die Steuerzahler.

Auch das renommierte Frauenhofer-Institut kommt in seiner soeben veröffentlichten Studie «Aktuelle Fakten zur Photovoltaik in Deutschland» zum Schluss, dass der Ausbau der Solarproduktion nicht auf den Bau neuer Speicheranlagen warten müsse. Denn Investitionen in Speichertechnologien «lohnen sich erst, wenn häufig große Preisdifferenzen für Strombezug auftreten, sei es an der Strombörse oder bei Endabnehmern». Erst ein weiterer Ausbau von Solar- und Wind-Anlagen werde zu gewissen Zeiten die Strompreise an der Börse «häufiger und massiver senken». Andererseits werden laut Studie die Strompreise zu anderen Zeiten ansteigen, und zwar wegen der «Verknappung des Atomstroms» und der «Verteuerung des Kohlestroms durch CO2-Zertifikate oder -Steuern».

Erst diese Preisdifferenz schaffe «die Grundlage für einen rentablen Speicherbetrieb». Dabei ist die Pumpspeicherung nur eine der vielen Möglichkeiten der Stromspeicherung. Laut Studie können beispielsweise Stromspeicher durch eine entsprechende Tarifgestaltung auch für die Stromkunden interessant werden. Durch das grosse Potential alternativer Speichermöglichkeiten laufen die Pumpspeicher-Dynosaurier Gefahr, zu Investitionsruinen zu werden.

Axpo: Stromversorgung für Brindisi und Bari

Rückwärts gewandt ist nicht nur die Pumpspeicher-Strategie, sondern auch die Beteiligung des Axpo-Konzerns an der Erdgas-Pipeline «Trans Adriatic Pipeline» (TAP) von Aserbeidschan nach Italien. Neben der Alpiq hat auch die Axpo in der letzten Dekade abenteuerlich in italienische Gaskraftwerke investiert. Die Alpiq hat daraus Milliardenverluste eingefahren. Auch die Gaskraftwerke der Axpo in Süditalien sind nicht rentabel. Deshalb will die Axpo durch das Milliarden-Projekt TAP nun dafür sorgen, dass ihre italienischen Gaskraftwerke günstiger produzieren. Eine Garantie dafür gibt es keine. Paradoxerweise hat sich keine einzige italienische Stromgesellschaft an der Pipeline beteiligt.

Statt endlich aus diesen teuren Ausland-Abenteuern auszusteigen, stürzt sich die Axpo noch weiter ins Auslandgeschäft. Es ist offenbar eine zentrale Aufgabe einer Stromgesellschaft, die den Nord- und Ostschweizer Kantonen gehört, für die Stromversorgung in Brindisi und Bari zu sorgen und dabei die Energiewende in der Schweiz zu verschlafen. Zurecht verlangt nun die Zürcher SP ein Gesetz, das eine parlamentarische Kontrolle der Axpo vorsieht.

BKW entfaltet ihre Strompolitik in Oberitalien

Auch die BKW, welche mehrheitlich dem Kanton Bern gehört, kümmert sich erstaunlicherweise für die Stromversorgung von Oberitalien: Anfang Juli hat sie in der Lombardei fünf Wasserkraftwerke gekauft und will damit ihr «Engagement in Italien weiter» stärken. 50 Millionen Franken hat die BKW für eine Gesamtleistung von 10 MW und eine Jahresproduktion von 40 Gigawattstunden (GWh) hingeblättert. Das ergibt einen Preis von 5 000 Franken pro Kilowatt (Fr./kW). Zum Vergleich: Mittlere Solar-Anlagen kosten heute rund 3000 Fr./kW, grössere Industrie-Anlagen rund 2000 Fr./kW, also rund die Hälfte des Preises der italienischen Wasserkraftwerke. Wenn man davon ausgeht, dass die Wasserkraftwerke doppelt soviele Volllast-Stunden aufweisen wie eine Solaranlage, könnte die BKW mit den 50 Millionen in der Schweiz ebensoviel Solarstrom produzieren wie die fünf italienischen Wasserkraftwerke. Zudem bliebe die Wertschöpfung in der Schweiz.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Kurt Marti war früher Beirat (bis Januar 2012), Geschäftsleiter (bis 1996) und Redaktor (bis 2003) der Schweizerischen Energie-Stiftung (SES)

Zum Infosperber-Dossier:

Stromleitungd

Die Politik der Stromkonzerne

Elektrizitätsgesellschaften verdienen am Verkaufen von möglichst viel Strom. Es braucht endlich andere Anreize.

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