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80% des Stroms in Europa wird immer noch in Kohle, Atom-, Gas- und Ölkraftwerken erzeugt. © glasseyes views/flickr/cc

Schweizer Wirtschaft setzt auf Strom-Dumping

Hanspeter Guggenbühl /  Mehr Strommarkt, keine Energiestrategie. Das fordern Schweizer Wirtschaftsverbände. Ihre Forderung ist billig und scheinheilig.

«Swissmem und scienceindustries, deren Branchen für 73% der Schweizer Güterexporte verantwortlich sind, lehnen die ‹Energiestrategie 2050› grundsätzlich ab.» Das schrieben die beiden Industrieverbände Anfang Woche in einer Medienmitteilung. Im Speziellen kämpfen die Sachwalter der Maschinen- und Pharmaindustrie gegen die vom Bundesrat beantragte Erhöhung der CO2-Abgabe sowie den Ausbau der kostendeckenden Einspeisevergütung (KEV), mit denen der Bundesrat Strom aus erneuerbarer Energie fördern will. Anstelle einer politischen Strategie verlangen die Verbände «eine rasche Öffnung des Schweizer Strommarktes» und dessen Anbindung an den EU-Strommarkt.

Radio DRS sowie Schweizer Tageszeitungen verbreiteten die Botschaft artig weiter. «Die Energiestrategie 2050 steht zusehends im Gegenwind», titelte etwa Blochers Basler Zeitung.

Konzertierte Aktion von Economiesuisse

Ähnliche Stellungnahmen werden in den nächsten Wochen folgen. Denn an einer koordinierenden Sitzung der Economiesuisse-Arbeitsgruppe «Energie und Umwelt» hatte der mächtige Wirtschaftsverband seinen Mitgliedern empfohlen, die Energiestrategie grundsätzlich abzulehnen. Auf Anklang stiessen lediglich einige Nebenpunkte, etwa die beschleunigte Bewilligung von neuen Stromleitungen oder die Erleichterung von Gaskraftwerken.

Dass sich Gleichgesinnte bei Vernehmlassungen absprechen, ist nicht neu. Allerdings macht die Wiederholung schlechte Argumente nicht besser: Die Stellungnahme der Wirtschaftsverbände ist billig und scheinheilig zugleich.

Ausbeutung der Natur verfälscht Marktpreise

Billig ist die Forderung nach mehr Markt. Denn der Strommarkt, soweit er überhaupt funktioniert, ist ebenso verfälscht wie alle Energiemärkte. Konkret: Vier Fünftel des Stroms in Europa werden heute immer noch in Kohle-, Atom-, Gas- und Ölkraftwerken erzeugt. Die damit verbundene Umweltbelastung und Verknappung von Naturkapital sind in den Marktpreisen nicht enthalten, im Gegenteil: Die Strompreise sinken zurzeit, weil die Wirtschaftskrise die Stromflut in Europa ansteigen liess. Abgaben auf Energie, CO2 oder Atommüll, welche diese Fehlentwicklung korrigieren könnten, wurden und werden von den Wirtschaftsverbänden erfolgreich bekämpft.

Scheinheilig ist die Forderung, den Markt rasch zu öffnen. Denn industrielle Grossverbraucher in der Schweiz haben schon seit 2009 Zugang zum Strommarkt. Doch sie machten bislang keinen Gebrauch davon, sondern verblieben – mit bundesgerichtlichem Segen – im Versorgungsmonopol. Grund: Die geschützten Monopoltarife, die auf den Produktionskosten von alten einheimischen Atom- und Wasserkraftwerken basieren, waren bislang noch tiefer als die Marktpreise für den subventionierten europäischen Kohle-, Atom- oder Gasstrom.

Es geht um Strom zu Dumpingpreisen

Die vom Bundesrat beantragte Energiestrategie strebt nun einen Umstieg an vom Atomstrom zum Strom aus Solar- und Windkraft. Diese Wende wird die Stromproduktion in der Schweiz – über die verfälschten europäischen Marktpreise hinaus – verteuern. Darum fordern die Wirtschaftsverbände jetzt mehr Markt. In Wirklichkeit verlangen sie damit mehr Strom zu Dumpingpreisen.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

keine

Zum Infosperber-Dossier:

SolaranlageBauernhof-1

Energiepolitik ohne neue Atomkraftwerke

Erstes, zweites und drittes Gebot: Der Stromverbrauch darf nicht weiter zunehmen.

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2 Meinungen

  • am 12.12.2012 um 06:42 Uhr
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    Diese Haltung zeigt den gefährlichen Unwillen für eine Erneuerung/Energiewende. Diese rückwärtsgewandten Verbände und Einflussnehmer wollen weiterhin abkassieren und sich an die Umverteilung von unten nach oben festkrallen. Umwelt ist bei denen leider nur etwas für die Sonntagspredigt. Vom gewöhnlichen Bürger verlangen die genau gleichen Kreise, dass sie die Kosten übernehmen die sie verursachen (s. als neustes Beispiel die Diskussion um die ÖV-Kosten). Sobald es aber nur den Anschein macht, dass das auch für diese neoliberalen Kreise gelten soll, wird abgelehnt und mit Arbeitsplatznachteil, -verlust gedroht. Unfähig und lernresistent sind diese Kreise wenn es darum geht sich an ihre eigenen grossen Sprüche zu halten!

  • am 12.12.2012 um 18:45 Uhr
    Permalink

    Diese Wirtschaftsführer sind keine guten Schweizer, denn sie wollen für ihr kurzfristiges Geschäft die Existenz unsres Landes und Lebensraums riskieren. Sie haben vergessen, weshalb wir diese unbeherrschbare Technik nicht wollen. Die Katastrophen von Tschernobyl und Fukushima reden sie klein und wollen sie vergessen machen.
    Rechnen können die Herren auch nicht, Atomstrom ist der teuerste Strom. Nur dank staatlicher Unterstützung und Quersubvention kommt er billig auf den Markt. Stalinistischer Kollektivismus stört die Herren nicht, falls sie selbst davon profitieren. (infosperber.ch/Artikel/Umwelt/Das-PR-Marchen-vom-teuren-Okostrom)
    Wie oft hat die Gilde der Wirtschaftsführer schon falsch prophezeit, grossartige Firmen heruntergewirtschaftet und dann nach dem geschmähten Staat gerufen?
    Der C.B. will nach seiner Doktrin über seine Zeitung missionieren. Er, der damals zusammen mit andern «Wirtschaftsvertretern» den Rückzug vom AKW Kaiseraugst und vom AKW Graben mit einer staatlichen Gabe von 400 und 300 millionen CHF versüsste bzw ermöglichte. Das AKW Rüti hatten unsre lieben Nachbarn im Vorarlberg gebodigt und Inwil wurde sonst wie abgeblasen.
    Eine gigantische Fehlplanung in kapitalistisch-planwirtschaftlicher Ungeheuerlichkeit! Was würden wir mit all dem Strom von 4 mal AKW Gösgen tun? – und wie würden wir das bezahlen???
    Wenn wir damals auf diese Riesen-Kapazität ohne Sparanstrengungen (abgesehen von Ogi’s Eierkoch-Effizienz…) schadlos verzichten konnten, dann werden wir auch die Zukunft ganz ohne AKW meistern und dabei gewinnen.

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