LePen

Marine Le Pen gibt sich, um mehr Zuspruch aus der Mitte zu erhalten, bewusst nicht extremistisch. © FN

Auch 2017 ist ein Flugjahr für Rechtspopulisten

Jürg Müller-Muralt /  In vier der sechs EU-Gründungsstaaten finden 2017 Wahlen statt. Es ist ein besonderer Härtetest für die demokratischen Kräfte.

Fast im Monatstakt werden die Wahlberechtigten im kommenden Jahr in grossen und wichtigen EU-Ländern zu den Urnen gerufen. Den Auftakt machen im März die Niederlande, wo Geert Wilders’ Partei der Freiheit derzeit in Umfragen als stärkste Kraft dasteht. Im April und Mai (Stichwahl) folgen die Präsidentschaftswahlen in Frankreich, wo Marine Le Pen vom Front National (FN) zum Angriff auf den Elysée-Palast bläst. Und im Herbst ist dann Deutschland an der Reihe, wo die Alternative für Deutschland (AfD) zum Sturm in den Bundestag ansetzt. In Italien weiss man noch nicht, ob es 2017 oder erst 2018 Wahlen geben wird.

Ein Kampf nicht um Macht, sondern um das System

Die Demokratie steht vor einer vitalen Herausforderung. Denn die Rechtspopulisten, Rechtsnationalen und Rechtsextremen – die Grenzen zwischen diesen Gruppierungen werden immer undeutlicher – kämpfen nicht um Macht innerhalb der bestehenden demokratischen und rechtsstaatlichen Institutionen, sondern sie benutzen sie bloss, um das System an sich anzugreifen. Beispiele dafür gibt es genug, selbst von Politikern, die an der Macht sind oder sie demnächst übernehmen. Donald Trump liess die Welt wissen, er behalte sich die Anerkennung des Wahlresultats vor, sollte er nicht gewinnen; was nichts anderes heisst, als den demokratischen Prozess vorsorglich auszuhebeln. Und Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban hält wenig von Gewaltentrennung und weiteren demokratischen Standards und nimmt die Medien an die kurze Leine. Orban spricht auch ganz offen von seinem Konzept der «illiberalen Demokratie», seine Bewunderung für den russischen Autokraten Putin bringt er immer wieder zum Ausdruck.

Russlands Autokratie als Systemalternative

Es ist ein durchgängiges Muster: Europas Rechtspopulisten und Rechtsextreme knüpfen ein besonders enges Beziehungsnetz zu Putin. Von der AfD über Österreichs Freiheitliche (FPÖ) bis zum französischen Front National finden sie alle in Russlands Autokratie eine Systemalternative zur liberalen Demokratie und zum transnationalen Modell der EU. Es ist die Sehnsucht nach dem «starken Mann», der nationale Grösse verspricht und sich gleichzeitig auch gegen gesellschaftliche Liberalität und gegen soziale Emanzipationsbewegungen der vergangenen Jahrzehnte richtet. Der britische Historiker Harold James, spezialisiert auf europäische Wirtschaftsgeschichte und ehemaliges Mitglied der internationalen Expertenkommission Schweiz – Zweiter Weltkrieg (Bergier-Kommission), sagt es in einem Interview im «Credit Suisse Bulletin» 4/2016 mit Bezug auf autokratische Tendenzen in Europa so: «Es wird eine Tendenz zur Abschottung von Staaten geben, zu einer autarken Wirtschaft, zu einer Gesellschaft, die Migration, Güteraustausch und Kapitalströme viel restriktiver handhabt. Auch dafür gibt es historische Vorbilder: Der italienische und deutsche Faschismus und der Stalinismus waren auch Antiglobalisierungsmodelle.»

Weg vom Extremisten-Image

Die Ausgangslage für die extreme Rechte, nach Brexit und Trump-Sieg, ist gut. Die Nichtwahl des FPÖ-Kandidaten Norbert Hofer zum österreichischen Bundespräsidenten von Anfang Dezember 2016 ist keine Trendwende, sondern mittlerweile eher die Ausnahme von der Regel. Die Chancen für die Rechten sind auch deshalb deutlich gestiegen, weil es einigen von ihnen gelungen ist, sich vom Image des Extremismus zu lösen. Sie tun dies, indem sie alte Symbole der Rechten sowie Blut-und-Boden-Rhetorik über Bord werfen und sich von Neonazis, Skinheads und offenem Rassismus distanzieren. Gleichzeitig übernehmen sie teilweise linke Rhetorik und Inhalte, geben sich als Verteidiger eines starken Staates, auch eines starken Sozialstaats, der nun gegen massive Einwanderung verteidigt werden müsse. Sie tauschen Feindbilder aus: Der Antiislamismus tritt an die Stelle des Antisemitismus. Damit können sie sich als einzig glaubhafte und effiziente Verteidiger westlich-abendländischer Identität und Freiheit positionieren. Gleichzeitig stellen sie sich gegen die offene, pluralistische Gesellschaft und verhalten sich anti-liberal, Gleichberechtigung lehnen sie ab.

Gegen Brüssel und «Eliten»

Die Antwort der Rechten auf soziale Abstiegsängste ist der Rückgriff auf einen mehr oder weniger aggressiven, ausgrenzenden Nationalismus, eine protektionistische Wirtschaftspolitik und eine Anti-Globalisierungsrhetorik. Ganz zentral damit verbunden ist die Ablehnung der Europäischen Union. Die Mobilisierung gegen Brüssel lässt sich ideologisch hervorragend verzahnen mit der Stimmungsmache gegen «Eliten» und «Establishment». Damit locken die Rechtsparteien auch den Linken Wählerinnen und Wähler ab und treiben die politische Mitte vor sich her. Mehr noch: Es gelingt ihnen zusehends, ihren Diskurs in der Mitte der Gesellschaft zu verankern und damit die kulturelle Hegemonie zu erlangen.

Wölfin im Schafspelz

Das Paradebeispiel dieser Entwicklung ist der Front National. Während Jean-Marie Le Pen, der Parteigründer, primär ein Provokateur war, hat seine Tochter Marine ein klares Ziel: die Machtübernahme. Der alte Le Pen scharte die reaktionärsten Gruppen des alten, rechten katholischen Frankreich und die traditionellen Rechtsextremen um sich. Marine Le Pen dagegen hat hart durchgegriffen, ihren Vater mit seinen unappetitlichen Nazi-Sprüchen samt seiner Entourage kaltgestellt. Sie hat alte ideologische Versatzstücke eines offenen Rassismus über Bord geworfen und sich ganz bewusst einem Konzept verschrieben, das auch politisch heimatlose Linke und Liberale anspricht. Gleichzeitig hat sie ihr Ziel eines weissen, nicht-multikulturellen Frankreich beibehalten. Im Gegensatz zu ihrem Vater ist ihr «zuzutrauen, dass sie nicht nur Leute mobilisieren und radikalisieren kann, sondern auch, dass sie fähig ist, im entscheidenden Moment auf die Organisation der Macht umzuschalten.», sagte der niederländische Autor Geert Mak in einem Interview mit dem «Tages-Anzeiger» und dem «Bund».

«Populisten haben keine Ahnung»

Mak findet, viele Populisten seien im Grunde keine Politiker. Die Partei des Holländers Geert Wilders etwa sei «ein Chaos». Deshalb erinnern populistische Bewegungen den Autor eher an «mittelalterliche Bauernaufstände, an diese überhaupt nicht rational, sondern emotional geführten Rebellionen mit Anführern, die sich am Ende als Scharlatane entpuppten.» So auch Nigel Farage, der die Brexit-Abstimmung gewonnen hat, dann schnurstracks als Parteichef zurückgetreten ist und sich so der Verantwortung entzogen hat. Als besonders beunruhigend bezeichnet Mak diese fiebrige Freude an Ressentiments, Hass und Lüge. Man finde dieses Lebensgefühl etwa in Tagebüchern aus den Zwanzigerjahren des letzten Jahrhunderts. «Auch da begegnet einem dieses schon fast erotische Sehnen nach dem grossen Kladderadatsch, der die verhassten Eliten beseitigen und aus dem eine neue Welt aufsteigen wird. Die Populisten haben keine Ahnung, womit sie spielen. Sie können Leute radikalisieren und mobilisieren, aber Politiker sind sie nicht.»

Gefährdete Mitte in Deutschland

Bis vor einiger Zeit galt wenigstens Deutschland als kaum anfällig für rechtspopulistische Versuchungen. Allerdings hat die AfD in jüngster Zeit deutliche Gewinne eingefahren. Zudem kommt eine Studie zum Schluss, dass nun auch die gesellschaftliche Mitte gespalten sei. Dort würden sowohl Meinungen vertreten, «die Gleichwertigkeit als Grundfeste der Demokratie betrachten, als auch menschenfeindliche Einstellungen, die diese Grundfeste in Frage stellen und gefährden», warnen die Forscher. Diese «Mitte-Studie» der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung untersucht seit 2002 die Radikalisierung der deutschen Gesellschaft (Zitate gemäss ARD vom 21.11.2016).

Die Untersuchung macht auf eine wenig beachtete Tatsache aufmerksam: In keinem anderen Land haben so viele Asylunterkünfte gebrannt wie in Deutschland. Nicht nur seien die sozialen Medien voller Hass. Auch die seriösen Medien forcierten «nicht selten eine unkritische, unreflektierte Übernahme und Weitergabe von Bedrohungsrhetorik durch Verwendung von drastischen Bildern und Begrifflichkeiten». Populisten profitierten auch davon, dass Medien ihnen oft ein Forum böten. Damit werde die Strategie der neuen Rechten befördert, «Positionen, die vormals von allen als eindeutig undemokratisch und rechtsextrem verstanden wurden, nun als eine legitime Möglichkeit im Meinungsspektrum anzusiedeln», kritisiert die Studie. Die AfD habe sich dabei «zu einem parteipolitischen Dach neurechter und rassistischer Protestmilieus entwickelt».

Nach dem Brexit und der Trump-Wahl tut man auch in Europa gut daran, sich auf alles gefasst zu machen. Ein massiver Vormarsch der Rechtsextremen in vier EU-Gründungstaaten, gar ein Sieg von Marine Le Pen in Frankreich, könnte wohl schwer kontrollierbare Entwicklungen in der EU und in ganz Europa auslösen.


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4 Meinungen

  • am 11.12.2016 um 14:12 Uhr
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    Schon länger ist das Phänomen konsequent geächteter Gruppen am Rande des gesellschaftlich Politischen Spektrums zu beobachten. Mit freier Wahl, mit Demokratie wie auch immer man diese Betrachtet oder besser für sich ausnutzt hat das was mit Menschen getan wird die Systemkritische Fragen stellen, Systemkritische Antworten, Vorstellungen vertreten nichts mehr zu tun. Ich bin einer von denen die sich mit dieser ewigen politischen Mitte, nicht nur hier in der Schweiz als Dauerläufer propagiert, rein gar nicht identifizieren kann.

    Diese seit vielen Jahren herbeigezauberte Mitte ist die konsequente Umsetzung neoliberaler Vorstellungen und hat mit herkömmlochen linken, solidarischen, sozialistischen oder eben konservativen, bürgerlichen Vorstellungen von Individuum und Gesellschaft rein gar nichts mehr zu tun.

    Genau deshalb fällt die Akzeptanz der angeblich so ausgewogenen Mitte bei immer mehr Menschen durch. Ich bin nun jemand der seit jeher linke, soziale, humanistische, solidarische Anliegen vertritt und erwartet und diese nicht mehr bekommt. Auf der anderen Seite stehen genau gleich Menschen denen bürgerliche, nationale, konservative Werte wichtig sind und diese nicht mehr bekommen.

    Was es dafür täglich gibt ist eine neue Dosis neoliberaler Vorstellungen die jeden einzelnen Betroffenen entsolidarisiert, entrechtet, individualisiert und ausgeschlossen zurücklässt.

    Demokratie ist schützenswert solange Sie Werte für alle plausibel wohlwollend sozial vertritt und umsetzt

  • am 11.12.2016 um 14:33 Uhr
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    "dieses schon fast erotische Sehnen nach dem grossen Kladderadatsch» ordne ich nicht nur den Benachteiligten und den Globalisierungsverlierern zu. Sind es nicht wie in den 30er-Jahren des 20. Jhdt. bürgerliche Kräfte, welche dem grossen «Kladderaddatsch» den Vorzug geben, aus ideologischer Abscheu gegen eine gerechtere Verteilung? Trump wurde gemäss Wahlanalysen von sehr vielen Wohlhabenden gewählt, Frauen und Männern. Die Benachteiligten sind zu einem grossen Teil zuhause geblieben.

  • am 12.12.2016 um 15:29 Uhr
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    Den Ausdruck «demokratische Kräfte» kenne ich noch aus der kommunistischen Propaganda der 50er bis 70er Jahre. Ausgedrückt sollte damit werden: Nur wir und unsere Bündnispartner dürfen regieren, einen Regierungswechsel darf es nie wieder geben.
    Während wir im Westen meist dachten: Macht korrumpiert; darum ist es gut, wenn Establishments und Eliten von Zeit zu Zeit durch andere Ertablishments und andere Eliten abgelöst werden.
    Öffenbar hat sich der kommunistische Standpunkt inzwischen weitgehend durchgesetzt.

  • am 12.12.2016 um 16:45 Uhr
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    Die Demokratie ist weltweit zum perfekten Verbrechen degeneriert.
    Weil «ALLES» unter dem Deckmantel dieser degenerierten «Demokratie» anonym legitimiert ist, ist ja auch Niemand für irgend Etwas veranwortlich. Darum befindet sich unsere Welt auch in diesem desolaten Zustand. (Stichworte: Hunger, Krieg, Verblödung etc.)

    "Demokratie» braucht dringend Transparenz und Reformen.
    Eine «Demokratie» ohne Transparenz ist zur Diktatur degeneriert.

    Kluges reden bringt da nichts, wenn niemand es versteht.

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