Sperberauge

Wörter wandeln Werte

Christian Müller © zvg

Christian Müller /  Selbstmord, Suizid oder Freitod? Die Meinungsbildung beginnt mit der Wortwahl.

Der Tod des obersten Swisscom-Chefs Carsten Schloter hat die Schweiz überrascht und betroffen gemacht. Die Polizei gehe von Suizid aus, lautete die Kürzestversion der Behörde.

Zwei Tage später zeigt ein Blick in die Schweizer Printmedien: an 64 Stellen wurde in den Blättern der Begriff Suizid übernommen. An 27 Stellen wurde aus dem Suizid dagegen ein Selbstmord, so etwa im «Blick» und in der «BaZ». Nur gerade an 8 Stellen war von Freitod die Rede, zum Beispiel im «Tages Anzeiger».

Mord ist per definitionem ein krimineller Akt. Wer das Wort Selbstmord wählt, kriminalisiert damit – bewusst oder unbewusst – Menschen, die beschliessen, freiwillig aus dem Leben zu scheiden. Das Wort Suizid scheint neutraler, ist es aber nicht wirklich. Das Fremdwort kommt aus dem Lateinischen und meint mindestens Selbsttötung. Die Wörter Pestizid, Insektizid, vor allem aber auch Genozid, der Völkermord, zeigen, dass es auch beim -zid um etwas Verwerfliches geht: Betont wird der Akt der Vernichtung.

Ganz anders das Wort Freitod. Es impliziert, dass es in erster Linie um einen Akt in persönlicher Freiheit geht, ohne jeden negativen Beigeschmack, ohne jede Verurteilung.

Wörter wandeln Werte. Wir haben im Infosperber auch an anderer Stelle schon darauf hingewiesen: Die Meinungsbildung beginnt schon mit der Wortwahl. Das gilt insbesondere auch beim Selbstmord – oder eben beim Freitod. Auch für die Angehörigen ist es etwas Anderes, wenn sie einen lieben Menschen durch Freitod verloren haben als durch Selbstmord, hinter dem Selbstzerstörung und/oder psychische Krankheit steht.

Der österreichische Schriftsteller Jean Améry, der als Jude und Widerstandskämpfer gegen das Nazi-Regime in Auschwitz und Buchenwald gelitten hatte, schrieb im Jahr 1976 den Essay: «Hand an sich legen. Diskurs über den Freitod». Zwei Jahre später wählte Jean Améry selber den Freitod. Das 120 Seiten starke Büchlein ist auch heute noch sehr lesenswert.


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5 Meinungen

  • am 25.07.2013 um 11:41 Uhr
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    Hallo Herr Müller,
    ihren Beitrag zum Thema «Freitod / Suizid» finde ich grauslig. Ich weiß nicht, wie sehr Sie mit der Materie vertraut sind. Aber aus vielfältiger Beratungserfahrung kann ich Ihnen sagen, dass fast KEIN Mensch, der sich selbst tötet dies als «Akt persönlicher Freiheit» tut. Ich empfinde Ihren Beitrag gegenüber (so vielen) verzweifelten Menschen und deren Angehörigen fast schon als Hohn.
    Wenn Sie «Suizid» nicht mögen, dann nehmen Sie doch bitte die (tatsächlich) neutrale «Selbsttötung".
    Mit freundlichen Grüßen
    Peter Wicke

  • am 25.07.2013 um 12:36 Uhr
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    Guten Tag Herr Müller,
    mir geht es wie Herrn Wicke: Dass Menschen, die sich selbst töten, dies in einem «Akt persönlicher Freiheit» tun und damit in Autonomie handeln, bezieht die vielen Fälle nicht in Betracht, die sich wegen einer Depression suizidieren. Depressive Menschen sind in ihrer Entscheidung keinesweg «frei". «Freitod» kommt deshalb meines Erachtens einer abgehobenen Verklärung einer ungemeinen psychischen Tragik gleich, womit auch wieder mit Worten Werte gewandelt werden. Der Bilanzsuizid, den Sie wahrscheinlich meinen, ist eine Randerscheinung bei Suizidhandlungen.
    Mit freundlichen Grüssen
    Herbert Bodenmann

  • am 25.07.2013 um 13:43 Uhr
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    Sehr geehrter Herr Müller
    Ich stimme mit Ihnen überein, dass die Meinungsbildung mit der Wortwahl beginnt und Worte auch Werte abbilden. Der Wandel vom wuchtigen Atomkraftwerk zum harmlosen Kernkraftwerk ist ein gutes Beispiel. In den Medien wie auch im alltäglichen Sprachgebrauch herrscht eine Tendenz zu euphemistischen Ausdrücken.

    Fakt ist hier, dass ein Mensch aus dem Leben geschieden ist, seinem Leben ein e
    Ende gesetzt hat – (das würde ja eigentlich als Information genügen, eignet sich aber er Länge wegen nicht als Titel!)

    Die Debatte um die Wortwahl anlässlich des Todes eines (in der Öffentlichkeit bekannten) Menschen halte ich hingegen so oder so für deplatziert. Die Hinterbliebenen müssen mit dem Tod und dem Verlust eines nahen Menschen fertig werden, und in der Trauer ist der Streit um Worte wohl vernachlässigbar.
    Die öffentliche, akademische Auseinandersetzung mit den möglichen Begriffen zum Ende dieses Lebens ist meiner Meinung nach für die Angehörigen ebenso schockierend wie es möglicherweise, aber nicht zwingend, die kritisierten Wörter «Selbstmord» oder «Selbsttötung» selbst sein könnten. Insofern ist Suizid einfach das «schönere» oder unschärfere Wort, denn, wie Sie richtig bemerken, ist sowohl der Suizid als auch der Freitod letztlich eine Selbsttötung. Ich kann mir nicht vorstellen, dass jemand (besonders nicht auf Schweizerdeutsch) zu sich selbst oder zu andern sagt: «Ich werde den Freitod wählen, oder: » Ich mache dann Suizid", sondern wohl eher: «Ich bringe mich um", womit wir wieder nahe beim Selbstmord, der Selbsttötung sind.
    Auf die Frage, wie frei ein Freitod sein kann, möchte ich an dieser Stelle gar nicht eingehen.
    Brigitta Szathmáry

  • Portrait_Daniel_Goldstein_2016
    am 27.07.2013 um 19:41 Uhr
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    Bezogen auf jeden Einzelfall, mag die Wortwahl zwar nicht die drängendste Frage sein – und doch ist sie wichtig für den gesellschaftlichen Umgang mit dem Suizid, also der Selbsttötung. Wer eines dieser Wörter wählt, um nicht zu moralisieren, darf dann auch nicht «begehen» sagen, denn damit wird wieder eine Verfehlung angezeigt. Wichtig ist die Wortwahl vor allem auch im Hinblick auf die Hilfe zum Suizid (http://www.infosperber.ch/Artikel/Gesellschaft/Sprachlupe-Vom-Sterben-reden–und-von-Hilfe-dazu).

  • am 8.08.2013 um 14:42 Uhr
    Permalink

    Il n’existe pas de mot dans les langues latines pour exprimer le concept de «Freitod". Pourtant, de nombreux auteurs latins en donnent des exemples (Caton d’Utique, Varus etc…Lire : «Histoire du suicide» de Georges Minois chez Fayard). Un notable (sénateur ou général) qui se donnait volontairement la mort agissait toujours librement et son acte était perçu comme héroïque. Il en allait évidemment autrement lorsqu’il s’agissait d’un esclave (l’acte était systématiquement perçu comme un crime contre l’Etat)…
    Le choix de la mort est une liberté individuelle fondamentale et être déprimé ne limite pas forcément le libre arbitre. Les critères de dépression que donne la psychaitrie ne suffisent en rien pour juger de l’indépendance d’une personne lorsqu’elle décide de mettre fin à ses jours.
    D’ailleurs, le Tribunal Fédéral, dans un arrêt du 3 novembre 2006, a reconnu la possibilité pour une personne souffrant d’un trouble psychique de recourir aux services d’une association d’aide au suicide.
    Personne sans doute ne se donne la mort en souriant mais dénier qu’il puisse parfois s’agir d’un geste volontairement accompli et librement décidé est excessif.
    En celà, il manque aux langues latines l’incarnation dans un mot du concept de «Freitod".
    Geogres Klein

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