Kommentar

Sprachlupe: Vom Sterben reden – und von Hilfe dazu

Daniel Goldstein © Grietje Mesman

Daniel Goldstein /  Obacht, wenn von «aktiver Sterbehilfe» die Rede ist: Manche versuchen so die Hilfe zum Suizid mit verbotenem Tun gleichzusetzen.

«Aktive Sterbehilfe» sei in ihren Altersheimen nicht zulässig, bekräftigten vor etwa zwei Monaten gleich zwei Chefs von Betreiberfirmen im «Bund». Eigentlich eine Selbstverständlichkeit, sollte man meinen, denn: «Aktive Sterbehilfe ist in der Schweiz gesetzlich verboten. Begleiteter Suizid nicht.» Das stellte eine Zuschrift klar, weil es nur darum ging, dass diese Altersheime keine Suizidbegleiter ins Haus lassen. Solche Begleiter sind zwar aktiv, namentlich indem sie die tödliche Chemikalie mitbringen, aber das ist mit «aktiver Sterbehilfe» in der üblichen Bedeutung nicht gemeint.
Ob Absicht hinter der Wortwahl steckt oder nicht: Es sind praktisch immer Gegner von Sterbehilfeorganisationen wie Exit oder Dignitas, die deren Tätigkeit als «aktive Sterbehilfe» bezeichnen. Exit selber nennt diesen Teil seines Wirkens offiziell «Freitodbegleitung», bisweilen auch «Suizidhilfe»; als Oberbegriff wird «Sterbehilfe» ebenfalls verwendet. Die Website Sterbehilfe-info.de macht den Unterschied vollends klar: «Bei der aktiven Sterbehilfe verabreicht jemand einem Patienten ein unmittelbar tödlich wirkendes Mittel. Der Patient nimmt es also nicht selbst zu sich (das ist der Unterschied zum assistierten Suizid).»
Was die Akademie sagt
Die Schweizerische Akademie für medizinische Wissenschaften (SAMW) spricht nicht von «aktiver Sterbehilfe», sondern wie das Strafgesetzbuch von «Tötung auf Verlangen», und sie lehnt diese strafbare Handlung ab. Auch die «passive Sterbehilfe» kommt in den SAMW-Richtlinien über Betreuung am Lebensende nicht als Begriff vor, wohl aber als unter Umständen zulässiges ärztliches Handeln: «Angesichts des Sterbeprozesses kann der Verzicht auf lebenserhaltende Massnahmen oder deren Abbruch gerechtfertigt oder geboten sein.»
Ja sogar: «Der Arzt ist verpflichtet, Schmerzen und Leiden zu lindern, auch wenn dies in einzelnen Fällen zu einer Beeinflussung (Verkürzung oder Verlängerung) der Lebensdauer führen sollte.» Im Fall der Verkürzung ist zuweilen von «indirekter aktiver Sterbehilfe» die Rede – ein unzutreffender Begriff, da bei diesem zulässigen Vorgehen die Beschleunigung des Sterbens nicht beabsichtigt ist, sondern nur in Kauf genommen wird. «Beihilfe zum Suizid» ist für die Akademie unter strengen Bedingungen ebenfalls statthaft, auch wenn ein Arzt immer das Recht habe, sie abzulehnen.
«Selbstmord» ist kein Mord
Das Schweizer Strafgesetzbuch stellt die «Beihilfe zum Selbstmord» nur dann unter Strafe, wenn sie aus «selbstsüchtigen Beweggründen» erfolgt. Das Gesetz stammt von 1937; würde es heute geschrieben, wäre wohl von «Suizid» oder «Selbsttötung» die Rede. Zwar ist «Selbstmord» im allgemeinen Sprachgebrauch wohl der geläufigste Ausdruck, aber das Wort enthält «Mord». Und der liegt laut dem gleichen Gesetz nur vor, «handelt der Täter besonders skrupellos, sind namentlich sein Beweggrund, der Zweck der Tat oder die Art der Ausführung besonders verwerflich.»
Ausser etwa bei einem Selbstmordattentat ist dies nicht der Fall, wenn sich jemand das Leben nimmt. Der «Selbstmord» als Tat ist heute nicht mehr gesellschaftlich geächtet wie noch 1937, jedenfalls bei Weitem nicht in diesem Mass. Ohne das tadelnde Wort seinerseits ächten zu wollen: Es wäre doch an der Zeit, es zu vermeiden. Ob man anderseits schon fast verklärend von «Freitod» reden will, kommt auf die Umstände und die eigene Einstellung an. Allerdings ist die Freiheit jener, die Suizidbegleitung suchen, durch ihre Lebensumstände schon arg eingeschränkt, durch schweres Leiden nämlich. Ohne dieses Leiden, wie auch immer es definiert werde, darf kein Arzt das rezeptpflichtige Mittel verschreiben, das den Tod herbeiführt.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Redaktor der Zeitschrift «Sprachspiegel»; Verfasser der Kolumne «Sprachlupe», alle 14 Tage in der Zeitung «Der Bund».

Zum Infosperber-Dossier:

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Daniel Goldstein zeigt, wie Worte provozieren, irreführen, verharmlosen – oder unbedacht verwendet werden.

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