Kommentar

Hie Boulevardlärm, da fairer Qualitätsjournalismus

Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des AutorsDer Jurist Peter Studer war Chefredaktor des «Tages-Anzeigers» und des Schweizer Fernsehens. Später präsidierte er den ©

Peter Studer /  Am Fall «Carlos» wird deutlich: Im Journalismus klaffen die Auffassungen über Berufsethik oft weit auseinander.

Für eine Debatte des Vereins «Qualität im Journalismus» scharte Moderator Hannes Britschgi, Leiter der Ringier-Journalistenschule, nicht die politischen Akteure im Fall «Carlos» um sich, sondern die schreibenden Vortäter. Zum Vorschein kam eine tiefe, ja verstörende Spaltung entlang der Bruchlinien der Berufsregeln.
Drei Journalisten sassen links von Britschgi: Andreas Kunz (damals «Blick», wo er den «Shitstorm» angefacht hatte, jetzt stellvertretender Chefredaktor der «Sonntagszeitung»); Thomas Ley (damals wie heute Kadermann beim «Blick» – er hatte auf Anregung von Kunz den ersten Artikel als Frontaufhänger ins Blatt gerückt); Alex Baur (Gerichtsreporter bei der «Weltwoche», der die Empörung über das «Sondersetting» für «Carlos» zunächst brav mitgetragen hatte, nach einem langen Telefoninterview mit dem schwer integrierbaren Jungkriminellen aber die Richtung wechselte – was ihm zurecht den Zürcher Journalistenpreis 2014 eintrug). Kunz und Ley waren von keinem Zweifel angekränkelt: Erwartung der Boulevardzeitung erfüllt, Empörung gegen «Carlos» geweckt, später geschickt ausgedehnt auf den Oberjugendanwalt und den kantonalen Justizdirektor, die beide zutiefst erschraken.

In der Mitte fehlte eine Schlüsselperson: Der SRF-Filmdokumentarist Hanspeter Bäni, der am Sonntagabend des 25. August 2013 das halbstündige Porträt des Jugendanwalts Hansueli Gürber auf SRF 1 ausstrahlen konnte. Gürber, der einem Alt-Hippie gleichende Jurist mit gleichzeitig zwei Familien und einer Schlangenzucht, ein nimmermüder «Jugendversteher», immer bemüht, junge Delinquenten auf einen geraden Weg zu bringen. Nach der Ausstrahlung – und dem «Blick»-Ankick – erhielt er Morddrohungen. Seine Vorgesetzten erteilten ihm Redeverbot, er war krankgeschrieben und wartet nun auf die Pensionierung.

Der «Shitstorm» entfachte sich nicht um Gürbers Frauen und Schlangen, sondern um ein achtminütiges Mittelstück, das – von hinten – den 17-jährigen Straftäter «Carlos» zeigte, umringt «von zehn Sozialarbeitern» (dabei auch Vater und Freunde – hier war Bäni ungenau). Manöverkritik inmitten eines «Sondersettings», das monatlich «22’000 Franken» oder mehr kostete. Oberjugendanwalt Riesen schäumte, er hätte Bänis Film nie bewilligt: zu spät. – Bäni befand sich zum Zeitpunkt der Podiumsdiskussion im Ausland, gab aber zu Protokoll, während des Drehs mit Gürber sei «die Kamera irgendwie bei ‹Carlos› hängengeblieben». Schade, dass der treffliche Bäni nicht kürzer bei Gürbers Familienverschlingungen und länger bei Gürbers Jugendstrafrechtsdoktrin verbleiben mochte.

Links von Britschgi hatten Platz genommen: «NZZ»-Gerichtsreporter Marcel Gyr, «Tages-Anzeiger»-Teilzeitreporterin Liliane Minor (die als erste den Sinn des Spezial-Jugendstrafrechts mit einbezog) und «Das Magazin»-Reporter Matthias Ninck – ihm ist eine sehr ausführliche, von den «Blick»-Kollegen angefeindete Recherche über die journalistischen Arbeitsmotive rund um «Carlos» zu verdanken.

Chronologie einer Boulevard-Story
Es war ein langes Rundgespräch, das Britschgi geschickt immer wieder auf die Grundüberlegungen der Medienleute zurücklenkte. Ich greife nur zwei Rechtfertigungssätze der beiden «Blick»-Akteure in den strategischen Entscheidungsmomenten Ende August 2013 heraus:

1. Was bewog Kunz, der am Sonntagabend eher zufällig auf Bänis Film gestossen war, und seinen Vorgesetzten Ley, am Montagmorgen so einseitig den Motor der Empörungsbewirtschaftung anzuwerfen? Natürlich die Umstände und die Kosten des «Sondersettings». Weshalb nicht unverzüglich einen aussenstehenden Experten aus dem kaum bekannten Feld des Jugendstrafrechts beiziehen? Zitat der «Blick»-Kollegen: «Zwei, drei Tage lang anfeuern und Gas geben, dann Erklärungen liefern» (NZZ).
Die ganz grossen Buchstaben auf der «Blick»-Frontseite vom 27. August 2013: «Sozial-Wahn!». Layout, Titelgebung und Text der Dienstagsausgabe laufen auf «schwere Vorwürfe» an Gürber, Oberjugendanwalt Riesen und Justizminister Graf hinaus, alle drei in einem Wahn befangen: 4½-Zimmerwohnung, Thaibox-Kurse beim Weltmeister. Einzige hilflos anmutende Rechtfertigung Gürbers (aus dem SRF-Film): Bei jedem Besuch habe sich Carlos «positiv entwickelt … ich glaube, wir sind auch zurecht mild». Keiner der drei konnte sich am ersten Tag argumentativ äussern.
«Fairness-Richtlinie» im Journalistenkodex des Schweizer Presserats: Wer von schweren Vorwürfen betroffen ist, muss vor der Publikation angehört und schon im ersten Bericht fair zitiert werden. Kunz, ausweichend: «Ich hatte nur 120 Zeilen zur Verfügung». Hätte Kunz auf die «Fairness-Klausel» gepocht, wäre Ley gewiss noch mit Platz für einen Kasten herausgerückt. − Sogleich startet der «Blick» unter dem Stichwort SOZIALWAHN eine fromme «Umfrage bei den Lesern»: Sind diese hohen Kosten gerechtfertigt?

2. Am Mittwoch der Aufhänger der Frontseite: «Sozialwahn um den Messerstecher (17) – Zu brutal für den Knast». Jetzt darf sich auch «der Chef des spendablen Jugendanwalts», nämlich der Oberjugendanwalt, äussern. Er muss zugeben, dass alles noch schlimmer sei. Das Sondersetting koste pro Monat sogar 29’000 Franken; er könne die Empörung, die sich auf der Leserseite Luft macht, verstehen. Carlos zur Arbeit bringen? Dazu schweigt der Oberjugendanwalt. – Leserumfrage zum SOZIALWAHN. «Der Anwalt gehört vor Gericht». Viele «Blick»-Leser sind empört, 82% empfinden die hohen Kosten als Ohrfeige an die Steuerzahler. Eine Begründung für das Sondersetting und ein Kostenvergleich war ihnen allerdings vorenthalten worden.

3. Am Donnnerstag nochmals ein Frontaufhänger: «Der Staat macht ihn zur Killermaschine – Jetzt sprechen das Opfer des Messerstechers und die Polizisten». Das Opfer des 17-jährigen Messerstechers war ungenügend entschädigt worden: «Carlos» sei «ein Tier», eben eine staatlich aufgepäppelte «Killermaschine». Zudem beunruhigende Warnungen «von verschiedenen Polizeiquellen». Zur Empörungsbewirtschaftung gehört aber auch, dass jetzt noch spurgleiche Politiker aus dem Stall geholt werden. Die Zürcher SVP-Nationalrätin Natalie Rickli etwa «ärgert sich gewaltig. ‹Diese ganze Geschichte ist ein Skandal›». Besonders für sie, die seit Jahren die Platte «Kuschel-Jugendjustiz» abspielt. («Verlangen Sie etwa Zensur?» stichelte einer der «Blick»-Kollegen auf eine entsprechende Frage meinerseits.) Tags darauf dann noch äusserst besorgte Gemeindepolitiker vom Ort, wo «Carlos» – bisher unerkannt – sein Sondersetting absolvierte.

4. Am Freitag verliert die Empörungsmassage an Schwung. «Carlos ist kein Einzelfall – so verwöhnt Zürich seine jungen Gewalttäter». Da habe man doch einen Mutterprügler mit einem Samurai-Kurs belohnt. Übrigens sei der Boxtrainer von «Carlos» ebenfalls vorbestraft. Endlich meldet sich in einem Kasten der kantonale Justizdirektor. Er fordert für nächste Woche einen Bericht. «Offenbar zweifelt nun selbst der Chef …», ist «Blick» erleichtert. Nachdem nicht nur drei, sondern sogar vier Tage Gas gegeben wurde, in Ausdehnung der Strategie von Reporter Kunz.

Nun begann ein zweites Kapitel im Fall «Carlos», das mit einem für die Zürcher Justizgeneräle – und für den «Blick» – beschämenden Bundesgerichtsurteil endete. Beizeiten Gegensteuer gegeben hatten der «Tages-Anzeiger», die «NZZ» und schliesslich auch die «Weltwoche». Nicht um den schlimmen Jungen «Carlos» weisszuwaschen, sondern um die «Carlos»-Saga in den Rahmen des Jugendstrafrechts einzupassen, wo sie hingehört. «Blick»-Kollegen gaben mir herablassend zu verstehen, ich hätte den Unterschied zwischen Presse und Boulevardpresse eben nicht verstanden. Da halte ich es mit Mathias Döpfner, dem obersten Chef des Hauses Axel Springer (zu dem auch «Bild» gehört): Es gibt verschiedene Medienkanäle, aber nur eine Medienethik und per Saldo eine Qualität.

Dieser Artikel erschien zuerst im «Medienspiegel».


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Der Jurist Peter Studer war Chefredaktor des «Tages-Anzeigers» und des Schweizer Fernsehens. Später präsidierte er den Schweizer Presserat. Er schreibt über Medienrecht und Medienethik.

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14 Meinungen

  • am 4.06.2014 um 19:31 Uhr
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    Ich gehe mit der Beurteilung gar nicht einig: Insbesondere der Tagi liess keine Gelegenheit aus, Öl ins Feuer zu giessen mit zum Teil sehr tendenziöser Berichterstattung – und vor allem dadurch, dass Newsnet jedes Mal die Kommentarfunktion öffnete, wo der braune Mob quasi unzensiert seinen Unflat und unbändigen Hass ausbreiten konnte. Und über Wochen jeden Tag ein «neuer» Artikel zum Thema! Auch die hausinternen Forumsregeln wurden ausser Kraft gesetzt – schliesslich bringen viele Kommentare viele Klicks, und das «generiert» Werbeeinnahmen. Ich bin mit etlichen Mails an die Verantwortlichen und den Ombudsmann gelangt und konnte bei drei Artikeln immerhin erreichen, dass das Forum geschlossen wurde – selbstverständlich aber liess man die bereits geschriebenen, grösstenteils wirklich hässlichen Kommentare stehen.
    Nein, der Tagi zählt hier definitiv nicht zu den «Guten", und auch Frau Minor hat versagt: Wie kann eine gestandene, besonnene Journalistin zulassen, dass unter ihren Artikeln derart viel Hass verbreitet werden kann?
    Das hatte nichts zu tun mit ausgewogener Berichterstattung, dafür viel mehr mit mittelalterlichem Pranger. Schlicht eine Schande – und mit ein Grund, warum ich bei Einführung der Paywall kein Digitalabo löste. Man hielt das Thema aus niedersten Gründen am Kochen, scherte sich keinen Deut um die eigene Verantwortung – und um die Auswirkungen auf den derart an den Pranger gestellten Jugendlichen und seine Familie. Widerwärtig.

  • am 5.06.2014 um 10:58 Uhr
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    Bin ich einverstanden damit, dass die Leute, die an den Pranger stellen, an den Pranger gestellt werden? Ich glaube, ja. Der zweite Grad macht es deutlich zivilisierter.

  • am 5.06.2014 um 11:51 Uhr
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    Interessant zu analysieren wäre auch der Herdentrieb im Journalismus. Es braucht ein gerüttelt Mass an Fakten (werden leider immer weniger recherchiert) oder an Courage, redaktionsintern eine gegenläufige Meinung ins Feld zu bringen und sich die Erlaubnis zu holen, an einer Gegenthese zu recherchieren. Wenn die Volksseele kocht, dann schreien in der Regel fast alle Medien gern mit. Hanspeter Bäni übrigens ist ein Beobachter, kein Filmer. Bei ihm wird man das Gefühl nicht los, dass in seinen Reportagen fast alles Filmmaterial immer auch verwertet und mit der einen oder anderen küchenpsychologischen Anmerkung ergänzt wird. Die grössere Einordnung würde bedingen, dass man eben über das Beobachtete hinaus recherchiert. Denn, wie wir nun ja dank dem Fall Carlos alle wissen, sind Plätze im geschlossenen Massnahmevollzug teilweise sogar noch teurer!

  • Portrait_Pirmin_Meier
    am 5.06.2014 um 12:04 Uhr
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    @Pirelli. «Danke", dass diejenigen, denen es wegen 29 000 bzw. 53 000 Franken monatlich den Nuggi raushaut, was objektiv die Kosten sind für die teuersten Typen, zum «braunen Mob» gezählt werden. Man könnte vielleicht wieder mal nachlesen, welche «Sparvorschläge» Lenin machte, der sich nach Monika Stocker angeblich über Putin entsetzen würde, wie man auch nur mit Papierlosen umzugehen hätte. Stalin hat Vorschläge dieser Art extrem wörtlich in die Wirklichkeit umgesetzt. Der CH- Ärger über Carlos u. Co. war absolut flächendeckend, wurde zum Teil von ihm selber geteilt, er wünschte diese Ausgaben selber nicht, und flächendeckender Ärger über einen nicht mehr funktionierenden Justizstaat hat nichts mit braunem Mob zu tun. Auch trugen Blogs wohl zur Annahme beispielsweise der Pädophileninitiative bei. Wahrscheinlich haben die meisten Infosperberleser, weniger die Leserinnen, diese wie ich abgelehnt. Das Verständnis für das Ja hat wiederum gar nichts mit dem braunen Mob zu tun. Die unverblümten Meinungsäusserungen via Blogs sind über alles gesehen selbst aus der Sicht der Aufklärung als Fortschritt anzusehen. In diese Richtung hat sich noch der grosse Philosoph der «Atom"-Kritik und gegen Vietnam, Günter Anders, Exmann von Hannah Arendt, noch kurz vor seinem Tod geäussert. Amerika habe den Vietnamkrieg (zwar ohne Blogs) wegen einer Medienfreiheit, die es im 2. WK noch nicht gab, verloren, wobei Bilder klar stärker gewirkt hätten als z.B. offizielle propagandistische Kommentare.

  • am 5.06.2014 um 14:48 Uhr
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    Herr Meier, vielleicht lesen Sie meinen ganzen Beitrag, statt sich nur auf einen einzigen Begriff zu kaprizieren? Und dann suchen Sie mit der Newsnet-internen Suchmaschine nach den entsprechenden Artikeln und lesen Sie die Kommentare. Mit Verlaub, gerade von Ihnen hätte ich etwas mehr erwartet – und dass Sie meinen hochgeschätzten Anders in diesen wahllosen Rundumschlag miteinbeziehen und die «Carlos"-Geschichte auch nur im Ansatz mit dem Vietnamkrieg vergleichen, spottet jeder Beschreibung.
    Ich kritisiere Studers wohl nostalgievernebelten Blick auf das Verhalten des Tagi in dieser Angelegenheit und ebendieses Verhalten der grössten Schweizer Zeitung an sich. Zum Fall Carlos selbst äussere ich mich nicht – schliesslich geht es in Studers Artikel um Medienkritik. Weshalb Sie sich nun so angegriffen fühlen, entzieht sich meiner Kenntnis – und kann man einen Historiker, der unseren Rechtsstaat fundamental als nicht mehr funktionierend bezeichnet, überhaupt ernst nehmen? Da gehen wohl die Parteipferdchen mit Ihnen durch – weshalb Sie auch wahllos Stocker, Stalin, Lenin und Putin ins Spiel bringen.
    Im Übrigen empfehle ich die Lektüre von Anders’ «Die Antiquiertheit des Menschen» – unter dem Licht dieses Werks würde sich der grosse Denker wohl entschieden gegen eine Instrumentalisierung verwahren, wie Sie sie hier betreiben.
    Ich diskutiere gern weiter – aber nur, wenn Sie tatsächlich auf meine Voten einzugehen imstande sind; und bitte unter Verzicht auf billiges Name-Dropping.

  • Portrait_Pirmin_Meier
    am 5.06.2014 um 15:31 Uhr
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    Mache kein Name-Dropping, habe Buch von Anders von Schülern, freiwillig, als Maturaschwerpunkt lesen lassen, habe nichts für Parteien übrig, sondern kritisiere diese flächendeckend; am Pfingstsamstag können Sie auf http://www.textatelier.com eine scharfe Analyse der Schweizer Rechten ab Schwarzenbachs Zeiten lesen. Ich habe auch nicht Ihre Kritik am Tagi kritisiert, nur Ihr Urteil über die Newsnet-Nutzer als brauner Mob, was nicht heisst, dass dort nicht tatsächlich manchmal Unappetliches zu lesen wäre. Aber ich halte es für berechtigt, dass heute vom Leser nicht mehr einfach geschluckt wird, was in die Medien kommt; dass man endlich darauf reagiert, oft undifferenziert, aber doch so, dass man über alles gesehen – wenn auch nicht repräsentiv – dann und wann einiges erfährt, wie die Basis denkt. Diese hat auch ein Recht, hie und da aufzujaulen. Die Regeln wären ev. noch zu verfeinern. Diese Leute, auch solche die nicht auf Ihrem Niveau formulieren, habe ich vor dem Vorwurf des braunen Mobs in Schutz genommen.

    Name-Dropping liegt nicht vor. Anders hielt vom Niveau des Fernsehens bestimmt nicht mehr wie sein Mitintellektueller, geistig nicht seine Liga, Reich-Ranicki. Anders war aber überzeugt, dass der Nutzen von Fernsehbildern über den Krieg grösser wäre als der Schaden und oft in der Lage, die Propaganda zu konterkarieren. Als Gegner v. «Prinzip Hoffnung» sah er in der Medienrevolution nichtsdestotrotz Chancen für mehr Kritik. Stocker sah ich zuletzt bei Geb.Party linker Freundin.

  • am 5.06.2014 um 15:39 Uhr
    Permalink

    @Sam Pirelli
    Wir hatten ja bereits E-Mail-Kontakt in der Frage der Onlinekommentare. Im Folgenden eine weitere Replik dazu in aller Kürze (Zeichenlimit).
    Bei der Diskussion über den Fall «Carlos» hat uns beim TA in der täglichen Arbeit überrascht, wie sehr das Thema bewegte. Mit grosser Vehemenz äusserten sich dort Leser zum Fall. Ab einem gewissen Punkt, waren wir tatsächlich der Meinung, dass weitere Kommentarspalten der Diskussion nichts mehr hinzufügen. Auch war es eine spürbare Zusatzarbeit für die Freischalter. Aber: Mir als Social-Media-Redaktor ist nichts davon bekannt, dass Kommentarspalten auf Ihre Initiative hin geschlossen wurden.
    Während ich persönlich Ihr Engagement dafür, die Person «Carlos» aus der Schusslinie zu nehmen nachvollziehen kann und für achtenswert halte: Ihre Vorwürfe sind nicht zutreffend. Es ist nicht richtig, dass abgebene Kommentare nicht gesichtet worden wären. Das man aufgrund von Überlegungen zu Klicks oder Werbeinnahmen irgendwelche Kommentarregeln ausser Kraft gesetzt hätte, ist Unsinn und Unterstellung. Im Freischalt-Prozess kam es zu Fehlern kommen. Bei Tausenden eingehenden Kommentaren – zu Stosszeiten bis zu 100 pro Minute – kann es passieren, dass Beiträge ungerechtfertigt freigegeben werden. Wo uns Leser uns auf konkrete Kommentareverstösse aufmerksam gemacht haben, haben wir auch reagiert.
    Und generell: Dass Sie so viele kritische Kommentatoren pauschal als einen «braunen Mob» abstempeln, ist absurd und undifferenziert.

  • Portrait_Pirmin_Meier
    am 5.06.2014 um 15:42 Uhr
    Permalink

    PS. Wenn Sie full metal jacket von Kubrick gesehen haben, wird Ihnen vielleicht klar, dass die Geschichte von Carlos, incl. Ausbildung zur Kampfmaschine und Milieu-Bilder von Macho-Typen, und der Vietnamkrieg mit Kampfszenen im gleichen Medium gezeigt werden. Natürlich waren Carlos› Ausbilder nicht so Schweine wie der berüchtigte Sergeant, sie meinten es gut, was in der Regel aber fast gleich schlimm herauskommt. Kritik am Justizstaat ist das Normalste von der Welt, ist nur in Diktatoren verboten.

  • am 5.06.2014 um 15:51 Uhr
    Permalink

    Ich nehme das zur Kenntnis. Aber fordere Sie gleichwohl auf, die Kommentare zu lesen – da wurde teilweise offen zur Lynchjustiz aufgerufen, es wurde immer wieder gefordert, «Carlos» möge endlich ausgeschafft werden (obwohl es sich beim Jugendlichen um einen Schweizer handelt, was den Kommentierenden aber komplett am Allerwertesten vorbeiging – schliesslich liest man ja nie mehr als Titel und Lead), und man schimpfte generell über alles Linke (obgleich es sich sowohl beim Richter, auf den das Sondersetting zurückging, wie beim Oberjugendanwalt um SVPler handelte). Die Tagi-Artikel waren über weite Strecken darauf angelegt, Empörung zu schüren – das bringt, wie gesagt, viele Kommentare = Klicks = Batzeli. Ich finde die Typisierung «brauner Mob» nach wie vor treffend – die historischen Parallelen dünken mich offensichtlich. Aber daran solls nicht liegen, ich wäre auch mit «ignorante rechte Wutbürgerschaft» einverstanden. «Ignorant", weil die Leute sich weigern, sich auch nur im Ansatz zu informieren – oder eben auch nur die Artikel jeweils zu lesen -, «rechts", weil sie sich meist als SVP-Anhänger bezeichnen und vom von Blocher seit Langem gezielt geschürten Staats- und Bildungshass durchdrungen sind, «Wutbürger", weil sie sich durch nichts anderes mehr leiten lassen als von ihrem Hass und ihrer Empörung. Ich habe über Wochen versucht, mit sachlichen Argumenten Gegengewicht zu geben (wegen Drohungen unter Pseudonym) – allein, man dringt damit nie durch und wird beschimpft.

  • Portrait_Pirmin_Meier
    am 5.06.2014 um 16:02 Uhr
    Permalink

    Die «ignorante rechte Wutbürgerschaft» bildet eine Teilmenge des von Ihnen Beschriebenen. Die Differenzierung lässt zu wünschen übrig, das ist bei Blogs leider in der Mehrheit der Fälle so. Auf Dauer wird dies und jenes dann doch noch zur Kenntnis genommen, ausser bei ebenfalls existierenden realitätsresistenten Vorurteilen. Ich konnte noch in keinem Blog erklären, dass Klaus von Flüe seiner Familie doch nicht davongelaufen sei, da nützt alles nichts. Die Leser einer 600-Seitenbiographie nehmen es zur Kenntnis, bleiben aber in der Minderheit. Der nächste Anlauf ist ein Jugendbuch. Eigentlich aber sollte man über Carlos ein gutes SJW-Heft schreiben, warum nicht, jenseits von Feindbildern, wobei aber die Wut der Bürger mit in die Darstellung gehörte. Wollen Sie es probieren? Die älteren Blogger sind bekanntlich nicht mehr zu ändern, aber die Hoffnung auf die Jugend sollte man nie aufgeben.

  • am 5.06.2014 um 16:08 Uhr
    Permalink

    Guten Tag, Herr Rothenberger. Bei zwei mindestens Artikeln wurde die Kommentarfunktion nach etlichen Mails meinerseits geschlossen – ob das nun tatsächlich kausal auf meine Interventionen beim Ombudsmann und bei der Redaktion zurückging oder es sich um Koinzidenz handelte, entzieht sich natürlich meiner Kenntnis. Die entsprechenden Mails habe ich aber archiviert, und die Artikel mit geschlossenem Forum – aber immer noch sichtbaren Kommentaren! – dürften auf der Newsnet-Site nach wie vor aufzufinden sein. Hier könnte ich den zeitlichen Ablauf lückenlos belegen. Wir können gern auch zusammensitzen, und ich zeige Ihnen all die durchgelassenen, krass den Hausregeln widersprechenden Kommentare. Ich bleibe bei meiner Darstellung: Newsnet hat das Thema bewusst über Wochen mit beinahe täglichen neuen Artikeln befeuert, dabei fast ausnahmslos das Forum geöffnet und Kommentare toleriert, die man sonst nie zugelassen hätte. Lesen Sie ruhig nach.
    Und zu behaupten, ein Medienhaus, das einen aggressiven Wachstumskurs hält und massive Gewinne einfährt, aber trotzdem beinahe im Jahresrhythmus Massenentlassungen vornimmt, liesse sich nicht weitgehend von ökonomischen und nicht ethischen Motiven leiten, ist nachgerade absurd.
    Wie ich in meinem ersten Kommentar schrieb: Tamedia gehört hier sicher nicht zu den «Guten".
    Newsnet ist das grösste Forum der Schweiz, aber es nimmt seine Verantwortung nicht wahr – sonst hätte man gerade in diesem Fall die Foren schlicht nicht geöffnet.

  • am 5.06.2014 um 16:16 Uhr
    Permalink

    So, nun muss ich mich wieder meinem Broterwerb widmen.
    Herr Meier, dies noch: Mit der Erklärung von Bruder Chlausens Verhalten haben Sie mir seinerzeit tatsächlich einen neuen Blickwinkel eröffnet, dafür bin immer dankbar. Ich lerne gern. Ob ich nun der Richtige bin, um über «Carlos» ein SJW-Heft (gibts die tatsächlich noch?) zu schreiben, wage ich zu bezweifeln: Erstens ärgerte auch ich mich über das enorm teure Sondersetting, und zweitens würde so ein Versuch weniger in Neutralität als in zielgerichtete Polemik à la Frischs «Wilhelm Tell für die Schule» münden. Ob das zielführend wäre?

    Besten Abend allerseits!

  • am 5.06.2014 um 17:11 Uhr
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    Herr Pirelli,
    Mir ist bewusst, Ihre Meinung zu unserer Arbeit ist bereits gemacht. Da nützt es wenig, wenn ich Ihnen erneut sage, dass die Kommentaranzahlen für die Freischalter oder unser Ressort keine relevante Kennzahl sind und in diese Richtung kein wie auch immer gearteter, ökonomisch motivierter Druck ausgeübt wird. Was Sie behaupten, stimmt schlicht nicht.
    Bezüglich konkreter Beiträge: Sollten Kommentare online sein, die den Regeln zuwider laufen, sind wir dankbar für einen Hinweis. Die Kontaktdaten von mir und meinen Kollegen haben Sie ja. Ebenso reagieren wir zeitnah auf Feedback via die «Melden"-Funktion.
    Generell vielleicht noch: Es ist eine schwierige Grundsatzentscheidung, ob man eine Kommentarfunktion gar nicht öffnet. Unser Anliegen ist, dieses Mittel möglich wenig einzusetzen.

  • am 5.06.2014 um 17:26 Uhr
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    Herr Rothenberger, es liegt mir fern, Ihnen irgendwelche Unterstellungen zu machen, ich lege einzig meinen persönlichen Eindruck dar. Ich möchte, das schrieb ich Ihnen schon, nicht in der Haut Ihrer Freischalter stecken. Wenn ich aber vergleiche, welche Kommentare (als ich noch welche schrieb) von mir nicht veröffentlicht wurden und was anderen durchgelassen wird, dann stellen sich mir schon Fragen. Mich dünkt, es werde mit verschiedenen Ellen gemessen – und krasse Kommentare mit rechtem Hintergrund genössen eine Vorzugsbehandlung. Mit diesem Eindruck stehe ich auch nicht allein. Er hat dazu geführt, dass etliche eher aufgeklärte KommentaristInnen bei Ihnen nicht mehr schreiben und nun bei vielen Themen ein starker rechter Überhang in den Kommentaren besteht, der weder die Gesellschaft allgemein noch Ihre Leserschaft im Speziellen abbildet.

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