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Der Erfolg einer Operation hängt ab von guter Ausbildung, Teamwork und viel Übung © UCD.Flickr.CC

Jekami: Spitäler gefährden fahrlässig Patienten

Urs P. Gasche /  Etliche Spitäler führen heikle Operationen immer noch weniger als 1x pro Monat durch. Dem Chirurgen und dem Team fehlt die Routine.

Viele Spitäler führten 2013 viele Operationen noch immer zu selten durch, wie aus den neusten Vergleichszahlen des Bundesamts für Gesundheit BAG hervorgeht*. Aus diesem Grund starben manche Patientinnen und Patienten vorzeitig oder erlitten ernsthafte Komplikationen. Besonders bei heiklen Eingriffen sind Routine und eingespielte Spitalteams wichtig – so für Operationen am Herzen, Behandlungen von Schlaganfällen, den Ersatz von Hüft- und Kniegelenken oder für Kaiserschnitte.

Wenigstens 20 Operationen erwünscht

Eine besonders heikle Operation ist das Entfernen der Bauchspeicheldrüse, auch Pankreas genannt. Im Jahr 2013 gab es in der Schweiz insgesamt 779 solcher Operationen. 53 Patientinnen und Patienten starben laut BAG-Statistik noch im Spital.
Trotz des hohen Risikos von Todesfällen und Komplikationen gab es im Jahr 2013 in der deutschen Schweiz immer noch 14 Spitäler, welche diese Operation weniger als zehnmal durchgeführten, sowie weitere 6 Spitäler, weniger als zwanzigmal, also nicht einmal alle vierzehn Tage.

Zehn Eingriffe pro Jahr gelten in Deutschland und andern Ländern als absolutes Minimum. Die Gesundheitsdirektorenkonferenz GDK wollte 2013 den Spitälern vorschreiben, dass sie nach einer Übergangsfrist mindestens 20 Operationen pro Jahr erbringen müssen, um weiterhin einen Leistungsauftrag zu erhalten**. In ihrer Begründung stellte die GDK fest: «Für die Pankreasresektion gibt es gesicherte wissenschaftliche Evidenz, dass Krankenhäuser mit grösseren Behandlungsvolumina eine niedrigere Mortalität und bessere Langzeitergebnisse aufweisen.»

Doch 16 Spitäler (siehe * in der Tabelle) fochten den Beschluss der GDK an. Das juristische Geplänkel hat zur Folge, dass die GDK-Vorgaben noch nicht für alle Spitäler verbindlich sind. Das BAG würde es allerdings «begrüssen, wenn die einzelnen Kantone und die Spitäler den GDK-Beschluss freiwillig umsetzen würden». Spitäler mit weniger als 10 Operationen pro Jahr «sollen auf Pankreas-Eingriffe verzichten».

Weniger Risiken in Universitätsspitälern

Die BAG-Statistik vergleicht die tatsächlichen Sterbefälle mit der je nach Alter und Geschlecht der Patienten zu erwartenden Zahl. Je älter die Patienten, desto komplizierter seien tendenziell die Fälle, weshalb die schwierigen Fälle «durch die Altersstandarisierung mittelbar mit berücksichtigt» seien, meint das BAG. Trotzdem begründen Universitätsspitäler häufigere Komplikationen und Todesfälle oft damit, kompliziertere Fälle zu behandeln.
Umso mehr überrascht es, dass das Risiko einer Operation der Bauchspeicheldrüse in Universitätsspitälern kleiner ist als in andern Spitälern. Es lohnt sich also, für eine Pankreas-Operation ein Universitätsspital oder sonst ein grosses Spital mit hohen Fallzahlen aufzusuchen. Die BAG-Zahlen lassen die Risiken pro Spitalkategorie (Universitäts-, Zentrums und regionale Allgemeinspitäler) über mehrere Jahre hinweg zwar nicht genau berechnen, weil das BAG die Todesfälle von Spitälern, die weniger als zehn Operationen durchführten, nicht veröffentlicht.
«Doch tendenziell gehen Patienten bei Pankreas-Operationen grössere Risiken ein, wenn ein Spital klein ist und es nur wenige Operationen durchführt», erklärt Josef Hunkeler, der die vom BAG veröffentlichte Statistik im Detail ausgewertet hat. Hunkeler war jahrelang Gesundheitsspezialist beim Preisüberwacher.

Spitäler mit geringen Fallzahlen

Unter den Spitälern, die seit Jahren zu wenige der heiklen Bauchspeicheldrüsen durchführen, fallen im Berichtsjahr 2013 einige kleinere Kantonsspitäler sowie Privatkliniken der Hirslandengruppe auf. Im Jahr 2014 hätten Hirslanden-Spitäler, in denen Bauchspeicheldrüsen operiert wurden, mindestens zehn Eingriffe vorgenommen, versichert Sprecher Claude Kaufmann. Hirslanden habe gegen den Beschluss der GDK rekurriert, weil es «keine fixen Schwellenwerte» gebe. Tatsächlich sei jede vorordnete Fallzahl eine willkürliche, lautete bereits 2013 das Fazit eines internationalen Forums über die Qualität der Gesundheitsversorgung in London. Doch generell gelte: Je höher die Fallzahlen, desto weniger Komplikationen und Todesfällen träten tendenziell auf.

Das Kantonsspital Glarus, das gemäss BAG-Zahlen im 2013 nur 3 Pankreas-Operationen vornahm und seit 2008 insgesamt nur 12, will auf diese Eingriffe nicht verzichten: «Wir haben einen entsprechenden Leistungsauftrag vom Kanton», begründet Direktor Markus Hauser. Für die Qualität würden «die aktuellen Fallzahlen genügen». Dank der Anstellung eines Spezialisten für Viszeralchirurgie seien – anders als es die BAG-Statistik ausweist – 2013 sieben Operationen durchgeführt worden, 2014 acht und in diesem Jahr bisher 6. Es gehe schliesslich auch darum, die «Attraktivität des Kantonsspital Glarus für alle Bereiche der Medizin und Pflege als Arbeitgeber zu erhalten», erklärt der Spitaldirektor.

In Holland können Kassen Spitäler ausschliessen

In Holland haben sich die Spitäler schon längst spezialisiert. Es gibt dort, auf einer gleich grossen Landesfläche, im Verhältnis zur Bevölkerung nur einen Viertel so viele Spitäler wie in der Schweiz. «Seit den Neunzigerjahren ist klar, dass die Fallzahlen einen grossen Einfluss auf die Qualität der chirurgischen Eingriffe haben», sagt Jan Maarten van den Berg vom niederländischen Gesundheitsinspektorat. Er überwacht den Erfolg von Operationen in Hollands Spitäler.
Die holländischen Krankenkassen können Spitaloperationen von der Versicherungsdeckung ausschliessen, wenn diese zu selten durchgeführt werden. Das war ein Anreiz für die Spitäler, sich zu spezialisieren. Im Gegensatz zum Schweizer BAG erfasst Holland nicht nur die Todesfälle, die sich während der Operation oder noch während des Spitalaufenthalts ereignen, sondern auch die Todesfälle bis zu einem Monat nach Spitalaustritt. In diesem Zeitraum sterben heute in den Niederlanden nur noch halb so viele Patienten nach der Entfernung der Bauchspeicheldrüse wie noch vor sieben Jahren, freut sich Jan Maarten van den Berg. Wesentlich dazu beigetragen hätten höhere Fallzahlen und das seriöse, kontrollierte Erfassen und Vergleichen von Komplikationen.
In der Schweiz auch bei Kniegelenk-Prothesen ein Jekami
In Deutschland müssen Spitäler über 50 Erstimplantationen von Kniegelenken vornehmen, sonst müssen die Krankenkassen die Eingriffe nicht bezahlen. In der Schweiz haben im Jahr 2013 folgende 16 Spitäler diese Mindestzahl von Operationen nicht erreicht:


Dieser Beitrag erschien am 3. September 2015 im Tages-Anzeiger.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine

Zum Infosperber-Dossier:

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Vermeidbare Arzt- und Spitalfehler

In Schweizer Spitälern sterben jedes Jahr etwa 2500 Patientinnen und Patienten wegen vermeidbarer Fehler.

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