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Altar der Wissenschaft (CERN) und Altar der katholischen Kirche © Cern/sanctamissa

Wahlverwandtschaften von CERN und Vatikan

Kurt Marti /  Die Physiker und der Papst verbindet das gemeinsame Streben nach Metaphysik. Das vatikanische Feindbild heisst Evolutionstheorie.

Im vergangenen November traf sich die Elite der Teilchenphysiker auf Einladung der päpstlichen Akademie der Wissenschaften für vier Tage, um über Teilchen- und Astrophysik zu sprechen. Die Tagung, an welcher rund 60 Teilchen- und Astrophysiker teilnahmen, fand am Sitz der Akademie in der prächtigen Villa Casina Pio IV statt. Mitten im Garten des Vatikan, wenige hundert Meter neben dem Petersdom. Gegründet wurde die Akademie im Jahr 1603. Drei Jahre vorher wurde auf dem Campo dei Fiori in Rom der Philosoph Giordano Bruno im Namen der Inquisition auf dem Scheiterhaufen verbrannt, weil er das heliozentrische Weltbild vertrat.

CERN reiste mit einem Dutzend Physikern in den Vatikan

An der Tagung in Rom nahm auch ein gutes Dutzend Physiker des europäischen Kernforschungszentrums CERN in Genf teil, darunter auch dessen Generaldirektor Rolf-Dieter Heuer. Organisiert wurde die Tagung vom ehemaligen CERN-Physiker Antonio Zichichi, einem begnadeten Wanderprediger der katholischen Theologie und Mitglied der 80-köpfigen Akademie.

Präsident der Akademie ist seit einem Jahr der Basler Mikrobiologe und Nobelpreisträger Werner Arber. Die Akademie berät den Papst in Fragen der Wissenschaft. In der Akadamie sitzen auch der ehemalige CERN-Generaldirektor und Physik-Nobelpreisträger Carlo Rubbia, der Star der Astrophysik Stephen Hawking und Edward Witten, der Herr der Stringtheorie.

Die Beschränkung auf das Falsifizierbare überwinden

Diskutiert wurde laut Traktandenliste über das Standardmodell und das Higgs-Teilchen, schwarze Löcher, dunkle Materie, dunkle Energie, Supersymmetrie, Stringtheorie, Superstringtheorie, M-Theorie und Multiversum-Theorie. Die Vorträge sind noch nicht publik, doch die Sicht des Vatikans zur wissenschaftlichen Vernunft kam bereits an früheren Tagungen der Akademie zum Ausdruck. Als Sprecher des Papstes tat sich dabei der erzkonservative Wiener Kardinal Christoph Schönborn besonders hervor, welcher sich bereits früher mit seiner Anlehnung an die Theorie des «Intelligent Design» in die Nesseln setzte und sich damit in die Nähe der fundamentalistischen Kreationisten manövrierte. Später distanzierte er sich auf öffentlichen Druck davon.

In Anlehnung an frühere Ausführungen von Papst Benedikt XVI. erklärte Schönborn vor der päpstlichen Akademie, dass es bei der Kritik der wissenschaftlichen Vernunft nicht um eine «Rücknahme der Vernunft» gehe, sondern um eine «Ausweitung unseres Vernunftbegriffs und -gebrauchs». Was er mit der Ausweitung der Vernunft meinte, unterstrich er mit einem Papst-Zitat: «Das erfordert die Überwindung der selbstverfügten Beschränkung der Vernunft auf das im Experiment Falsifizierbare».

Neuauflage des kosmologischen Gottesbeweises

Mit anderen Worten, die wissenschaftliche Vernunft braucht eine Erweiterung in Richtung der religiösen Vernunft, wo Experimente keine Rolle mehr spielen. Dem Vatikan geht es nicht primär um Elementarteilchen und Schwarze Löcher, sondern um Metaphysik. Mit ihrem exzellenten Spürsinn für das scheinbar Wesentliche haben die Theologen in Rom längst begriffen, dass die Teilchen- und Astrophysik immer mehr in der dünnen Luft der experimentfreien Metaphysik operiert.

Antonio Zichichi, der wissenschaftlichen Einflüsterer des Papstes, wagte es gar vor der versammelten wissenschaftlichen Prominenz, eine weitere Auflage des kosmologischen Gottesbeweises zum Besten zu geben: «Der Mensch muss erkennen, dass er nicht der Urheber der physikalischen oder biologischen Gesetze ist. Wenn eine fundamentale Logik existiert, dann muss auch der Autor dieser Logik existieren». Aus der Gesetzmässigkeit der Welt folgert der Physiker Zichichi auf die Existenz Gottes.

Auf den Spuren des Schwindlers Claudius Ptolomäus

Ein Blick in die Geschichte der Physik zeigt, dass die Teilchen- und Astrophysiker auf den Spuren des Schwindlers Claudius Ptolomäus wandeln. 100 Jahre nach Christus wurde der griechische Mathematiker und Astronom Ptolomäus, der einflussreichste Astronom aller Zeiten, geboren. Sein geozentrisches Weltbild beherrschte mit Unterstützung der katholischen Kirche mehr als 1500 Jahre das abendländische Denken.

Obwohl sich schon damals die Erde um die Sonne drehte, behauptete Ptolomäus das pure Gegenteil. Und wer eine andere Meinung vertrat, landete im Mittelalter auf dem Scheiterhaufen. Ptolomäus berechnete die Planetenbahnen für damalige Verhältnisse erstaunlich genau voraus, obwohl seine Theorie grundfalsch war. Dieses Kunststück gelang ihm, weil er seine Himmelsbeobachtungen mit komplizierten, mathematischen Basteleien ins gewünschte Korsett zwang, mit den sogenannten Epizikeln oder Zusatzkreisen. Und passten die Beobachtungen und seine Theorie trotzdem nicht zusammen, fälschte er kurzerhand die Daten.

Selbst Kopernikus hatte gegen Ptolomäus keine Chance

Die mathematischen Basteleien und Datenfälschungen von Ptolomäus waren so perfekt, dass im 16. Jahrhundert selbst die heliozentrische Theorie von Nikolaus Kopernikus keine Chance hatte. Erst ein Jahrhundert später entdeckte Johannes Kepler, dass die Planeten nicht auf Kreisen, sondern auf Ellipsenbahnen kreisten. Damit machte er dem Irrlehrer Ptolomäus endgültig den Garaus. Mit Kepler brach eine neue Epoche der Naturwissenschaften an, welche sich auf experimentelle Beobachtungen stützte und diese mit einfachen, mathematischen Formeln und Theorien beschrieb.

Die Erfolgsgeschichte dauerte bis Anfang des 20. Jahrhunderts, als die Quanten- und Relativitätstheorie Furore machte. Nach dem zweiten Weltkrieg jedoch begann eine völlig neue Ära der Physik: Die Suche nach der einzigen Weltformel und dem einzigen Teilchen, aus welchem die Welt aufgebaut sein sollte.

Bill Clinten stoppte den amerikanischen Teilchenbeschleuniger

Was die Wissenschafter heute als grandiosen Erfolg verkaufen, ist eigentlich ein Fiasko. Mit immer grösseren Teilchenbeschleunigern produzieren die Physiker immer mehr kleinste Teilchen. Statt einer schönen Weltformel lieferten sie Gebirge von mathematischen Theorien, deren Erkenntniswert zweifelhaft ist. Der neuste Teilchenbeschleuniger am CERN bei Genf hat die europäischen Staaten sechs Milliarden gekostet und verbraucht 700 GWh Strom, was dem Verbrauch der Stadt Genf entspricht. In einem unterirdischen 27 Kilometer langen Tunnel werden Protonen aufeinander geschossen. Das Jahresbudget beträgt 1,1 Milliarden Franken, wovon die Schweiz rund 27 Millionen Franken übernimmt.

Die Amerikaner waren schlauer: Bill Clinton stoppte den geplanten, amerikanischen Teilchenbeschleuniger Anfang der 90er Jahre, nachdem die Teilchenforscher unter Ronald Reagan vom «Krieg der Sterne» träumten (s.u. Artikel Bilanz 1989). Heute treffen sich die damaligen Forscher allwöchentlich in einem Kaffee-Club und hängen ihren Träumen nach.

Standardmodell: Eine physikalische Theorie ohne Massen

Doch in Genf sind die Teilchenphysiker gewillt, die letzte Ehrenrunde zu drehen und das sogenannte Higgs-Teilchen zu finden, das mit einem Schlag den unüberblickbaren Teilchenzoo auf ein einziges Teilchen reduzieren soll. Wie Ptolomäus vor 2000 Jahren scheut man dafür keinen mathematischen Aufwand. Experiment und Theorie werden krampfhaft zusammengeleimt. Das Standardmodell, wie diese Theorie genannt wird, hat zwei grobe Schwächen: Erstens haben die Elementarteilchen keine Massen und zweiten sind rund 20 Parameter frei wählbar. Das Standard-Modell ist ein Buchhalter-Modell, das den Teilchenzoo zu ordnen versucht, aber sein Erklärungswert ist weit entfernt von jenem der Quanten- und Relativitätstheorie.

Mit einem komplizierten, mathematischen Formalismus versuchen die theoretischen Physiker die fehlenden Massen der Teilchen wieder herzuzaubern. Deshalb postulieren sie das Higgs-Teilchen, welches den Elementarteilchen Masse erst geben soll. In echt ptolomäischer Tradition bauen die Physiker bei Problemen immer weitere Balkone und Erker an das ohnehin überladene Theoriengebäude. Die ptolomäische Gegenrevolution in der Physik hat längst begonnen. Sehr zur Freude des Vatikans.

Statt der grossspurigen Weltbildrevolution ein Stochern im Nebel

Fernsehen und Radio berichten über das CERN meistens im Ton feierlicher Andacht. Es wird leise gesprochen. Man hat das Gefühl dem päpstlichen Segen oder einem Gottesdienst beizuwohnen. In den Berichten der NZZ und des Tagesanzeigers wird das hohe Lied des phantastischen Standardmodells und der präzisesten Wissenschaft gesungen. Obwohl die Suche nach dem Higgs-Teilchen eher mit dem Stochern im Nebel zu vergleichen ist.

Grossspurig versprechen die CERN-Verantwortlichen der zahlenden Öffentlichkeit eine «Revolution des Weltbildes». Sie möchten auch in Zukunft Milliarden Franken für weitere riesige Spielzeuge. Was die Physiker selbst vom phänomenalen Standardmodell halten, erklärte CERN-Generaldirektor Heuer in einem Interview mit dem Tagesanzeiger gleich selbst: «Das Higgs-Teilchen wäre eine grosse Entdeckung. Aber eine fast noch grössere Entdeckung wäre seine Nichtentdeckung». Die Revolution des Weltbildes tönt anders.

«Ich bin überzeugt, dass dies alles Unsinn ist!»

Es ist kein Geheimnis, dass das Standardmodell, das man am CERN bestätigen möchte, bereits ausgedient hat. Sollte das Higgs-Teilchen nicht erscheinen, dann haben die Physiker unzählige Erweiterungstheorien auf Lager, die grösstenteils im Reich der reinen Mathematik und der Metaphysik anzusiedeln sind. Zum Beispiel die Stringtheorie, von der es 101500 verschiedene Versionen gibt, und welche weit entfernt von einer experimentellen Überprüfung ist. Hier beginnt das metaphysische Reich von Professor Edward Witten, dem «Herr der Stringe», wie das Mitglied der päpstlichen Akademie auch genannt wird.

Keiner hat sich maliziöser über die Stringtheorie geäussert als der Nobelpreisträger und Quantenfeldtheoretiker Richard Feynmann (1918 – 1988): «Ich bin überzeugt, dass dies alles Unsinn ist! Es gefällt mir nicht, dass die Stringtheoretiker ihre Ideen überhaupt nicht durch Berechnungen überprüfen. Es gefällt mir nicht, dass sie für alles, was nicht mit dem Experiment übereinstimmt, eine Erklärung aus dem Hut zaubern, womit sie dann sagen: Ja, aber es könnte trotzdem richtig sein.»

Stephen Hawking völlig frei von lästigen Experimenten

Die Stringtheorie ist aber noch nicht das Ende der physikalischen Glücksgefühle. Ihre Erweiterung mündet in die M-Theorie und die Multiversum-Hypothese. Letztere behauptet die Existenz von unzählig vielen Universen mit jeweils unterschiedlichen Naturkonstanten. Wegen der hohen Zahl möglicher Universen, ist es statistisch wahrscheinlich, dass auch ein lebensfreundlicher Treffer darunter ist: Unser Universum. Diese Theorie wird von Stephen Hawking in seinem neusten Buch «Der grosste Entwurf» vertreten.

Völlig frei von lästigen Experimenten folgert er daraus, dass das Universum keinen Anfang hat und aus dem Nichts geschaffen wurde. Man ersetze das Wort «Nichts» mit dem Wort «Gott» und man erinnere sich an die These Kardinal Schönborns von der erweiterten Vernunft, frei von der Beschränkung auf das «im Experiment Falsifizierbare». Kein Wunder, dass der Vatikan die Teilchen- und Astrophysiker anzieht wie der Magnet die Eisenspäne.

Die evolutionäre Ethik geht dem Vatikan ans Eingemachte

Während der Vatikan grosses Gefallen am Treiben der Physiker zeigt, hat er sich hartnäckig auf die Evolutionstheorie eingeschossen. Instinktiv hat der Vatikan erkannt, wo die Gesinnungsfreunde sitzen und wo die gefährlichen Gegner lauern. Papst Benedikt XVI. und Kardinal Christoph Schönborn liessen in ihren Reden vor der päpstlichen Akademie der Wissenschaften keinen Zweifel aufkommen: Die Evolutionstheorie spielt sich als «erste Philosophie» auf. Und das darf sie nicht.

Sie reduziert Metaphysik auf Physik. Papst Benedikt sagte dazu, als er noch Kardinal Joseph Ratzinger hiess: «Alles soll wieder Physik werden. Immer mehr hat sich die Evolutionstheorie als der Weg herauskristallisiert, um Metaphysik endlich verschwinden, die ‚Hypothese Gott‘ überflüssig werden zu lassen». Das tut zwar auch die Physik, aber bei ihr ist die Bewegung gegenläufig. Die Physik löst sich in Mathematik und Metaphysik auf, was den Vatikan freut.

Die Evolutionstheorie hingegen geht der katholischen Kirche ans Eingemachte, sprich an die moralischen Dogmen. Moralisches Verhalten hat sich aus dem tierischen Verhalten entwickelt und wurde nicht durch den Heiligen Geist eingeimpft. Der wissenschaftliche Erklärungswert der evolutionären Ethik ist im Vergleich zu den traditionellen Begründungen der katholischen Kirche und auch der Philosophie beträchtlich. Es ist also kein Zufall, dass zwar Stephen Hawking und Edward Witten in der päpstlichen Akademie anzutreffen sind, nicht aber der Evolutionsbiologe Richard Dawkins.

Ein lupenreines Plädoyer für die Grüne Gentechnologie

Neben Werner Arber sind in der päpstlichen Akademie weitere Biologen vertreten, zum Beispiel der emeritierte ETH-Professor Ingo Potrykus, der als Entwickler des gentechnische veränderten Goldenen Reises gilt. Arber, Potrykus und andere gehen jedoch dem evolutionstheoretischen Konflikt elegant aus dem Weg. Arber beispielsweise wusste dem Vatikan sehr zu gefallen, als er die Genesis im Alten Testament gar als eine Art frühe Evolutionstheorie interpretierte.

Das Interesse der Biologen in der Akademie geht in eine viel pragmatischere Richtung. Sie wollen die katholische Kirche vom praktischen Nutzen der Biologie überzeugen, insbesondere der Gentechnologie. Da staunten die gentech-kritischen, kirchlichen Kreise nicht schlecht, als die päpstliche Akademie vor zwei Jahren ein lupenreines Plädoyer für die sogenannte «Grüne Gentechnologie» ablieferte, also für die Nutzung gentechnisch veränderter Nutzpflanzen. Des Rätsels Lösung hiess: Ingo Potrykus.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

keine

Zum Infosperber-Dossier:

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Der Vatikan und die Katholiken

Auf Papst Benedikt XVI. folgt Papst Franziskus I. Wird er die katholische Kirche reformieren oder konservieren?

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