Kommentar

Sprachlust: Der Markt verwöhnt, der Markt verlangt

Daniel Goldstein © Grietje Mesman

Daniel Goldstein /  »Die Märkte» treten wie Götter auf, «bestrafen» ganze Länder. Wer handelt hier eigentlich? Kann «die Politik» etwas dagegen tun?

Was der Markt nicht alles kann: Der (elektronische) Blick in Deutschschweizer Zeitungen eines einzigen Regensonntags zeigt: Er «hat uns verwöhnt», «gibt nicht mehr her», «ver­langt es» (nämlich Investitionen), und im Plural haben die Märkte «eine Entwicklung antizi­piert». Dass ein Markt, allein oder in ganzer Schar, als handelndes Subjekt daherkommt, ist kei­ne neue Erscheinung, aber die Finanzkrise hat wohl dazu geführt, dass sich derartige «Markttätigkeit» im allgemeinen Sprachgebrauch häuft.
Diese Erscheinung ist in den letzten Monaten auch in Zeitungskolumnen aufgegriffen wor­den, die sich nicht speziell mit sprachlichen Fragen beschäftigen, sondern in einem Fall mit psychologischen, im andern gar mit «der Wahrheit». Und in beiden Fällen wurde konsta­tiert, dass die Märkte, von denen so die Rede ist, nicht nur tatkräftig zupacken können, son­dern schier allmächtig sind, gottähnlich, mithin menschlichem Einfluss entzogen. Der Sprachge­brauch kann dazu beitragen, dass sie so wahrgenommen werden, aber er steht kaum am Ursprung solcher Verabsolutierung des Markts als Weltenlenker.
Nicht nur der Markt tut’s
Dieser Ursprung liegt eher darin, dass der Marktwirtschaft mit der Abdankung des Kom­munismus (zumindest als Wirtschaftssystem) die Konkurrenz abhanden gekommen ist: Der Markt für ökonomische Modelle funktioniert nicht mehr. Aber jener Markt, der sich als Modell weitgehend durchgesetzt hat, tut nach wie vor nichts selber – das besorgen immer noch jene, die an ihm teilnehmen, und in verstärktem Mass jene, die dabei den Ton ange­ben. Nur weiss man oft nicht, wer sie sind – und es kann sein, dass just sie besonders gern den Markt als Täter darstellen, damit sie selber im Dunkeln bleiben.
Aber es braucht keine solche Verschwörungstheorie, um das Sprachbild vom handelnden Markt zu erklären: Es ist durchaus üblich, eine Entscheidung dem Mechanismus zuzu­schreiben, mit dem sie getroffen wird: Über den Cupsieger entscheidet der Final, bei Un­entschieden muss das Penaltyschiessen es tun. Die Auszählung entscheidet darüber, wer eine Wahl gewinnt, und statt Elfmetern gibt’s wenn nötig einen Losentscheid. Es kann sein, dass dabei geschummelt wird – aber das wäre keine sprachliche Schummelei.
Auch die Politik kann in dieser Weise zum Handlungsträger werden, gerade wenn gefordert wird, sie müsse den Markt in die Schranken weisen oder ihm zumindest Leitplan­ken setzen. Die gleiche Auswahl sonntäglicher Publikationen zeigt: Die Politik «sollte Pro­bleme anpacken», ein Fussballclubpräsident will von ihr Unterstützung, eine Studie ist an sie adressiert, sie «hat die Initiative unterschätzt». Nur unterstellt der Politik kaum jemand Allmacht, und man weiss – zumindest besser als beim Markt –, wer dahintersteckt.
Wenn die Politik «marktet»
Besonders hübsche Blüten kann die Sprache treiben (auch sie handelt!), wenn von marktwirtschaftlicher Re­gelung politischer Vorgänge die Rede ist – zum Beispiel in der Woche vor jenem Sonntag im Berner Stadtrat: Das Gemeindeparlament beriet über den Lohn von Regierungsmitglie­dern, und laut einem SVP-Sprecher «spielt der Markt» für Gemeinderäte, denn schon beim geltenden Lohn bewürben sich 13 Leute um die 5 Sitze.
Es ging aber auch darum, dass die Löhne für Chefbeamte auf dem Markt für derartige Könner und Könnerinnen nicht mehr konkurrenzfähig seien. Und dass man den Gemeinderäten doch nicht weniger Lohn geben könne als den ihnen unter­stellten Amtschefs. Eine FDP-Frau begründete dies mit der «natürlichen Lohnhierarchie», ein SP-Mann mit dem «Primat der Politik». Ja gewiss: Man hat ja bei den Banken gesehen, wohin es führt, wenn Finanzmarkt-Tausendsassas widernatürlich mehr verdienen als ihre Chefs. Und dass die Po­litik ihren Primat bekräftigen muss, indem sie gewählten Garanten des Gemeinwohls marktgerecht mehr Lohn zuteilt als angestellten Managern, ist auch nicht frei von Ironie.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Redaktor der Zeitschrift «Sprachspiegel»; Verfasser der Kolumne «Sprachlupe», alle 14 Tage in der Zeitung «Der Bund».

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Sprachlupe: Alle Beiträge

Daniel Goldstein zeigt, wie Worte provozieren, irreführen, verharmlosen – oder unbedacht verwendet werden.

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