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Sind die Gewerkschafts-Aktivitäten der Arbeiter schuld an der Schliessung einer McDonald's-Filiale? © pixabay

McDonald’s stellt aufmüpfige Arbeiter auf das Abstellgleis

Tobias Tscherrig /  Das Klima in den McDonalds-Filialen in und um Marseille ist mehr als schlecht. Nun kommen streitbare Angestellte unter die Räder.

In Saint-Barthélemy, einem Quartier im nördlichen Stadtteil von Marseille, macht eine McDonald’s-Filiale dicht. Sie wird an ein Unternehmen verkauft, das am selben Standort ein asiatisches Halal-Restaurant eröffnen wird. Die Angestellten der Filiale sind landesweit für ihren erfolgreichen Arbeiterkampf bekannt – nun reichen sie vor Gericht Beschwerde wegen versuchtem Betrug ein. Sie vermuten, dass «McDonald’s Frankreich» sie loswerden will und die Filiale deshalb an einen mysteriösen Käufer veräussert hat.

«McDonald’s Frankreich» argumentiert dagegen mit finanziellen Verlusten.

Epizentrum des gewerkschaftlichen Kampfes
Die Angestellten der betroffenen Filiale geniessen bei der McDonald’s-Belegschaft von ganz Frankreich ein hohes Ansehen. Sie sind als streitbar bekannt, sind seit Jahren gewerkschaftlich organisiert und haben ihre Forderungen gegenüber der Führung von «McDonald’s Frankreich» regelmässig erfolgreich durchgedrückt. Mithilfe von Streiks und anderen Aktionen schufen sie die Arbeitsbedingungen, die sie für vertretbar halten: 13. Monatslohn nach dem ersten Dienstjahr, Unterstützungszahlungen, vierteljährliche Prämien und weitere Vergünstigungen.

Der McDonald’s von Saint-Barthélemy ist nicht einfach nur irgendeine Fastfood-Filiale eines global tätigen Unternehmens. Es ist die streitbarste Filiale in ganz Frankreich und deshalb auch die Filiale mit den besten Sozialleistungen. Kurz: Das Epizentrum des Gewerkschaftskampfes bei «McDonald’s Frankreich». Die Angestellten, von denen manche bereits seit über 20 Jahren in «ihrem» McDonald’s arbeiten, sind in Frankreich zum Symbol für erfolgreichen Arbeiterkampf geworden.

Raphaël Million, Gewerkschafter bei «Solidaire» und regelmässiger Unterstützer bei Arbeitskämpfen von McDonald’s-Angestellten in Paris, bestätigt gegenüber «mediapart»: «Sie sind sehr aktiv und haben seit vielen Jahren eine aussergewöhnliche gewerkschaftliche Koalition aufgebaut. Dadurch konnten sie beeindruckende Rechte erkämpfen, die denen in anderen McDonald’s-Filialen weit überlegen sind.»

Beschwerde wegen versuchtem Betrug
Eigentlich hätte die Filiale in Saint-Barthélemy am 7. August definitiv geschlossen werden sollen. Aber die Angestellten wehrten sich – auf mehreren Ebenen. Sie mobilisierten nicht nur die Bevölkerung zu zahlreichen Protestaktionen, sondern holten sich auch die Unterstützung von mehreren Politikern. Daneben gingen sie juristisch gegen McDonald’s vor und reichten am 19. Juli bei einem Gericht unter anderem eine Beschwerde wegen versuchtem Betrug ein.

«Für uns handelt es sich um eine betrügerische Handlung, die darauf abzielt, das Restaurant um jeden Preis aus dem Umfeld von McDonald’s herauszuholen», sagt Ralph Blindauer, der Anwalt der Angestellten gegenüber «mediapart».

Die Vorwürfe der Angestellten sind happig: Sie glauben, dass «McDonald’s Frankreich» seine unbequemsten Arbeiterinnen und Arbeiter loswerden will. Ausserdem glauben sie nicht an die Seriosität des neuen Besitzers. Sie sehen den Verkauf der Filiale als Vorwand, damit das Epizentrum des gewerkschaftlichen Protests bei McDonald’s vernichtet werden kann.

Mysteriöses Halal-Unternehmen kauft Filiale
Das Restaurant in Saint-Barthélemy gehört zu einer Gruppe von sechs McDonalds-Filialen, die sich zur Hälfte im Besitz von «McDonalds Frankreich» und zur Hälfte im Besitz des Franchise-Nehmers Jean-Pierre Brochiero befindet. Dieser gab am 7. Mai bekannt, dass er alle seine Restaurants verkaufen werde.

Fünf der Filialen werden an einen anderen Franchise-Nehmer aus Marseille verkauft, der sie als McDonalds-Restaurants weiterführen wird. Nicht aber die Filiale von Saint-Barthélemy, die komplett weiterverkauft wurde und schon bald in ein asiatisches Halal-Restaurant umgewandelt werden soll. Viel mehr wissen die Angestellten nicht.

Denn der Käufer, «Hali Food & Co», ist in Frankreich gänzlich unbekannt. Den einzigen Hinweis, den die Angestellten erhalten haben, besteht aus einem Eintrag in das tunesische Handelsregister, der im März vollzogen wurde. «Uns wird gesagt, dass das Unternehmen in Frankreich erst nach Abschluss des Projekts entstehen wird», sagt Christophe Lomonaco von der Gewerkschaft «CFE-CGC».

Unklar ist auch die Identität der Leitung von «Hali Food & Co». Gemäss «mediapart» sind in einigen bereitgestellten Dokumenten mehrere Namen ersichtlich, darunter zwei, die mehrmals vorkommen. Allerdings sei auch damit nicht klar, wer das Unternehmen eigentlich führe. Überhaupt seien die Dokumente, darunter eine Marktstudie und eine Absichtserklärung, ziemlich dürftig und schlecht verfasst, schreibt «mediapart».

Es sind nicht die einzigen Ungereimtheiten des Projekts. So soll der Pachtvertrag mit McDonalds voraussichtlich am 7. August beendet werden. Im Anschluss sollen während rund zwei Monaten Umbauarbeiten durchgeführt werden, die laut dem jetzigen Franchise-Nehmer Brochiero, rund 500’000 Euro kosten sollen. «Unseres Wissens wurde aber keine Baugenehmigung eingeholt, ausserdem wurde keine Anfrage zu Teilarbeitslosigkeit gestellt», sagt Kamel Guemari, Gewerkschaftsvertreter von «FO» gegenüber «mediapart».

Zukunft der Arbeitnehmer ist ungewiss
«Ich war sehr daran interessiert, einen Käufer mit einem Projekt zu finden, das breit abgestützt ist und das die besten Anstellungsbedingungen bietet», sagt Brochiero gegenüber «mediapart». Dies sei beim asiatischen Halal-Restaurant der Fall, da hier auch zukünftig 70 Angestellte beschäftigt werden könnten. «McDonalds Frankreich» stellt sich auf denselben Standpunkt und sagt auf Anfrage von «mediapart»: «Dieses Veräusserungsvorhaben (…) bietet bestmögliche Garantien für den Erhalt der Arbeitsplätze (…).»

Diese Versicherung reicht weder den Angestellten noch den Gewerkschaften. Trotz zeitintensiven Treffen mit ihrem derzeitigen Chef, haben die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter das Gefühl, dass sie von ihrem Management nur wenige konkrete Antworten auf ihre Zukunftsaussichten erhalten haben. Brochiero sieht das anders: «Während drei Monaten haben die Personalvertreter 383 Fragen zu der geplanten Kaufübertragung gestellt. Sie haben 383 detaillierte Antworten erhalten.»

«Die angeblichen Käufer weigern sich, ihre Pläne zu erläutern», sagt dagegen Lomonaco von der Gewerkschaft «CFE-CGC» und bezeichnet das Projekt als «Humbug». Auch für die Arbeitnehmervertreter lässt das Vorgehen von McDonald’s nur einen Schluss zu: Mit dem Verkauf wolle McDonald’s alle Verantwortung abgeben – auch diejenige, die Angestellten zu entlassen und einen guten Sozialplan auf die Beine zu stellen. Ein qualitativ guter Sozialplan koste zwischen fünf und zehn Millionen Euro, heisst es in der Beschwerde vom 19. Juli.

Filiale ist defizitär
Das McDonald’s-Restaurant in Saint-Barthélemy fährt seit Jahren Verluste ein. Seit 2013 sollen pro Jahr zwischen 480’000 und 890’000 Euro fehlen, schreibt «mediapart». Der aktuelle Franchise-Nehmer Jean-Pierre Brochiero gibt die kumulierten Verluste seit 2009 mit 3,3 Millionen Euro an.

Diese wiederkehrenden und signifikanten Verluste würden dem neuen Käufer ein starkes Argument für die Schliessung geben, vermuten die Angestellten – auch wenn die Gewerkschaften sagen, dass ein Grossteil der Verluste auf die umfangreichen Arbeiten an einer nahe gelegenen Umgehungsstrasse zurückzuführen seien. Arbeiten, die unter anderem auch die Sperrung des McDonalds-Parkplatzes und die Schliessung des McDrive nötig machten.

Angestellte sorgen sich um andere Filialen
Dass die McDonald’s-Angestellten und ihre Vertreter in Saint-Barthélemy derart streitlustig sind und im Kampf gegen den Verkauf des Restaurants alle verfügbaren Register ziehen, weist auch auf die Wichtigkeit des Betriebs für die Region hin. Im Herzen der nördlichen Viertel von Marseille gelegen, ist diese McDonald’s-Filiale seit über 20 Jahren einer der sichersten Arbeitgeber der Region. «Hier ist diese Arbeit kein Job für Studenten oder Saisonarbeiter, sondern oft die einzige Möglichkeit für Väter und Mütter, ihre Kinder zu ernähren», sagt «FO»-Gewerkschafter Kamel Guemari gegenüber «mediapart».

Die Arbeitnehmervertreter sagen aber auch, dass sie sich Sorgen um die rund 300 Angestellten der fünf Restaurants machen, die im gleichen Zug verkauft, im Gegensatz zur Filiale in Saint-Barthélemy aber als McDonalds-Filialen weitergeführt werden. Sie werden an den Franchise-Nehmer Mohamed Abassi übergeben, der bereits acht weitere Filialen in Marseille führt. Gemäss «mediapart» hat Abassi in der kleinen französischen Fastfood-Welt einen schlechten Ruf. Im Mai hatten mehrere Mitarbeiter gegen seine Methoden protestiert: Nach der Übernahme eines Restaurants entliess er während der Probezeit die Mitarbeiter und trennte sich trotz 25-jähriger Betriebszugehörigkeit von zwei Führungskräften.

Nach ihrer Wiederanstellung erwähnten Mitarbeiter die plötzliche Präsenz von Sicherheitsleuten, deren Anwesenheit sie als Warnung vor gewerkschaftlichen Aktivitäten interpretierten. Gegenüber «mediapart» wollte Abbassi keine Fragen beantworten. Im kleinen Rahmen habe er aber kürzlich davon gesprochen, alle Arbeitsplätze – auch diejenigen der Gewerkschafter – erhalten zu wollen, schreibt «mediapart».

Drohungen, Schutzgeld, Erpressung
In den McDonald’s-Filialen in und um Marseille ist das Klima mehr als schlecht. Sowohl von Arbeitnehmer- als auch von Arbeitgeberseite gab es Einschüchterungsversuche. Einige Arbeitnehmervertreter gaben an, unter Druck gesetzt worden zu sein. CFE-CGC-Gewerkschafter Christophe Lomonaco hat seit Mai zwei Beschwerden wegen Drohungen eingereicht.

Auf der anderen Seite berichten Arbeitgeber und Franchise-Nehmer, sie hätten physische und telefonische Drohungen erhalten. So soll es auch «Hali Food & Co», dem Käufer der McDonald’s-Filiale in Saint-Barthélemy, ergangen sein. Andere Franchise-Nehmer prangerten Erpressungsversuche durch Gewerkschafter sowie die Erpressung von einer «Art Schutzgeld» an.

Die neuerliche Beschwerde der Arbeitnehmer, sowie die verschiedenen anstehenden Gerichtsverhandlungen im Fall «Saint-Barthélemy», werden diese Spannungen nicht verringern.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

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