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Ein jugendlicher Zuckerarbeiter im indischen Gliedstaat Maharashtra © xyz fotos/Depositphotos

Gericht: Pepsi-Cola und Coca-Cola beuten Menschen aus

Josef Estermann /  Die skandalösen Arbeitsbedingungen der Zuckerarbeiter in Maharashtra sind seit 2020 bekannt. Nun müsste die Regierung aktiv werden.


Urteil des Obersten Gerichtshofs von Mumbai

Was die «New York Times» und das Fuller Project in jahrelangen Recherchen aufgedeckt haben (Infosperber berichtete darüber), ist jetzt gerichtsnotorisch: Der Oberste Gerichtshof von Mumbai (ehemals Bombay) hat die schweren Menschenrechtsverstösse auf den Zuckerrohrfeldern des Gliedstaates Maharashtra, dessen Hauptstadt Mumbai ist, im vergangenen März bestätigt und fordert von der Regierung des Bundesstaates entsprechende Massnahmen.

Zwar hat das Gericht keine direkten Befugnisse, seine Urteile auch zu vollstrecken. Die Regierung müsste für bessere Arbeitsbedingungen sorgen. Aber verschiedene Interessengruppen, die sich mit dem Arbeitsrecht beschäftigen, sind der Meinung, dass das Urteil für die Zukunft von grosser Bedeutung ist. 

Dies könnte auch die Unternehmen dazu bringen, auf die Einhaltung der Menschenrechte in ihren Lieferketten zu achten, wie es etwa das deutsche Lieferkettengesetz oder die neu aufgelegte Konzernverantwortungsinitiative in der Schweiz verlangen.

Erstmalige Anerkennung eines ausbeuterischen Systems

Das Gerichtsurteil hat erstmals offiziell anerkannt, dass das bestehende System von Ausbeutung und Zwang in Maharashtra geändert werden muss. Das Gericht hielt fest, dass die Zwischenhändler, welche die Wanderarbeiterinnen und Wanderarbeiter vermitteln, das Arbeitsverhältnis regulär als Vertrag zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer registrieren müssen. Die bestehende Lücke hat es bisher Unternehmen vor Ort und international tätigen Konzernen erlaubt, jegliche Verantwortung für Zuckerrohrschneiderinnen und -schneider abzulehnen.

Das Gericht forderte zudem die Abschaffung des so genannten «Koyta»-Systems. Dabei geht es um eine gängige Praxis, wonach Ehepaare gemeinsam Zuckerrohr schneiden, die Männer aber meistens den Lohn für beide bekommen und so ihrerseits die Frauen unter Kontrolle halten können.

Skandalöse Zustände

Oxfam hatte 2020 zum ersten Mal die Missstände aufgedeckt. Unter anderem geht es um Schuldknechtschaft, erzwungene Entfernung der Gebärmutter bei Zuckerrohrschneiderinnen, Kinderarbeit, Zwangsverheiratung Minderjähriger und Entführungen. Die Arbeiterinnen und Arbeiter auf den Zuckerrohrfeldern von Maharashtra im Westen Indiens erhalten bei Vertragsbeginn einen Vorschuss oder Kredit, den sie durch ihre Arbeit zurückbezahlen müssen. Der Druck ist derart gross, dass die meisten nicht nur auf freie Tage oder Reisen, sondern auch auf Arztbesuche und im Fall von Kindern auf den Schulbesuch verzichten.

Wenn jemand ausschert, wird er oder sie gnadenlos verfolgt, erpresst und sogar entführt. Viele fürchten um ihr Leben. Um Frauen gefügig zu machen, wird ihnen im Rahmen eines Routinebesuchs beim Arzt die Gebärmutter entfernt; somit setzt die Menstruation aus, und sie können auf den Zuckerrohrfeldern unbegrenzt als moderne Sklavinnen ausgebeutet werden. Kinder von zwölf Jahren werden zum Teil zwangsverheiratet. Die Arbeiterinnen und Arbeiter auf den Zuckerrohrfeldern befinden sich in einer Schuldenspirale, aus der es kein Entrinnen gibt.

Die Konzerne und die Regierung leugnen die Missstände

Die beiden wichtigsten Konzerne, die den Zucker verarbeiten, der auf den Feldern von Maharashtra geerntet wird, sind die Coca-Cola-Company und Pepsico, das unter anderem Pepsi-Cola herstellt. Nach Angaben der Koalition für Konzernverantwortung und des Recherchekollektivs WAV mischt auch ein Schweizer Konzern mit: der Genfer Rohstoffhandelskonzern Louis-Dreyfus-Company. Diese weltweit tätigen Unternehmen haben bisher geleugnet, dass es in ihren Lieferketten Missstände gebe und dabei Menschenrechte verletzt würden.

Schwacher Wille zur Umsetzung des Gerichtsurteils

Die Regierung des indischen Gliedstaates Maharashtra, die politisch für die Kontrolle der Arbeitsbedingungen und die Umsetzung von Verbesserungen zuständig ist, blieb bisher untätig. Die Politiker sind der Meinung, dass eine Änderung des Arbeitssystems die Gewinne der Zuckerindustrie verringern und die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen beeinträchtigen würde.

Würde das vom Obersten Gericht in Mumbai im März gefällte Urteil tatsächlich umgesetzt, könnten künftig alle Arbeiterinnen und Arbeiter auf den Zuckerrohrfeldern gemäss indischem Arbeitsrecht einen Mindestlohn, Freizeit und die nötigen Schutzmassnahmen einfordern. Damit wären die momentan grassierende Schuldknechtschaft oder der Arbeitsplatzverlust bei einem Arztbesuch nicht mehr länger möglich. Zudem hätten sie ein Recht auf sauberes Trinkwasser, sanitäre Einrichtungen und Energie für das tägliche Leben.

Staatliche Stellen haben seit der Bekanntgabe des Urteils angefangen, mit Gewerkschaftsvertretern über die Verbesserung der Arbeitsbedingungen von Zuckerrohrarbeiterinnen und -arbeitern zu beraten. 

Pepsico lehnt bis heute eine Stellungnahme ab, Coca-Cola reagierte gar nicht auf eine entsprechende Anfrage.

Chandan Kumar, ein Gewerkschaftsführer der India-Sugar-Industry-Workers-Association, meinte nach den ersten Verhandlungen mit den Regierungsbehörden, dass die staatliche Zuckeraufsichtsbehörde wahrscheinlich einen Ausschuss zur Überwachung der Änderungen bilden werde. Bis zum Beginn der Zuckerernte im Herbst müssen die Behörden Massnahmen ergreifen und die Einhaltung der vom Obersten Gericht beschlossenen Vorschriften in einem Bericht festhalten.

«Dies ist ein historischer Moment, eine historische Chance, in der das Gericht auf wesentliche Veränderungen gedrängt hat», sagte Kumar. «Das Rechtssystem hat alle unsere Forderungen legitimiert.» 

Allerdings hält es der Menschenrechtsaktivist und Gewerkschaftsführer für nicht sehr wahrscheinlich, dass das Urteil vom März ausreichen wird, um einen systemischen Wandel in der Zuckerindustrie herbeizuführen.

Druck auf transnationale Unternehmen

Es brauche auch Druck auf die transnational tätigen Unternehmen wie Coca-Cola oder Pepsico, sich den Normen im Arbeitsrecht anzuschliessen, wie es etwa das US-Fair-Food-Program vorsieht. «Wir haben ihnen gesagt, wenn sie bis November keine Korrekturen vornehmen, werden wir über all ihre Lügen und Verfehlungen berichten», sagte Kumar.

Der Menschenrechtsanwalt Mihir Desai, der vom Gericht beauftragt wurde, die Öffentlichkeit über das besagte Urteil zu informieren, wäre schon zufrieden, wenn auch nur 20 Prozent des Urteils umgesetzt würden. «Es ist ein sehr, sehr wichtiges Urteil», sagte er. «Das einzige Problem ist die Umsetzung. Die Regierung wird keinen Finger rühren, wenn sie nicht dazu gezwungen wird, und das muss an der Basis geschehen.»


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