Kommentar: Zoll-Deal, wie die Schweiz ihren Illusionen erliegt
Was am ersten August als diplomatischer Affront aus Washington über den Atlantik gekommen war, entwickelte sich hierzulande innert Stunden in ein publizistisches Erdbeben. Die von Donald Trump damals verhängten Strafzölle – in ersten Meldungen zu einem dramatisch zugespitzten «39-Prozent-Hammer» hochgeschrieben – lösten keine sachliche wirtschaftspolitische Debatte aus, sondern erregte die Medienlandschaft in zuvor kaum gesehenem Ausmass.
Kaum war der Entscheid der amerikanischen Regierung über die Ticker gelaufen, schickten sich die Autoren der Kommentarspalten an, das Ende der helvetischen Exportnation auszurufen; von einem «historischen Debakel», der «grössten Niederlage seit Marignano» oder gar von einem «Selenski-Moment» war die Rede, als sei die Schweiz überraschend in ein geopolitisches Desaster hineingeschlittert.
Medialer Wettbewerb der Weltuntergangspropheten
Über Nacht wurde aus Bundespräsidentin Keller-Sutter, der eben noch als souveräne Brückenbauerin Gefeierten, eine angeblich naive Optimistin. Sie habe «ihre speziellen Kanäle» nach Washington überschätzt und geglaubt, einen guten Deal für das Land machen zu können. Zynische, aber wenigstens kreative Kolumnisten zeichneten Bilder, die aus einer seichten Kochshow hätten stammen können: Die berühmten Schweizer «Drähte» seien nichts als zerkochte Spaghetti gewesen.
Parallel dazu lieferten sich Weltuntergangspropheten in Online-Foren einen regelrechten Wettbewerb um das extremste Szenario. Manche machten das Ende der Neutralität aus, andere sahen gleich den Untergang der gesamten Schweiz voraus. Kaum jemand ordnete die Lage nüchtern ein. Während Trump-kritische Stimmen die Episode als Quittung für eine allzu nachgiebige Haltung deuteten, stimmten andere ein Loblied auf nationale Sonderwege an. Die «Zollposse» wurde zu einer Projektionsfläche, an der sich praktisch jede politische Strömung politisch abarbeiten konnte.
Nachdem sich der erste Pulverdampf verzogen hatte, traten unverhofft milliardenschwere Vertreter von Pharma-, Industrie- und Rohstoffhandelsfirmen ins Rampenlicht. Wirken sie sonst eher diskret im Hintergrund, präsentierten sie sich plötzlich als selbsternannte «Rettungskommandos». Mit öffentlichkeitswirksam inszenierten Besuchsreisen, protzigen Geschenken und scheinbar eigens geschnürten Investitionspaketen signalisierten sie Verhandlungsbereitschaft.
Privatisierung der Schweizer Aussenpolitik?
Eindrückliche Fotos sollten zeigen, wie weit sie es gebracht hätten und wie nahe sie dem selbsternannten «Sonnenkönig» Trump gekommen seien. Im Grunde genommen aber legen diese nur nahe, dass sie nicht aus staatsbürgerlicher Pflicht, sondern vielmehr aufgrund von knallharten geschäftlichen Eigeninteressen interveniert hatten. Wen wird überraschen, dass kritische Beobachter von einer «Privatisierung der Schweizer Aussenpolitik» sprachen. Schliesslich führten sie ihre Verhandlungen hinter verschlossenen Türen. Sie entzogen sich so jeder demokratischen Kontrolle, während die Risiken auf den Rest des Landes abgewälzt werden.
Als es schliesslich auf politischer Ebene zu einer Einigung kam und die Zölle auf amerikanischen Importen aus der Schweiz vorläufig auf entschärfte 15 Prozent gesenkt wurden, schwenkte die Kommentatoren-Gemeinde schlagartig um. Wer vorher noch den wirtschaftlichen Untergang beschworen hatte, wurde plötzlich zum abgeklärten Realisten. Die Regierung lobte «produktive Gespräche», Wirtschaftsverbände schwärmten vom gewonnenen Spielraum, und die Milliardäre waren wahlweise Visionäre oder selbstherrliche Strippenzieher.
Die Episode legt eine altbekannte Schwäche der Schweiz frei: Sie ist zwar in toto wohlhabend, normalerweise gut vernetzt und stolz auf ihre diplomatische Tradition. Auf der anderen Seite macht sie sich regelmässig Illusionen darüber, welchen Einfluss sie in geopolitischen Machtspielen, in denen mächtige Waffenarsenale die entscheidenden Argumente sind, wirklich besitzt.
Die Schweizer Medienlandschaft macht sich lächerlich
Die Medienlandschaft macht es nicht einfacher. Sie neigt im vom Klickbaiting und oberflächlichen Storytelling getriebenen Umfeld zu masslosen, völlig an den Fakten vorbeigehenden Übertreibungen, sobald internationale Turbulenzen auf die eigene Wirtschaft zurückschlagen. Sei es im Zusammenhang mit Zöllen oder mit der Bestellung von Zügen.
Und dann bleibt noch die Rolle jener Milliardärs-Oligarchen, die sich gerne als Nothelfer inszenieren. Vielfach drängt sich der Verdacht auf, sie engagierten sich primär für ein Vaterland im Miniaturformat: eines, das sich vor allem mit ihren eigenen wirtschaftlichen Interessen deckt. Für den Rest des Landes bleibt vorerst nur die Hoffnung, dass der Deal die gröbsten Erschütterungen abgefangen hat. Ob die Schweiz und ihre Medienlandschaft daraus eine Lehre ziehen, steht auf einem anderen Blatt.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
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