Kitas: Dieser Schuss geht hinten hinaus
«Über 57’000 Franken im Jahr – Eltern ächzen unter hohen Kita-Rechnungen». Das war am Montag die Hauptschlagzeile im Tages-Anzeiger. Noch am selben Tag beschloss der Nationalrat, in den nächsten vier Jahren 200 Millionen Franken zur Finanzierung der Kitas beizutragen. Das Anliegen der Kita-Lobby ist verständlich: Die Betreuung von Kleinkindern erfordert Zeit. Zeit, während der ein Elternteil kein Geld verdienen und entsprechend weniger in die Altersvorsorge einzahlen kann. Das ist deshalb ungerecht, weil es vor allem die Frauen trifft. Die Alliance F schreibt dazu: Mit Bundesgeldern für die Kitas würden die «Familienbudgets in Zeiten der Teuerung entlastet und Anreize für eine Pensums-Erhöhung geschaffen.» Natürlich fehlt auch nicht der Hinweis auf die «von der Wirtschaft dringend benötigten Fachkräfte».
Doch geht die Rechnung wirklich auf?
Rechnen wir: Eine Familie mit – für die Erhaltung der Art nötigen – zwei Kleinkindern (wovon ein Baby) zahlt in der Kita «Regenbogen» in Zürich für eine Vollbetreuung monatlich 6796 Franken. Da Kitas nur in Ausnahmefällen einen Profit abwerfen, dürfte dies den effektiven volkswirtschaftlichen Kosten entsprechen. Und das, obwohl Kita-Mitarbeiterinnen eher schlecht bezahlt werden. Studierende der Höheren Fachschule Kindererziehung (HFK) erhalten im ersten Lehrjahr 2’000 Schweizer Franken pro Monat. Ihr Verdienst steigt kontinuierlich auf bis zu 3’800 Franken monatlich im vierten Lehrjahr. Mit drei bis fünf Jahren Berufserfahrung steigt der Lohn dann auf rund 4600 Franken (hier).
Gewinn: Maximal 75 Stellenprozente
Selbst wenn wir annehmen, dass alle, die zu den Dienstleistungen der Kitas beitragen, im Schnitt 4600 Franken verdienen, heisst das, dass die Betreuung von zwei Kleinkindern etwa 150 Stellenprozente beansprucht.
Mit einer Kita-Vollbetreuung könnte ein Elternpaar ein Arbeitspensum von total 175 Prozent leisten und wäre damit zeitlich voll am Anschlag. Schliesslich müssen die Kinder jeden Morgen zur Kita gebracht und abends wieder abgeholt werden. Und wenn eines der Kinder krank wird, muss ein Elternteil zuhause bleiben.
Eine Kita-Vollbetreuung schafft also maximal zusätzliche 75 Stellenprozente, beansprucht aber rund 150 Stellenprozente, meist Frauen, die zudem vier Jahre lang als Kindererzieherinnen ausgebildet werden müssen. Statt das «brachliegende Fachkräftepotential» der Frauen «besser auszuschöpfen», wie es immer wieder heisst, wird es durch die Kitas absorbiert und der Wirtschaft entzogen.
Die volkswirtschaftliche Rechnung sieht noch viel schlechter aus, wenn man berücksichtigt, dass jedes Jahr rund 30 Prozent der Kita-Mitarbeiterinnen aus dem Beruf aussteigen. Teils wegen der miesen Bezahlung, teils weil sie eine eigene Familie gründen wollen. Das verschlechtert die Qualität der Betreuung und erhöht die administrativen Unkosten und vor allem die Kosten der Ausbildung pro geleistetes Arbeitsjahr. Zumindest aus volkswirtschaftlicher Sicht wird die Sache auch dadurch nicht besser, dass der Staat in die Lücke springt und den Preis für die Kitas auf– wie das der Gewerkschaftsbund fordert – 10 Prozent des Familieneinkommens beschränkt.
Das Problem: Männer wollen eine Vollzeitstelle
Was ist die Alternative? Vielleicht hilft ein Blick zurück. Noch in den 1970er-Jahren war es auch bei der damals tiefen Produktivität normal, dass ein männlicher Alleinverdiener eine vierköpfige Familie durchbringen konnte. Die Kindererziehung war Sache der Ehefrau, der Grosseltern und der Nachbarschaft. Es brauchte keine Spezialausbildung, keine Kita-Lokale, keine Kita-Bürokratie, keine langen Wege. Der grosse Nachteil: Fast alle bezahlte Arbeit – und die mit dem Lohn verbundene Macht – ging an die Männer. Heute besteht das Problem darin, dass die Männer immer noch eine Vollzeitstelle beanspruchen. Um auch für die Frauen bezahlte Arbeit zu schaffen, haben wir die Kinderbetreuung kommerzialisiert, professionalisiert und staatlich finanziert.
Viel effizienter wäre es, die Erwerbsarbeit etwa auf zwei 60-Prozent-Stellen aufzuteilen, und die Rahmenbedingungen für die unentgeltliche Arbeit in der Familie und Nachbarschaft zu verbessern. Dazu müssten wir aber mit alten Gewohnheiten brechen und männliche Privilegien abschaffen. Das ist schwierig und bestenfalls langwierig. Mit Kitas konnten wir das Problem schneller «fixen». Allmählich wird aber klar, dass wir uns mit diesem «Quick Fix» nicht nur untragbare Kosten – 57’000 Franken pro Jahr – aufgehalst haben, sondern auch einen Niedriglohnsektor aufgebaut haben – unter dem vor allem die Frauen leiden.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.
Ein etwas seltsame Vereinfachung, den Preis pro Kind duch das Einkommen einer Betreuerin zu teilen und daraus zu schliessen, dass ein Kind von 1,5 Frauen betreut wird. Wer bezahlt die Miete, die zwei behindertengerechten geschlechtergetrennten Klos, die Versicherungen, das Mobiliar, die eurogenormten Hochsicherheits-Spielgeräte, die tausendundeine Abgabe und Gebühr, etc. etc. etc. ?
Herr Vontobel wieder mit dem gesamtwirtschaftlichen Laserblick! Ausgezeichnet. Doch ist das Problem wirklich, dass Männer 100% arbeiten wollen? Ist das Problem nicht vielmehr, dass Frauen heute eben auch 50%-80% arbeiten wollen oder sogar müssen? Während die Grosseltern nicht mehr vor Ort, sondern weit weg wohnen, oder auf Kreuzfahrt sind?