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Energiepolitik im Gespräch: Hans-Josef Fell, Sprecher der Grünen im deutschen Bundestag © zvg

«Es muss Altes verschwinden, damit Neues entsteht»

Rolf Muntwyler /  Der Bundestagsabgeordnete Hans-Josef Fell über die Unfähigkeit der Energiekonzerne und die Voraussetzungen für einen Atomausstieg.

Die Stromkonzerne haben sich gegen den Atomausstieg gesträubt, und die Kantone als deren Inhaber fürchten, dass die Konzerngewinne ohne AKW weiter zurückgehen. Deutschland hatte unter der rot-grünen Regierung Schröder schon 2001 ein Atomgesetz beschlossen. Sieben Jahre später hat die Regierung Merkel den Ausstieg aufgehoben und die Laufzeiten der AKW wieder verlängert – um dann nach Fukushima erneut den Ausstieg zu beschliessen.
Deutschland hat die Erfahrungen, die der Schweiz noch bevorstehen, also bereits zehn Jahre früher gemacht. Hans-Josef Fell hat den ersten deutschen Ausstieg hautnah verfolgt. Fell ist Abgeordneter im deutschen Bundestag und energiepolitischer Sprecher der Grünen/das Bündnis. Der Bundestag ist das Pendant zum Schweizer Nationalrat. Als erfahrener Politiker mit dem Fokus Energie gibt er Auskunft über die Unfähigkeit der Stromkonzerne, über alternative Energien und was es braucht, damit ein Atomausstieg gelingt.

INTERVIEW
Deutschland hat den Ausstieg schon 2001 beschlossen. Die grossen Energieversorger müssen auf dem Weg zu den Neuen Erneuerbaren schon weit fortgeschritten sein.
Hans-Joachim Fell: Das ist schlicht nicht der Fall.

Da ist etwas schiefgelaufen.

Energiekonzerne wie EON und AWE haben zwar unheimlich viele Werbebroschüren zu erneuerbaren Energien gedruckt, damit man den Eindruck bekommen könnte, sie seien die Hauptakteure in der Branche der Erneuerbaren. Konkret gemacht haben sie nichts.

Deutschland ist mit Erneuerbaren aber vergleichsweise weit fortgeschritten. Wenn nicht von den grossen Energieversorgern, woher kam die Wandel?

Es sind nicht grosse Konzerne, welche die Fotovoltaik beherrschen. Der grosse technologische und investitionsmässige Erfolg in Deutschland für erneuerbare Energien kam vom Mittelstand, von privaten Bürgern, von Genossenschaften, von vielen, die sich zusammengeschlossen haben. Aber auch von Firmen, die auf diesem Gebiet neu entstanden sind. Es sind Solarworld, Q-Cells und andere Unternehmen, die es vorher gar nicht gab.

In der Schweiz bekommt man das Gefühl, dass sich die grossen Stromversorger noch nicht von der Idee von AKW-Neubauten und anderen Grosskraftwerken gelöst haben.

Das zeigt auf, dass das Neue kaum von den belasteten Köpfen der Konzernchefs kommen kann, die immer noch in den alten Mustern denken.

Haben die Konzernchefs den Wandel verpasst?

In Deutschland haben sie den Wandel völlig versäumt. Sie haben nicht geglaubt, dass sie unter der Regierung Merkel unter Druck kommen könnten, und sie haben völlig unterschätzt, welche Dynamik in der Gesellschaft steckt. Dass nach einem Ereignis wie Fukushima richtig Druck auf sie kommt, haben sie ignoriert. Sie haben nur die Gewinne vor Augen gehabt, die sie mit den abgeschriebenen Kraftwerken machen würden.

Was sind die Folgen?

Jetzt bekommen sie erst richtige Probleme. Da sie die Energiewende verschlafen haben, stehen sie nun unter enormem ökonomischen Druck. EON zum Beispiel hat angekündigt, dass massenhaft Leute entlassen werden; der Konzern muss umstrukturieren.

Sie sehen ein unternehmerisches Versagen?

Ja, natürlich. Die Konzernchefs haben nicht aufgegriffen, was gesellschaftlich und unternehmerisch notwendig gewesen wäre: Sie haben die Augen verschlossen vor der Bedrohung durch Radioaktivität, vor der Klimafrage, sie haben weiterhin und unbekümmert in die alten Technologien investiert. Sie legen sich einen Deckmantel um, indem sie schöne Werbebroschüren für Erneuerbare Energien verteilten. Damit wollen sie vertuschen, was sie in Wirklichkeit tun. In den Konzernetagen hat kein Umdenken stattgefunden.

Wie ist das mit dem ersten deutschen Ausstiegsentscheid unter der rot-grünen Regierung Schröder gelaufen?

Die Betreiber der AKW hatten 2002 einen Vertrag unterschrieben auszusteigen. 2008 und 2009 hätten die ersten AKW abgeschaltet werden müssen.

Das ist nicht aber passiert.

Nein, die Konzerne sind wort- und vertragsbrüchig geworden. Sie haben Geld kassiert für die Abschaltung der AKW. Die Gegenleistungen der rot-grünen Seite ¬– keine weiteren Verschärfungen der Gesetze – haben sie gerne in Anspruch genommen. Aber ihre Leistung, die AKW abzustellen, haben sie aber nicht erbracht.

Wie haben sie das erreicht?

Sie haben rumgetrickst mit Laufzeitverlängerungen und mit Strommengenübertragungen, um die Kraftwerke am Netz zu halten. Sie haben einfach versucht, über den Wahltermin hinwegzukommen – in der Hoffnung, eine neue politische Kraft würde die AKW-Laufzeiten verlängern. Die Rechnung ist vordergründig aufgegangen: Rot-grün wurde abgewählt. Und prompt verlängerte die CDU-Regierung unter Frau Merkel die Laufzeiten.

Auch die Schweizer Energiekonzerne haben sichtbar Mühe mit dem Wandel. Bisher haben sie gutes Geld verdient, die Kantone als Besitzer glaubten, sie bekämen mit den Status quo Versorgungssicherheit, günstige Tarife und erst noch ihren Anteil am Unternehmensgewinn.

Schon diese Argumentation ist voll von Falschinformationen und Fehleinschätzungen. Nicht die bisherige Stromerzeugung aus Atom und fossilen Brennstoffen wird in Zukunft einen verlässlichen und günstigen Strom bringen, sondern die Erneuerbaren: dank Energiegewinnung ohne Brennstoffe, dank dezentraler Entwicklung, dank Wertschöpfung in den Regionen und vielem mehr.

Geht diese Rechnung auf?

Ja, langfristig sowieso. Nicht zuletzt, weil Erneuerbare Energien fast keine externen Kosten verursachen. Die Bürger fragen sich irgendwann, wer denn die Atommüllentsorgung und die Kosten des Klimawandels bezahlt. Früher oder später müssen die Unternehmen und der Staat das Problem lösen. Das schieben die Konzernchefs, die noch im alten Denken verhaftet sind, vor sich her. Damit laufen sie in eine Falle hinein: Sie verlieren ihre Konkurrenzfähigkeit.

Braucht es einen liberalisierten Markt für die Energiewende?

Ich würde statt von einem liberalisierten Markt von einem Wettbewerbsmarkt sprechen – von einem Markt mit vielen Akteuren statt Monopolen. Es gibt auch in Deutschland immer noch Wirtschaftsmonopole wie EON und RWE. Diese Monopole sind schädlich. Der Staat bremst, denn auch der Finanzminister möchte natürlich gerne die Einnahmen aus seinem Energiekonzern sofort für den nächsten Haushalt. Er hat wenig Interesse, in Neue Energien zu investieren, weil dadurch die Einnahmen aus den Investitionen verzögert zurückfliessen. Öffentliche Monopole sind genau so hemmend für eine Entwicklung der Energiewirtschaft.
Wir brauchen eine Vielfalt an Akteuren, wir brauchen Chancen für neue Energieunternehmen. Hier kann die Finanzwirtschaft durch Investitionen mithelfen. Dank der Möglichkeit für Tausende Akteure, überhaupt gewinnbringend in Windräder, Photovoltaik und Biogas zu investieren, hat die Vielfalt in Deutschland erst möglich gemacht.

Also doch die Liberalisierung?

Die Liberalisierung hat das nur zum Teil unterstützt, denn sie ist in Deutschland noch nicht so gut organisiert, dass sie die Entwicklung Richtung Erneuerbare unterstützt. Beispielweise ist das Energiewirtschaftsgesetz noch nicht auf eine Stromgesellschaft mit 100 Prozent Erneuerbaren ausgerichtet. Genau das muss aber gemacht werden: Zum Beispiel muss der Speicheraufbau eine ökonomische Grundlage erhalten und anderes auch. Die Kraft der neuen Akteure ist aber da, dies aufzubauen.

Schweizer Haushalte können nur den Strommix bei ihrem Anbieter wählen, nicht aber den Anbieter selber. Ist es sinnvoll, seinem Anbieter einen höheren Preis für einen ökologischen Mix zu bezahlen?

Nein. Es ist kein taugliches Modell, beim gleichen Unternehmen den Ökostrom zu wählen und mehr dafür zu bezahlen. So wird nur innerhalb des Unternehmens etwas Geld umgeschichtet. Das schafft keine Dynamik. Entscheidend ist, dass das Unternehmen keine Geschäfte mehr mit Atom- und Kohlestrom machen kann. Es braucht Gesetze, damit die Kunden nicht mehr gefangen sind. Was ist denn das für ein Wettbewerb?

Wie wichtig ist der Ausstieg ohne Hintertürchen, wie ihn die Schweiz nun auch beschlossen hat?

Das ist ganz entscheidend. Aber auch die Geschwindigkeit! Die Schweiz peilt 2035 als Ausstiegtermin an. Das geht viel zu lange. Jede Atomstromerzeugung, die noch funktioniert, ist eine Blockade für Erneuerbare Energien. Wir brauchen Freiräume, und das heisst: Es muss was Altes verschwinden, damit Neues entstehen kann. Solange das Stromnetz mit Atomstrom verstopft wird, wird es nicht die Investitionsmöglichkeiten für Erneuerbare Energien geben.

Wie begründen Sie das?
Fell: Das war in Deutschland sehr gut zu sehen. Im letzten Herbst hatte die Regierung Merkel den rot-grünen Ausstiegsentscheid umgestossen und die Laufzeiten der AKW verlängert. Da haben die Stadtwerke heftig opponiert! Die hatten sich nämlich auf den Ausstiegsentscheid verlassen und kräftig in Erneurbare investiert. Mit der Laufzeitverlängerung wären ihre Investitionen der letzten Jahre ein Verlustgeschäft gewesen. Sie mussten um ihre Investitionen fürchten, von weiteren Investitionen in Erneuerbare schon gar nicht zu sprechen. Mit der Rücknahme der Verlängerung zahlen sich ihre Investitionen nun doch aus.
Genauso läuft es in der Schweiz: Solange Atomkraftwerke am Netz sind, fehlt das Volumen für Erneuerbare – und diese Situation lässt keine gewinnbringenden Investitionen zu.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

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