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Das alte Wankdorfstadion im Jahr 1959: YB schlug im Europacup der Meisterklubs (der heutigen Champions League) Stade Reims 1:0. © BSC YB auf Facebook

Abbruchfieber auch in der Stadt Bern

Marco Diener /  «Stadt Zürich im Abbruchfieber»: So titelte Infosperber im Juni. Doch andernorts ist es nicht besser. Zum Beispiel in Bern.

Wie leichtfertig man in Zürich mit dem architektonischen Erbe umgeht – darüber berichtete der pensionierte Architekt Heinrich Frei auf Infosperber. In Bern ist es nicht besser. Auch Bern sündigt. Und zwar schon lange. Die negativen Auswirkungen reichen bis in die Gegenwart. Nehmen wir als Beispiel das alte Wankdorfstadion und den Neubau, bei dem bereits nachgebessert werden muss.

Das «Wunder von Bern»

1954 gewann Deutschland den Final der Fussball-WM gegen Ungarn überraschend mit 3:2. Das Spiel ging als «Wunder von Bern» in die Geschichte ein. Für viele Deutsche war das Stadion fortan so etwas wie ein Heiligtum. Die Berner liebten es wegen seiner unverkennbaren Uhrentürme. Und die Denkmalpflege stufte es als «erhaltenswert» ein.

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WM-Final 1954 im ausverkauften Wankdorfstadion mit einem der legendären Uhrentürme. Hier führte Ungarn noch mit 2:1.

Eine Zumutung

Doch das Stadion wurde vernachlässigt. Die WCs waren eine Zumutung. Und die Kapazität musste aus Sicherheitsgründen schrittweise von 64’000 auf 22’000 Plätze reduziert werden. Unterbliebene Renovationen und mangelhafter Unterhalt vergällten den Bernern und Bernerinnen die Freude am legendären Stadion zusehends. Es war nicht mehr zu retten. 2001 wurde das Stadion schliesslich gesprengt. Einer der vier Flutlichtmasten hielt dem Sprengstoff stand. Er musste separat abgerissen werden.

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3. August 2001: Das Fussballstadion Wankdorf wird gesprengt.

Allerweltsbau

Doch was seit 2005 dort steht, befriedigt nicht. Es ist ein reiner Zweckbau mit eingebautem Einkaufszentrum. Zum alten Stadion sind keinerlei Bezüge erkennbar. Alles wurde ausgelöscht. Nur eine Matchuhr, die zwei Jahre später aus dem Lager einer Baufirma gerettet und vors Stadion gestellt wurde, erinnert an die glorreichen Zeiten.

Grossspurig wurde der neue Allerweltsbau auf den Namen «Stade de Suisse» getauft, obwohl er weniger Zuschauerplätze aufweist als der «St. Jakob» in Basel. Der gesichtslose Bau könnte irgendwo auf der Welt stehen. Und er hat gravierende Mängel.

Die Zuschauer frieren

Mit dem Kunstrasen hat sich bis heute kaum jemand wirklich anfreunden können. Der Wind pfeift so sehr durchs Stadion, dass die Zuschauer und Zuschauerinnen – ausser im Hochsommer – erbärmlich frieren.

YB fehlen die Trainingsfelder

Dem Neubau sind damals auch zwei Trainingsfelder und eine Turnhalle zum Opfer gefallen. Beim BSC Young Boys trauert man den beiden Trainingsfeldern noch heute nach. Die Klubverantwortlichen versuchen seither vergeblich, anderswo ein Trainingszentrum aufzubauen. Seit mehr als 15 Jahren weichen die Fussballer fürs Training mal hierhin, mal dorthin aus. Champions-League-würdig ist das nicht.

Doch jetzt soll nachgebessert werden. Beschönigend schreibt die Stadt: «Inzwischen hat sich gezeigt, dass der Windschutz des Stadions ungenügend und die bauliche Ausnutzung des Leerraums im Stadion optimierbar ist.» Als ob das etwas Neues wäre.

Abstimmung in zwei Jahren

Dabei war von Anfang an klar, dass das Gelände schlecht ausgenutzt ist. Und alle, die zwei Wochen vor der Eröffnungsfeier beim Spiel zwischen YB und Olympique Marseille dabei waren, wussten bereits, dass es im Stadion unangenehm zugig ist.

Fürs Nachbessern braucht es nun eine neue Überbauungsordnung. Und damit eine Volksabstimmung. Sie findet voraussichtlich 2025 statt.

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Zugig und schlecht ausgenützt: Das neue Wankdorf-Stadion soll in den nächsten Jahren umgebaut werden.

16 Tiere und drei Menschen

Wenig Gespür für die Bedeutung von Zeitzeugen zeigte die Stadt Bern auch beim Schulhaus Wylergut. Seit 1949 zierte ein Wandalphabet dessen Treppenhaus. Es diente Erstklässlern beim Erlernen des Alphabets. Das Problem: Neben 16 Tieren wie Dachs, Fisch und Gans zeigt das Wandbild auch 3 Menschen. C steht für Chinese, I für Indianer, N für Neger.

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Das Wandbild im Originalzustand…

«Koloniale Stereotypen»

Eugen Jordi und Emil Zbinden, die das Werk erschaffen haben, waren alles andere als Rassisten. Trotzdem entstand in Bern plötzlich eine grosse Diskussion um das Bild. Die Stadt Bern schrieb: «Das Wandalphabet im Schulhaus Wylergut enthält Darstellungen von Menschen, die heute als koloniale Stereotypen erkannt werden.»

Bedingung: Das Wandbild bleibt

Die Denkmalpflege stufte das Wandbild als «erhaltenswert» ein. Die Stadt Bern führte 2020 einen Wettbewerb durch. Dessen Ziel: Das – aus heutiger Sicht – problematische Wandbild «in unserer Zeit verorten und zu schulinternen und öffentlichen Debatten anregen.» Die Bedingung: Das Wandbild bleibt erhalten.

Doch dann übermalten Vandalen in einer Nacht-und-Nebel-Aktion die drei Buchstaben C, I und N des Alphabets. Die Stadtregierung verzichtete auf eine Anzeige, weil sie «die Ungeduld und Wut, die hinter dem Protest stehe, nachvollziehen könne», wie die Berner Zeitung damals schrieb.

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…und nach dem Vandalenakt von 2020

Wettbewerbssieger: «Das Wandbild muss weg»

Obwohl eine Wettbewerbsbedingung war, dass das Wandbild erhalten bleibe, gewann das Projekt mit dem brachialen Titel «Das Wandbild muss weg.» Kern des Projekts: Das Wandbild soll – so schonend es geht – entfernt und in einem Museum ausgestellt werden.

Etwas abgehoben steht im Projektbeschrieb: «Lesbar als Konzept- und Aktionskunst, als künstlerische Forschung und politische Intervention, adressiert das Projekt vielfältige Demontagen und Dislozierungen von Kunstwerken im öffentlichen Raum.»

Auch Opposition in letzter Minute nützte nichts mehr. Das Wandbild wird — so schonend es geht — entfernt.

Bald eingelagert

Inzwischen ist klar: Das Wandbild wird im Historischen Museum in Bern ausgestellt. Ebenso klar ist: Nicht für lange.

Museumsdirektor Thomas Pauli-Gabi sagt, nach der Ausstellung werde das Wandbild im Frühling 2025 «auseinandergenommen und sorgfältig geschichtet im Depot gelagert».

Wohlverstanden — ein solches Wandalphabet dürfte heute an keiner Schulhauswand mehr angebracht werden. Aber das Wandalphabet im Wylergut ist ein Zeitzeuge. Muss ein solches Werk unbedingt verschwinden? Gehört es in einen Museumskeller? Aus den Augen, aus dem Sinn? Damit verhindern Stadt und Aktivisten genau das, was sie angeblich angestrebt hatten: Die Auseinandersetzung mit Rassismus und Kolonialismus.

Vernachlässigtes Hallenbad

Ungewiss ist das Schicksal des einzigen Hallenbads in der Berner Innenstadt. Es wurde 1928/29 erbaut und 1939 erweitert Zuerst hiess es «Badanstalt Sommerleist», später «Hallenbad Hirschengraben». Tout Berne nennt es «Muubeeri», weil es an der Maulbeerstrasse steht – noch.

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Werbung für die «Badanstalt Sommerleist» im Jahr 1942.

Obwohl es als «schützenswert» eingestuft ist, vernachlässigte die Stadt Bern den Unterhalt. Sie schrieb 2015: «Die Investitionen werden auf das absolut Notwendige beschränkt.» So ersetzte die Stadt Bern damals die Filteranlage mit einer «Occasionsanlage aus einem stillgelegten Hallenbad in Luzern».

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So sah die damalige «Badanstalt Sommerleist» in den Anfangszeiten aus.

Herunterstürzende Deckenteile

Fünf Jahre später mussten Dach und Decke das Lehrschwimmbecken mit seitlichen Stützen und einem Querträger abgestützt werden. Trotzdem stürzten im Jahr darauf Deckenteile in den Ruhebereich neben dem Lehrschwimmbecken. Die Stadtregierung entschied schliesslich, das Bad «im Zuge des Haushaltentlstungspakets FIT II» zu schliessen.

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Das «Muubeeri»: Lange vernachlässigt, inzwischen geschlossen.

Die Stadt hat keinen Plan

Seit diesem Sommer ist es nun tatsächlich geschlossen. Was damit geschieht? Die Stadt hat keinen Plan. Von 2024 bis 2026 soll es als Kletteranlage genutzt werden. Was danach geschieht, ist offen. Die Stadt spielt auf Zeit.

Noch ein Sündenfall?

Ein weiterer Sündenfall droht im 1919 eingemeindeten Bümpliz. Dort steht die erste genossenschaftlich finanzierte Wohnsiedlung der Stadt Bern. Sie wurde von 1949 bis 1955 erbaut. Der Schweizer Heimatschutz schreibt: «Das Frühwerk des Architektenpaars Hans und Gret Reinhard fand bereits zur Bauzeit landesweit Beachtung. Prototypisch wurde hier geplant, was Stadtplanerinnen und Stadtplaner heute noch anstreben: günstige Wohnungen, eine gute soziale Durchmischung, eine hohe Nutzungsvielfalt und lebenswerte Freiräume für alle.»

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Die Siedlung Meienegg in Bern-Bümpliz: Für die Eidgenössische Kommision für Denkmalschutz als Ensemble schützenswert.

Von nationaler Bedeutung

Im Inventar schützenswerter Ortsbilder der Schweiz ist die Siedlung als «von nationaler Bedeutung» verzeichnet. Die Eidgenössische Kommission für Denkmalpflege kam 2015 zum Schluss, «dass die Siedlung Meienegg insgesamt ein bedeutendes, zwingend zu erhaltendes Objekt» sei. Sie empfahl der Stadt Bern, die Siedlung von «erhaltenswert» auf «schützenswert» aufzustufen. Doch die Stadt tat das nicht.

«Transformiert»!

Vielmehr beschloss die Stadtregierung vier Jahre später, «dass kurz- bis mittelfristig zwei Drittel bis drei Viertel der Siedlung transformiert werden können». «Transformiert» heisst: Abgebrochen.

Denkmalpfleger opponiert

Das ist absurd. Denn für Fachleute sind nicht die einzelnen Häuser schützenswert, sondern das ganze Ensemble. Der städtische Denkmalpfleger sagte denn auch gegenüber der Berner Zeitung: «Ein Abbruch oder eine Teilabbruch der Siedlung ist aus denkmalpflegerischer Sicht keine Option.» Für ihn ist bereits klar, dass sein Amt «einen ablehnenden Amtsbericht zu einem Abbruch oder Teilabbruch der Meienegg schreiben wird». Und dass er sich damit gegen die Stadtregierung stellt.

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Das Karussell in der Siedlung Meienegg ist ein Original aus den fünfziger Jahren.

Weiterführende Informationen:

Infosperber: Stadt Zürich im Abbruchfieber


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

Zum Infosperber-Dossier:

Städtebau

Städtebau und Bauwirtschaft

Bauen im Hinblick auf eine sich verschärfende Klimakrise. Welche Materialien machen Sinn und wieviel Grün brauchen wir. Vorbildliches und weniger Vorbildliches.

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2 Meinungen

  • am 26.10.2023 um 13:14 Uhr
    Permalink

    Als Historiker/Archivar ist mir Kulturgut sehr wichtig. Aber manches wird mit der Zeit halt einfach untragbar. Z.B. ein Wandalphabet mit N wie Neger in einer Primarschule. Wie man das nicht erkennen kann, ist mir schleierhaft.

  • am 26.10.2023 um 17:08 Uhr
    Permalink

    Wie in Bern sollen auch in Zürich Bilder entfernt werden. Der Stadtrat von Zürich will «koloniale und rassistische Inschriften und Bilder», von Hausfassaden entfernen lassen. Damit will er ein Zeichen gegen Rassismus und Kolonialismus im öffentlichen Raum setzen. Beginnen soll diese Säuberung bei Gebäuden im Niederdorf, auf denen die Bezeichnung «Mohr» zu sehen ist: «Zum Mohrenkopf», «Zum Mohrenkönig», «Zum kleinen Mohren», «Zum Mohrentanz» – Bis jetzt wurde zum Glück nichts entfernt.
    In Zürich-Oerlikon ist ein neues Sportzentrum geplant. «Zürich kann sich das leisten», heisst es. obwohl jetzt doppelt so teuer, wie geplant. Derweil stehen an der Europaallee neben den Gleisen immer noch Menschen für Essen an. Immer mehr gewöhnliche Menschen in Zürich müssen den Gürtel enger schnallen: die Miete, die Krankenkassenprämie usw.
    Das Hallenbad Oerlikon wurde 1978 durch den Architekten Karl Kollbrunner gebaut. Dieses Bad wurde 2006 umfassend saniert und 2015 die Technik erneuert.

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