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Die Werbemaschine des US-Präsidentschaftskandidaten läuft auch im Internet auf Hochtouren. © Austen Hufford/flickr/cc

Wie mich Mitt Romney durchs Internet verfolgte

Red. /  Auch Polit-Werbung kann lästig werden; vor allem dann, wenn man sie nicht gesucht hat und sie einen trotzdem nicht in Ruhe lässt.

(Red.) Die US-Journalistin Lois Beckett machte unerwünschte Bekanntschaft mit dem republikanischen Präsidentschaftskandidaten Mitt Romney. Egal, welche Seiten sie im Netz anklickte, die Romney-Werbung war auch da. Beckett begann zu recherchieren. Wir geben ihren Beitrag vom Online-Portal ProPublica übersetzt und gekürzt wieder.
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Kürzlich suchte ich einen Song von »Glee» auf der Musik-Website Grooveshark, als zwei Pop-up Anzeigen für Mitt Romneys Kampagne zur US-Präsidentschaft erschienen. Eine lud mich ein «mehr zu erfahren», die andere schlug mir vor, «Spender» zu werden.

Hatte Romneys Kampagnen-Manager sich entschieden, dass Wechselwähler eine Internet-Site frequentieren müssten, die sich mit Copyright-Problemen herumschlägt? Sind Fans der Gay-Group «Glee» ein demographischer Schlüsselfaktor für Romney?

Im Visier der Romney-Kampagne

Es stellte sich heraus, dass die Kampagne nicht auf Grooveshark-User oder A cappella Fans abzielte. Sie hatte mich persönlich im Visier. Als Reporterin, die wissen möchte, wie Kampagnen Wählerdaten nutzen, verbringe ich ziemlich viel Zeit auf Romneys offizieller Website www.mittromney.com. Das filterte eine Werbefirma offensichtlich heraus, die mir gezielt Romney-Werbung schickte, wo immer sie mich im Netz fand.

«Wenn Sie unsere Seite besucht haben, handelt es sich wahrscheinlich um unsere Anzeigen», räumte ein Mitglied der Romney-Kampagne ein, als ich ihm einen Screenshot schickte. Das ist der gleiche Mechanismus wie ihn Seiten benutzen, die zum Beispiel Airline-Tickets oder Schuhe verkaufen. Wenn Sie zum Beispiel auf Zappos klicken, wird die Werbung für deren Sneakers Ihnen manchmal durchs Netz folgen. Romneys Kampagnenhelfer sandten mir stattdessen einen «Spender»-Button.

Aber die Tatsache, dass ich aufgrund meines Besuchs der offiziellen Romney-Website ganz gezielt angegangen wurde, war aus den Anzeigen überhaupt nicht ersichtlich.

Das kleine blaue Dreieck

Jede der Anzeigen hatte ein winziges blaues Dreieck in der oberen rechten Ecke. Weil ich über Online-Werbung schreibe, weiss ich: Das Dreieck bedeutet, dass ich auf mich zugeschnittene Werbung erhalte. Viele Online-Anzeigenfirmen sind mit dieser transparenten Information einverstanden. Konsumenten sollen erkennen können, dass sie eine personalisierte Botschaft erhalten. Der Hinweis erfolgt mit dem kleinen Dreieck oder mit den Worten «Ad Choices».

Als ich auf das kleine Dreieck klickte, poppte eine Anzeige auf, die mir mitteilte, die Firma «ShareThis» habe beschlossen, «dass Sie an Anzeigen wie dieser interessiert sein könnten». Die Anzeige sei aufgrund meiner Browser-Gewohnheiten im Netz ausgewählt worden.

Wenn ich mehr darüber wissen wollte, welche «Gewohnheiten» damit genau gemeint waren und wie sie gesammelt und verwertet worden waren, musste ich hinter die Kulissen der komplizierten Welt des Datensammelns in der Online-Welt blicken.

Bloss eine vage Ahnung, was ShareThis ist

Ich hatte nur eine vage Ahnung von «ShareThis» und hatte bisher überhaupt nicht realisiert, dass die Firma etwas mit Werbung zu tun hatte. Der Name ist wohl den meisten Usern als kleiner Button bekannt, mit dem man zum Beispiel auf Facebook oder Twitter Artikel leicht gegenseitig posten kann. Aber man kann ShareThis-Widgets inzwischen auch auf unzähligen Webseiten im Netz entdecken.

Barry Grant von ShareThis erklärte mir, dass die Firma ihre «Widgets» gratis abgibt und auch Statistiken zur Verfügung stellt, die ihren Kunden sagen, wo und was von den Usern verlinkt wird. Im Gegenzug erhält ShareThis die individuellen Surfprofile der User und ihre Share-Verhalten, ein riesiger Datenschatz für gezielte Online-Werbung.

Partnerin von über 1,4 Millionen Websites

Die Firma arbeitet inzwischen mit nahezu 1,4 Millionen verschiedenen Websites zusammen, die damit einverstanden sind, dass ShareThis die Daten ihrer Besucher sammeln kann. ShareThis setzt ein Cookie ein, um diese Daten zu sammeln. Das Cookie erlaubt es, die Datenspur zu registrieren, die ein User beim Besuch von Webseiten legt (man kann aber die Option Opt-out wählen, wenn man das nicht will).

Wenn eine Werbefirma zu ShareThis kommt und sagt, sie wolle im Netz eine Anzeige schalten für Personen, die an den Primärwahlen der Republikaner interessiert sind, dann kann ShareThis die User identifizieren, die kürzlich entsprechende Artikel gelesen oder sich Videos über die republikanische Primärwahlen abgeschaut haben und sie mit Werbematerial füttern.

ShareThis kann also der Romney-Kampagne helfen, Gruppen zu identifizieren, die sich für bestimmte Themen interessieren – und weil Romneys Kampagnenwebseite ShareThis-Buttons benutzt, kann sie ebenso Informationen über Besucher ihrer Seite sammeln.

Ein Offizieller bestätigt, aber nur anonym

Ein Kampagnen-Offizieller – er wollte anonym bleiben – bestätigte mir schliesslich, dass die User, die ihre Webseite besuchten, gezielte Werbung erhielten. Er wollte aber nicht ins Detail gehen, wie das genau geschieht.

Barry Grant sagte, ShareThis könnte mit der Kampagnen-Leitung auch in dem Sinne zusammengearbeitet haben, dass man User mit verschiedenen Interessen gezielt anpeilt, zum Beispiel jene, die Webseiten über «Republikaner» besuchen oder enger gefasste Sites etwa zum Thema «keine Steuererhöhungen!».

Romneys Kampagne könnte ShareThis zudem verwenden, um Leute herauszufiltern, die Inhalte über Barack Obama lesen oder über Obama in Verbindung mit Themen wie Gesundheit oder Wirtschaft. «Das wäre schlau von Romney», so Grant, vor allem wenn der Konkurrent Obamas versuchen würde, damit unentschlossene Wähler zu erreichen.

Alle diese Informationen sind nützlich – aber eine drängende Frage ist damit noch nicht beantwortet. War der Song «Raise your Glass», den ich auf Grooveshark gesucht hatte, Teil der genau auf mich abgestimmten Werbung?

Das «Glee»-Rätsel bleibe ungelöst

Die Frage ist nicht weit hergeholt, seitdem die Romney-Kampagne in der «New York Times» sagte, der Musikgeschmack der User spiele beim gezielten Adressieren eine Rolle. Unter anderem fanden Romneys Leute heraus, dass Leute, die Jazz mögen, wohl kaum auf Werbung ihres Kandidaten abfahren würden.

Aber ShareThis-Sprecherin Jennifer Hyman sagte, ihre Werbung richte sich nicht danach aus, «welche Musik der User hört». Somit bleibt unklar, welche Polit-Werbung Sie sehen, wenn Sie «too school für cool» sind, wie es im Song heisst, den «Gliss» singen…


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Lois Beckett schreibt für das gemeinnützige Online-Portal www.propublica.org. Es wurde 2010 und 2011 in den USA mit dem begehrten Pulitzer Preis ausgezeichnet.

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