Lithium Bolivien

Lithiumgewinnung in Uyuni, Bolivien: Mit chinesischer Unterstützung soll der Abbau von Lithium auf dem Gebiet Boliviens forciert werden. © Dan Lundberg/Flickr/CC-BY-SA 2.0

Neue Wege und alte Übel in Lateinamerika

Romeo Rey /  Linke Regierungen auf dem Subkontinent sind keine Garantie für nachhaltigen Fortschritt. Konkrete Massnahmen müssen folgen.

Rund um den Schnittpunkt der Landesgrenzen zwischen Argentinien, Bolivien und Chile befinden sich in den Anden riesige Salzseen, die die grössten Lithiumvorkommen der Erde bergen. Mit einer landeseigenen Firma (Soquimich) und langer Erfahrung im Bergbau trägt Chile bereits etwa 24 Prozent zur weltweiten Produktion dieses Leichtmetalls bei. Und während Argentinien mit australischer und europäischer Technologie die Förderung ankurbelt, will Bolivien mit chinesischer Beteiligung an der Industrialisierung von Lithium teilhaben.

Das Leichtmetall Lithium wird heute hauptsächlich für die Herstellung von wiederaufladbaren Batterien benötigt, die u.a. Elektrofahrzeuge antreiben. Ob E-Autos langfristig die beste Option zur Lösung der Energiefrage sein werden oder ob sich andere Technologien, die zum Beispiel auf der Nutzung von Wasserstoff beruhen könnten, als nützlicher erweisen werden, steht in den Sternen.

Romeo Rey
Romeo Rey, früher Lateinamerika-Korrespondent von «Tages-Anzeiger» und «Frankfurter Rundschau», fasst die jüngste Entwicklung zusammen.

Die Linksregierung in La Paz hat sich – anders als die beiden Nachbarstaaten – ziemlich viel Zeit genommen, um dieses Joint Venture mit den Chinesen auf den Weg zu bringen. Bolivien erhebt den expliziten Anspruch, dass die 12 Millionen Landsleute vom Aufbau und der Entwicklung dieser neuen Industrie möglichst gesamthaft profitieren sollen. Wichtigstes Instrument wird dabei die vergleichsweise hohe Besteuerung der ausländischen Partner sein, mit der die Ausbeutung mineralischer Ressourcen aller Art seit der legalen Machtübernahme durch das Movimiento al Socialismo vor nunmehr 17 Jahren belastet wird. Es soll nie mehr vorkommen, dass der Reichtum der Nation wie einst in kolonialer Zeit und auch unter neokolonialen Regimes kaum besteuert abgeführt wird, wobei die überwiegend indigene Bevölkerung zum Schluss nicht nur mit leeren Händen dastand, sondern auch millionenfachen Blutzoll als Arbeitssklaven entrichten musste.

In den 1930er-Jahren war das damals bettelarme Bolivien eines der ersten Länder in Lateinamerika, das ein nationales Unternehmen zur Förderung von Erdöl und Erdgas gründete und diese Anstrengungen um eigene Souveränität später auf den Düngemittel- und andere Sektoren ausdehnte. Offenbar anerkennt China die Legitimität solcher Ansprüche in einem Staat, der trotz beachtlicher Fortschritte immer noch viel Nachholbedarf hat, und nimmt dafür einen hohen steuerlichen Beitrag in Kauf.

Unter den 33 Nationen Lateinamerikas und der Karibik findet der «bolivianische Weg» Beachtung. Das kam auch beim ersten Celac-Gipfeltreffen nach jahrelangem Unterbruch zum Ausdruck, wo die Regierung von La Paz mit der seit langem niedrigsten Teuerungsrate und dem konstantesten Wachstum Aufsehen und Interesse erregte. Nach der «Eiszeit», die der vorübergehenden Dominanz konservativer Kräfte auf dem Subkontinent in naher Vergangenheit geschuldet war, meldeten sich viele der anwesenden Prominenten mit neuen Plänen und Versprechen auf Zukunft. Aber erst konkrete Schritte werden zeigen, wohin die Reise geht und wie viele Steine da im Weg liegen.

Wesentlich weiter geht die Skepsis über das Revival der Integrationsbemühungen und die Suche Lateinamerikas nach Entwicklung und Fortschritt in einem Feature im «IPG-Journal». Hier werden munter Pauschalurteile und klischeeartige Etiketten verteilt, die uns doch ein bisschen gewagt erscheinen, weil sie Schwarz-Weiss-Schemen bedienen, die der Realität auf diesem vielschichtigen Kontinent kaum gerecht werden.

In einem Bericht eines anderen IPG-Mitarbeiters über die Wiederbelebungsversuche des seit dreieinhalb Jahrzehnten unvollendeten Mercosur-Abkommens ist einiges Interessante zwischen den Zeilen zu lesen. Man hofft seitens der EU offensichtlich auf neue Impulse, angetrieben von der Befürchtung eines weiteren Abdriftens Lateinamerikas in chinesisches Fahrwasser. Der Vertragsabschluss steckt nach wie vor fest – a) wegen chronisch divergierender Interessen zwischen den agrarwirtschaftlichen Kräften auf beiden Seiten und b) wegen des zunehmenden Drucks der Grünen im Norden im Hinblick auf fragwürdige Mastmethoden und gentechnisch gepushte Getreidesorten aus dem Süden. Liberale Kreise der Alten Welt möchten – wie offenbar auch der Autor des Berichts – die bestehenden «Lücken» im liberalisierten Handelsverkehr zwischen der EU und den vier Mitgliedstaaten des Mercosur schliessen, bevor die Konkurrenz aus Osten auf südlichen Breitengraden noch dominanter wird.

Was sich auf interkontinentaler Ebene an Verschiebungen und geballten Konflikten abspielt, kann mit einem Blick hinter die Kulissen und Gardinen der Weltpolitik erheischt werden. Der Verfasser dieses Berichts soll laut der Finanzplattform finews.ch als einer von derzeit wenigen Aktivposten bei der Credit Suisse gelten. Besonders lesenswert sind die Abschnitte über China und die OPEC+ sowie La moneda BRICS.

An aktuellem Geschehen in Lateinamerika fallen Nachrichten und Kommentare aus verschiedenen Ländern des Erdteils auf. In Ecuador haben Provinz- und Stadtwahlen stattgefunden, aus denen der frühere Staatspräsident Rafael Correa mit seinen Kandidaten als Sieger hervorgegangen ist. Im gleichen Zug hat die Regierung des konservativen Amtsinhabers Guillermo Lasso eine Volksbefragung mit mehreren suggestiven Vorschlägen, zumeist repressiver Natur, über die durch Rauschgifthandel und Bandenwesen schwer gefährdete öffentliche Sicherheit durchgeführt. Obwohl damit die gegenwärtig grösste Sorge der Lokalbevölkerung angesprochen war, wurden alle vom Staatschef geplanten Massnahmen an den Urnen abgelehnt.

Aus Peru erreicht uns zwei Monate nach dem Sturz von Präsident Pedro Castillo der Versuch einer jungen Journalistin, in der chaotischen innenpolitischen Entwicklung gewisse Linien herauszulesen und einzuordnen. Sie erkennt in der zunehmenden Polarisierung zwischen Rechts und Links vor allem soziale Fragen, die diese tiefe Spaltung erklären. Die Wut auf die Kaste der Politiker und ihre Parteien sei in der indigenen Landbevölkerung gleichermassen ausgeprägt wie unter den Millionen Menschen, die in der sogenannt informalen Wirtschaft zu überleben versuchen, seit Jahrzehnten nach liberalkonservativer Lesart als potentieller Motor der Entwicklung hochstilisiert werden – und doch in ihrer grossen Mehrheit nach wie vor zur Marginalität verurteilt sind.

Zu fast identischen Erkenntnissen kommt eine soziologische Untersuchung, die Licht auf die jüngste Geschichte in Chile wirft, obwohl sich dieses Land in unzähligen Aspekten meilenweit vom nördlichen Nachbarstaat unterscheidet. Hier wird nachgezeichnet, wie sich das Panorama der politischen Kräfte in den vergangenen Jahrzehnten seit dem Ende der Pinochet-Diktatur verändert hat. Wie in Peru fällt der notorische Prestigeverlust der etablierten Parteien und ihrer Repräsentanten auf.

Mit einem Paukenschlag hat sich der früher vom Volk gewählte und heutige Alleinherrscher in Nicaragua, Daniel Ortega, einer «Last» entledigt, die ihm in den letzten Jahren zu einer Bedrohung geworden war: Er hat durch einen «Deal», dessen Einzelheiten bis auf Weiteres im Dunkeln bleiben, sämtliche 222 offiziell anerkannten politischen Häftlinge aus den Gefängnissen und Kerkern des zentralamerikanischen Staats entlassen, sie per Ukas ihrer nicaraguanischen Staatsbürgerschaft beraubt, sie allesamt in einen Jet verfrachtet und in die USA abgeschoben. Unter den in die Verbannung geschickten, jahrelang unter üblen Umständen Gefangenen befinden sich viele ehemalige Kampfgefährten Ortegas aus den Reihen der Sandinistischen Befreiungsfront.

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Romeo Rey, Die Geschichte Lateinamerikas vom 20. Jahrhundert bis zur Gegenwart, 284 Seiten, 3. Auflage, C.H.Beck 2015, CHF 22.30

Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine. Der Autor war 33 Jahre lang Korrespondent in Südamerika, unter anderem für den «Tages-Anzeiger».
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

Zum Infosperber-Dossier:

Lateinamerika Karte

Politik in Süd- und Mittelamerika: Was in vielen Medien untergeht

Der frühere Lateinamerika-Korrespondent Romeo Rey fasst die Entwicklung regelmässig zusammen und verlinkt zu Quellen. Zudem Beiträge von anderen Autorinnen und Autoren.

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