Militärisches, Militantes und etwas Frieden zum Samichlaustag
Die vier Lektüren zum leider wieder topaktuellen Themenkomplex Krieg/Frieden sind sehr unterschiedlich: Zwei der Umschläge werben mit klassischen pazifistischen Parolen und Symbolen, doch selbst dort findet sich inhaltlich eher wenig zu dieser Perspektive. Die am Samichlaustag zum Jubiläum des Schweizerischen Friedensrates öffentlich angebotenen Gespräche sind offensichtlich nötig.
Lichtprotest in dunkler Zeit
Zur jüngeren Geschichte sowie zur Situation der Friedensbewegung vor ein paar Jahren liegt das schon etwas ältere Buch über das «Haus Gartenhof in Zürich» vor, dem Domizil der pazifistischen Dachorganisation. Als diese kurz nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs gegründet wurde, beteiligten sich rund zwanzig Gruppierungen.
Auf dem Umschlag ein Foto, das an 1938 erinnert. Die ganze Stadt war nachts verdunkelt, um kein Ziel für Fliegerbomben zu liefern. So die Begründung der Militärs bei der Luftschutzübung. Doch dieses eine Haus im Arbeiterquartier, die Liegenschaft des religiös-sozialen Theologen Leonhard Ragaz und seiner Frau Clara, blieb hell beleuchtet – als Protest gegen die passive Einstimmung auf den Krieg. Denn schon in der Zwischenkriegszeit war dort ein Zentrum schweizerischer Friedensaktivitäten.
Für mich wurden der Ort und die dort vielfältig aktiven Leute später, in den Jahrzehnten des politisch dominanten Kalten Krieges als Orientierungshilfe wichtig. Noch heute informiert die vom Friedensrat herausgegebene «Friedenszeitung» stets gut über den Stand der Dinge, doch ihre Auflage von 2000 Exemplaren lässt die schmale Basis der Bewegung erahnen.

Mit frustrierten Militärköpfen …
Doch nun zuerst noch weiter zurück und sozusagen zur Gegenbewegung: In einer akribischen Dissertation analysiert Mario Podzorski, der im Studium mit Geschichte und Germanistik befasst war, ihm aus Nachlässen zur Verfügung gestellte Briefe sowie weitere Texte von deutschschweizerischen Offizieren aus der Zeit des Ersten Weltkriegs. Offenbar hatten sich viele von ihnen endlich einmal einen Ernstfall erhofft, um ihr Können zu zeigen. Die kaum böswillige Blütenlese liefert ein Psychogramm meist gut etablierter Militaristen, denen eine «kriegstüchtige Armee» im konfliktreichen Umfeld ein zentrales Anliegen war. Es gab zwar Differenzen über die Art der Führung. Nicht alle stimmten mit Ulrich Wille, dem aus Meilen stammenden General überein; für diesen Kavalleristen sei die Erziehung eines Soldaten nichts anderes als das Abrichten eines Pferdes gewesen, wird angemerkt. Eine elitäre Distanz zu den Untergebenen und zum zivilen Volk, von dem begeisterte Bewunderung erwartet wurde, ist aber bei fast allen spürbar, auch die deutliche Sympathie für Deutschland.
Kriegsbegeisterung allerdings gab es selten, und wenn, dann nur zu Beginn. Das zum Titel des Buches erkorene Zitat zeugt vom Frust eines mit seiner Kompanie erstmals im Aktivdienst eingesetzten Leutnants. «Und das nennt sich Grenzbesetzung!» Die «ewige Grenzbummelei» bei Brig, wo nichts los war, fand er öd. Anderswo waren die Kämpfe im Elsass aus nächster Nähe zu sehen. «Wie das kracht durch die Nacht!» Einmal sogar ein stürzendes französisches Flugzeug. «Mit seinem voyeuristischen Verhalten war Leutnant Zulauf nicht der Einzige», stellt der Autor fest. Sie hatten Bereitschaftsstellungen bezogen, «um mögliche Angreifer zurückzuschlagen», waren jedoch nur Zuschauer geworden. Mit seinem Reflektieren sei der Zitierte aber eine Ausnahme geblieben.

… zurück in den Klassenkampf
Grenzwachen machten zudem nur einen geringen Teil des Dienstes der Offiziere aus. Mehrheitlich bestimmten Ausbildung sowie die «Handhabung von Ruhe und Ordnung im Innern» ihren Weltkriegsalltag. Als sich dieser dem Ende zuneigte, hofften einige offenbar geradezu auf soziale Aufstände in der Schweiz. Dies «nicht weil sie die protestierende Arbeiterschaft unterstützt hätten, im Gegenteil» – um sich nun im Einsatz gegen diese zu bewähren, «am Ende der ereignisarmen Grenzbesetzung doch noch etwas zu erleben». Trotzdem gab es Bedenken, als der Regierungsrat im Januar 1918 nach Bombenfunden und Generalstreikdrohungen die Besetzung von Zürich beantragte. Gäbe es da «Arbeit», würde die Truppe nicht versagen, notierte der Kommandant eines Infanterieregiments. Er galt als «ruhiger, zielbewusster Führer», der sich um «seine Unterstellten» kümmerte. «Es wäre besser, abzuwarten, bis etwas passiert ist, und dann energisch einzuschreiten. Aber fast 3 Monate wegen dem innern Feind im Dienst sein müssen und nie etwas mit ihm zu tun haben, ist für die Stimmung der Truppe nicht gut», schrieb er am 28. April. Da kamen vereinzelte Vorfälle und zumal der dreitägige Landesstreik im November natürlich gelegen. 250’000 Streikende, drei Tote.
«In den Augen verschiedener Offiziere waren die Sozialdemokratie und ihre Presse die eigentlichen Schuldigen für den Aufruhr.» Einer riet seiner Frau ausdrücklich, die linke Tageszeitung, in deren Tradition das heutige «P.S.» steht, nicht mehr zu lesen: «Für den darin aufgestapelten Hass bist Du zu gut, dazu braucht es abgehärtetere politische Nerven.» Und das «Volksrecht» würde «unser Volk vergiften», ihm mit «unwahrer Berichterstattung über die Behandlung der Soldaten» schaden.
Vorab geopolitische Strategien
«Kritik am neuen Militarismus» liefert die jüngste Ausgabe der Zeitschrift «Widerspruch», mit dem «Nie wieder Krieg» von Käthe Kollwitz als markantem Blickfang. Während – so das Editorial – «weite Teile der europäischen Linken» wie im Ersten Weltkrieg wieder dem «Ruf des Vaterlands» folgten, müsse «die klassenbewusste internationalistische Linke» jetzt «alles daransetzen, ihre theoretischen Grundlagen und die daraus folgenden politischen Schlüsse nicht aus den Augen zu verlieren». Darum geht’s zu Beginn um die grosse globale Strategie. Während die USA, ja die westlichen Mächte insgesamt wanken, beginnen China, Indien und andere Staaten des Südens, sich deren imperialistischen Hegemonie zu widersetzen. Wir dürften die erstarkte Volksrepublik nicht einfach als «staatskapitalistisch» abtun. Dass sich dieses Credo mit oft fast euphorischem Ton durch mehrere Texte zieht, habe ich mir vielleicht etwas böse mit maoistischen Alt-68er-Vergangenheiten erklärt. Könnten revolutionäre Träume sich doch noch erfüllen? Durch ein längeres Zitat des jetzigen Vorsitzenden Xi, das dessen Beitrag zum «Streben des Volks nach einem schönen Leben» zeigen sollte, liess ich mich zur Website der «Beijing Rundschau» locken, wo die «deutschsprachige Leserschaft in aller Welt über aktuelle Ereignisse und Entwicklungen in China» informiert wird. Grauenhaft. Uniformer geht’s kaum.

Frauen als Wegbereiterinnen …
In weiteren «Widerspruch»-Beiträgen «zu sozialistischer Politik» werden zu Recht unsere kapitalistischen Strukturen als kriegstreibend gegeisselt, Waffenhandel als gigantisches Geschäft, das wenigen viel Profit und vielen den Tod bringt. Die ökologischen Folgen, auch sozialen Aufgaben entzogene Mittel kommen in den Blick. Es werden feministische Akzente gesetzt, nicht nur durch die Würdigung des Wirkens von Bertha von Suttner, der ursprünglich gutbürgerlichen Pazifistin. «Was bedeutet Frieden für Frauen in der Ukraine?» Das dazu geführte Gespräch nähert sich schon konkreterer Friedensarbeit, und der für mich eindrücklichste Artikel von Gabriela Neuhaus rückt sie dann endlich ins Zentrum. Sie hat vor zwanzig Jahren, als ein internationales Team exemplarisch «1000 Frauen für den Frieden» als Anwärterinnen für den Friedensnobelpreis nominierten, einen Film gedreht. Nun nahm sie mit damals Porträtierten nochmals Kontakt auf. Alle setzten ihre vielfältige Basisarbeit, die mit dem Projekt gewürdigt werden sollte, unter zunehmend schwierigen Bedingungen fort. «Fehlende Ressourcen, schwindende Resonanz», «Weitermachen, trotz allem», lauten zwei Zwischentitel. Die letzten Sätze sind Zitate von Maggie Barankitse, die sich in Burundi mit handfester, oft handwerklicher Hilfe für Geflüchtete engagiert: «Man will zerbrochene Krüge reparieren, weil es zu viel Energie erfordert, an die Wurzel des Übels zu gelangen.» Aber: «Niemals werde ich akzeptieren, dass man Menschen tötet und ich dazu schweigen soll.» Auch die weiteren Texte der interessanteren zweiten Hefthälfte kamen ohne markig-militante Parolen aus.
… für Kants «ewigen Frieden»?
Dasselbe erwartete ich von Fabian Scheidler, der ja mit «Friedenstüchtig» einen eher ironischen Titel gegen die sich ausbreitende «selbstzerstörerische Kriegslogik» setzte. Doch diese bleibt leider – quasi als Feindbeschreibung – im Zentrum. «Der lange Weg vom permanenten Krieg zu einer Ordnung des Friedens» wird erst sehr spät auf rund zehn Seiten rudimentär skizziert. Erinnert wird dort an die dem Dreissigjährigen Krieg folgenden Westfälischen Friedensverträge, dann noch an Kant und sein «Alterswerk» von 1795, das Grundlagen für eine dauerhafte Beendigung von Kriegen zeige. «Zum Ewigen Frieden» sei eine «empfehlenswerte Gute-Nacht-Lektüre für Regime-Change-Enthusiasten». Sie habe bereits gedankliche Anstösse für die Gründung der Vereinten Nationen gegeben, die der ideale Ort für globale Verständigung und Kooperationen wären, und auch «das Verbot der Einmischung in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten» sei dort deutlich postuliert.
Beiläufig unterstreicht Scheidler damit nochmals, was er davor ausführlich darlegte: Dass er nicht nur aktuelle russische, sondern auch frühere sowjetische und vor allem die US-amerikanischen Interventionen in allen Weltecken verurteilt. Ausserdem wurden die «totale Zerstörung» von Gaza sowie der Ukraine-Krieg samt ihrer Vorgeschichten thematisiert. Als potentieller Friedensstifter taucht auch hier China auf, «das wirtschaftlich in absehbarer Zeit die führende Weltmacht sein wird» und nun vermehrt mit diplomatischen Initiativen in Erscheinung trete. Es habe, «obwohl es in der Frühen Neuzeit dem Westen technisch und militärisch weit überlegen war», nie ein Kolonialreich aufgebaut, sondern vor allem auf Handel gesetzt.
In einem Abschnitt über «Friedensbewegungen als geopolitische Kraft» bringt der Autor zuerst «68» ins Spiel. Da wurde er gerade geboren. Bei den Mobilisierungen gegen das gigantische Wettrüsten in den 80ern bekam er die Gründung der deutschen Grünen als vielversprechende Friedenspartei mit. Nun sieht er sie als treibenden Teil eines «neuen deutschen Militarismus». Ganz generell erwartet er von westlicher Politik nichts. Deren führende Leute wirkten «zunehmend so, als seien sie aus einem Clown-Workshop oder einer Nervenheilanstalt entlaufen». Sie suchten den Krieg als einzige Möglichkeit, ihr zerfallendes Imperium zusammenzuhalten. Es ist nicht nur die Tonart, welche mir den früher inhaltlich nahen Autor nun fremder erscheinen liess. Auch seine enorm grosse Gewichtung der Corona-Zeit irritierte. Sie dient ihm als Beleg für das Bestreben von Herrschenden, den «Ausnahmezustand als Regierungsform» zu etablieren.

Eine tragisch verspielte Chance
Was ich allerdings vollumfänglich teile, ist die Trauer über eine tragisch verspielte Chance. Sie kam zu Beginn der 90er-Jahre mit Gorbatschows schöner Vision vom gemeinsamen «Haus Europa» und dem UN-Erdgipfel in Rio de Janeiro, der unter anderem erste globale Konzepte zur Verhinderung der jetzt akuten Biodiversitäts- und Klimakrisen brachte. Statt in immer irrsinnigere militärische Strukturen hätten die Mittel in Zukunftsprojekte fliessen können. Doch das wollten die westlichen Machtpolitiker nach dem Zusammenbruch des östlichen Gegenparts nicht. Sie wollten ganz und endgültig siegen. Nach dem Fanal vom 11. September 2001 wurde offene Gewalt wieder dominant. Vorbei, vertan, vergessen, was nach dem Mauerfall möglich schien.
Die neuere Zeitenwende klingt anders. Nun sollen Sondervermögen für Kriegstüchtigkeit sorgen, Waffenexporte auch hierzulande die Wirtschaft neu beleben. In diesem Umfeld scheint der Jubiläumsanlass einer Friedensorganisation zwar exotisch, doch die Themen der Workshops könnten kaum aktueller sein. Wie wäre kollektiver Sicherheit und globaler Gerechtigkeit näher zu kommen? Für die Diskussion derartiger Fragen ist ein Dorothee Sölle gewidmeter Saal in Aussersihl der richtige Ort, auch die Ausstellung zum Wirken von Clara Ragaz, einer Mitgründerin des Friedensrates, könnte inspirieren. «Partizipation von Frauen in Friedensprozessen» würde, wie dies eine Vorschau antönte, mehr bringen als die zur Beruhigung medial weltweit präsentierten Handschläge führender Männer.
Dieser Text erschien auch als Politeratour-Beitrag im «P.S.»
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Laut Staatsschutz-Fichen «seit Herbst 61» friedensbewegt.
_____________________
➔ Solche Artikel sind nur dank Ihren SPENDEN möglich. Spenden an unsere Stiftung können Sie bei den Steuern abziehen.
Mit Twint oder Bank-App auch gleich hier:
_____________________
Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.









Ihre Meinung
Lade Eingabefeld...