Kommentar

kontertext: Ein groteskes Paar hält sich an der Macht

Beat Sterchi © Alexander Egger

Beat Sterchi /  Spanische Zeitungen informieren viel über Südamerika. Beim Lesen über die spanische Politik übefällt mich oft «Fremdscham».

Seit zwei Monaten lebe ich wieder in einem kleinen Dorf im bergigen Hinterland von Valencia. Um mit der kleinen Schweiz und mit der grossen Welt nicht den Kontakt zu verlieren, lese ich täglich in spanischen Zeitungen, wenn immer möglich auf Papier. Da erfahre ich dann, dass sich rund um Gibraltar etwas tut und in absehbarer Zeit tatsächlich endlich einmal ein Problem verschwinden wird, oder ich erfahre, die aus Mallorca stammende Encaimada, Spaniens vielleicht köstlichstes Gebäck, sei nicht mit Butter wie der Croissant, sondern mit Schweineschmalz hergestellt, oder ich lese, dass zwanzigtausend für die Ukraine bestimmte Antidrohnenraketen nach Israel gehen, um dort die amerikanischen Militärbasen zu schützen.

Weniger Weltbewegendes lese ich auf den Inlandseiten.

Hätte ich hier die Auflage, zur spanischen Politik nur ein einziges Wort sagen zu dürfen, würde ich mich für «Fremdscham» entscheiden. Es ist nicht neu, dass mich hier beim Lesen der Zeitung oft Fremdscham befällt, aber in den letzten Tagen kam es besonders häufig vor. Irgendwie möchte man es einfach nicht wissen und auch nicht wahrhaben, dass offensichtlich Vertrauensleute des Präsidenten auf allerhöchster Ebene ihre Ämter zur persönlichen Bereicherung missbraucht haben und zwar als Teil einer Regierung, die an die Macht kam, weil sie die Korruption ein für alle Mal zu überwinden versprach.

Man möchte auch nicht wissen, wozu diese Herren so viel Geld brauchten oder was ihre Motive waren, aber leider erfährt man das eben doch alles und es ist teilweise höchst unappetitlich, wenn nicht abstossend.

Noch ist ungewiss, ob es nicht doch vorgezogene Wahlen geben wird oder ob sich Präsident Sanchez, angeschlagen wie er ist, durch die restlichen anderthalb Jahre dieser Legislatur hangeln wird. Sogar in den eigenen Reihen gibt es zwar Rücktrittsforderungen und es wurde, weil ein Misstrauensvotum vorderhand keine Mehrheit finden würde, auch schon eine Expertenregierung nach bekanntem italienischem Muster vorgeschlagen.

Es ist natürlich vor allem die Angst vor der Alternative, das heisst, vor einer rechtsbürgerlichen Regierung unter Beteiligung der rechtsextremen Partei Vox, welche die kleineren, regionalen Parteien davon abhält, die Regierung fallen zu lassen. Aber wie kompliziert die Parteienlandschaft geworden ist, zeigt sich beispielsweise daran, dass die nationalistische, rechtsextreme Partei Kataloniens AC (Aliança Catalana) im Regionalparlament nicht mit der rechtsextremen Vox zusammenarbeiten kann, weil diese auf der Exklusivität der kastilianischen Sprache beharrt und auch weil für die AC alle Mitbürger, die aus Galicien oder dem Baskenland stammen, genau wie jene aus Afrika, Immigranten sind.

Nationalistische rechtsextreme Haltungen haben also die Eigenschaft, dass sie sich eigentlich nicht kumulieren lassen, eine Internationale der Rechtspopulisten dürfte deshalb ein Widerspruch in sich selbst sein.

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Als sehr peinlich berühren einen gegenwärtig beim Lesen der Zeitung auch immer wieder die unverwüstlichen Ex-Präsidenten, von denen kaum einer die Klappe halten kann und die immer wieder meinen, als fürchterliche Besserwisser in Erscheinung treten zu müssen. Sie alle stehen da in der Landschaft rum und merken nicht, wie sehr sie stören. Jetzt entpuppt sich Aznar, der Spanien in den Irankrieg verwickelt hatte, auch noch als besonders gelehriger Schüler jenes amerikanischen Präsidenten, dessen Namen ich mir in diesem Text nicht zu erwähnen vorgenommen habe. Aznar vertritt nämlich öffentlich die unfundierte Ansicht, ein fairer Ausgang von Wahlen könne in Spanien nicht mehr garantiert werden. Aber kleiner Trost: wenigstens sind Aznar und die andern Ex-Präsidenten keine Lacher, sie markieren auf Pressebildern immer grosse Besorgtheit um das Land, um «ihr» Land natürlich, während fast alle andern Damen und Herren in der Politik immer lachen. Niemand weiss warum, aber sobald spanische Politiker eine Kamera oder ein Mikrophon sehen, lachen sie. Da kann es auf der halben Welt Bomben hageln, aber sie lachen. Da fliegt ein weiterer Korruptionsfall in den eigenen Reihen auf, aber wenn sie zur Krisensitzung einberufen werden, lachen sie alle in die Kameras.

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Selbstverständlich ist auch jener Andere, der die Welt allerdings nur für kurze Zeit mit Auftritten auf der Bühne des Weissen Hauses belästigte, für alle Journalisten ein Dauerbrenner. Sie können es auch einfach nicht lassen, den angeblich reichsten Mann der Welt andauernd als solchen zu bezeichnen, als handle es ich dabei um eine Auszeichnung oder um ein Verdienst, das nicht oft genug voller Bewunderung gewürdigt werden muss, und nicht um eine sehr zwiespältige und auch ziemlich vergängliche Eigenschaft. Man wünschte sich immer wieder, sie würden dieser Qualifizierung doch ein «gegenwärtig» hinzufügen, denn Musk ist wirklich nur «gegenwärtig» der reichste Mann der Welt, hat man doch über die Jahre schon einige Exemplare dieser Gattung gesehen. Auch die reichsten Männer kommen und gehen, und noch ist es keinem gelungen, die Armen für sich sterben zu lassen. Wäre dies möglich, könnten, wie der jüdische Witz besagt, diese Armen bekanntlich ganz schönes Geld verdienen, aber der gegenwärtige reichste Mann der Welt wird schon vorher abgelöst werden, nämlich sobald wir Restbewohner und wir Restbewohnerinnen uns entscheiden, einen anderen reicher zu machen. Vielleicht gibt es auch schon vereinzelte Rufe, man möge doch bitte endlich eine Frau zum reichsten Menschen küren, aber auch die wird es ohne das Zutun der Restmenschheit, die dazu verdammt ist, ihr Geld immer auf den allergrössten Haufen zu werfen, nicht schaffen.

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Als wäre ich völlig vom Sack geschlagen, meinen die gleichen Journalisten auch seit zwei Monaten, mich daran erinnern zu müssen, dass X früher einen andern Namen hatte. Immer wieder, als würden sie dafür bezahlt: Auf X, vormals Twitter. Darüber aber, dass sich ihre journalistische Aufmerksamkeit schleichend immer mehr in diese digitalen Meinungssphären verlagert, die mich nicht nur nicht interessieren und in denen ich nun mal etwa so oft verkehre wie auf der Magellanstrasse, darüber schreiben sie nichts. Aber sie werden sich der Frage stellen müssen: Ist es wirklich die Zukunft der Zeitungen, weiterzuverbreiten was in den sogenannten sozialen Medien passiert?

Kann schon sein, dass sie damit ihr Überleben sichern, ihrer eigentlichen Aufgabe werden sie aber durch das Wiederkäuen von Wiedergekäutem nicht gerecht.

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Und wie hier früher schon erwähnt, beim Lesen spanischer Zeitungen rückt Latein-Amerika mit seinen eigentlich ebenso spannenden wie unglaublichen Fortsetzungsgeschichten in Venezuela, Kuba und Argentinien wieder in fast greifbare Nähe, wobei mir aus persönlichen Gründen das Schicksal Nicaraguas besonders nahe geht. Immer wieder bekomme ich Bilder von diesem grotesken Paar vorgesetzt, das sich aus unerfindlichen Gründen in Managua an der Macht hält und zwar auf eine Art und Weise, wie es niemand auf der Welt gewagt hätte als Kitschroman zu schreiben. Stürzt da einer den Despoten vom Sockel und steigt dann selber hinauf. Ein Stoff für Charlie Chaplin. Und dazu noch diese Miss Havisham von einer Alt-Hippiefrau lateinischer Prägung. Wie ist das bloss möglich?

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Und Afrika ist auch wieder so nah. Gleich irgendwo dort drüben, hinter dem südlichen Horizont liegt Libyen, wo sie, wie ich lesen konnte, auch nicht gerade wahnsinnig vorankommen, aber offenbar erinnert man sich dort daran, dass es den Tourismus gibt, denn nach der Revolution von 2011 war der verschwunden und soll jetzt für das Land so wichtig werden wie das Erdöl. Einer der verwendeten Werbesprüche, der auf Spanisch noch halbwegs durchgehen mag, klingt auf Deutsch dann aber eher komisch: Libyen rühmt sich der schönsten Wüsten der Welt. Oder sind es vielleicht der Welt wüsteste schönen Landschaften?

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Auch in Spanien ist Slavoj Žižek ein Liebling der anspruchsvollen Zeitungen. Allerdings wundert man sich, wie unkritisch er in einem doppelseitigen Interview in El Païs befragt wird und in dem angeblichen Weltblatt von jedem Nachhaken verschont bleibt. Konfrontiert mit dem Kompliment, Peter Sloterdijk halte ihn für einen der grössten Philosophen der Gegenwart, lässt er nicht etwa ein bisschen Bescheidenheit oder gar Grösse durchblitzen, indem er sich einfach für die Ehre bedankt, nein, er gibt sie zurück, spielt das Spiel, was man ihm verzeiht, hatte man doch immer wieder gerne von ihm gelesen und verdankt ihm etliche wertvolle Anregungen.

Vermutlich ist es auch richtig, wie er sagt, dass die Digitalisierung ihren Preis habe, dass nämlich die in der Welt vorhandene Intelligenz abnimmt. Das berechtigt ihn aber noch nicht dazu, zu behaupten, wir würden immer weniger nachdenken und immer weniger überlegen. Auch wenn das auf einen Teil der Menschheit zutreffen mag, ist es eines angeblich grossen Philosophen schlicht unwürdig, in der Wir-Form von der Menschheit zu sprechen.

Slavoj Žižek beklagt sich dann noch bitterlich über das Älterwerden. Wo kämen wir hin, wenn wir ihm diesbezüglich unser Einfühlungsvermögen verweigerten. Dann aber fragt die Journalistin, ob das Alter nicht auch Weisheit mit sich bringe?

Und was gibt der grosse Philosoph zur Antwort? Er meint tatsächlich behaupten zu müssen, «Weisheit» sei eine absolute Dummheit und er hasse sie, was dazu führt, dass das schöne Wort «sabiduria» auf einmal sehr hässlich klingt, nämlich etwa so wie «Scheissweisheit» oder wie «Dieses blöde Wissen».

Da wundert man sich dann doch, denn plötzlich fühlt sich das an, als befände man sich mit Žižek in einer schönen Wüste.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors


Beat Sterchi ist freier Autor. Vor «Capricho» (Diogenes 2021) veröffentlichte er die Reisereportage «Going to Pristina» (essais agités 2018) und den Lyrikband «Aber gibt es keins» (Der gesunde Menschenversand, 2018). www.beatsterchi.ch

Unter «kontertext» schreibt eine externe Gruppe von Autorinnen und Autoren. Sie greift Beiträge aus Medien auf, widerspricht aus journalistischen oder sprachlichen Gründen und reflektiert Diskurse der Politik und der Kultur. Zurzeit schreiben regelmässig Silvia Henke, Mathias Knauer, Michel Mettler, Felix Schneider und Beat Sterchi.
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