Die OECD warnt: «Die Schweiz riskiert ihren guten Ruf»
«Ein gutes Zeugnis» für die Schweizer Entwicklungszusammenarbeit, titelte das Staatssekretariat für Wirtschaft Seco am 16. Juni. Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung OECD würdige «die erzielten Fortschritte» seit der letzten Prüfung von 2019, die «innovativen Instrumente zur Einbindung des Privatsektors und das solide System zur Wirkungsmessung».
Auch der Bundesrat nahm die positiven Bewertungen der OECD gerne entgegen: die engere Verknüpfung von humanitärer Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit, die als beispielhaft gepriesene Arbeit der Abteilung Frieden und Menschenrechte, die bessere Fokussierung der Hilfe auf weniger Länder und die als systematisch gewürdigten Messungen der Wirkung von Projekten und Programmen.
Das Seco verschwieg, dass die OECD auch Kritik äusserte. Der Bundesrat erwähnte die negativen Punkte. Doch offensichtlich missfällt ihm die Kritik. Denn statt zu akzeptieren, will er sie nur «zur Kenntnis nehmen».
Geballte Ladung Kritik
Überraschen muss es nicht. Denn die Kritik legt schonungslos die Schwächen des Um- und Abbaus der schweizerischen Entwicklungszusammenarbeit offen:
- «Mit der rückläufigen Entwicklungshilfe gefährdet die Schweiz ihre hochgeschätzte Entwicklungszusammenarbeit.»
- Mit dem an Aufträge für Schweizer Unternehmen gebundenen Hilfsprogramm für die Ukraine wird «die Wirkung und das Ansehen der Schweiz beeinträchtigt».
- «Der Anteil der bilateral vergebenen Hilfe für die ärmsten Länder ist rückläufig» von 25,2 Prozent im 2019 auf noch 16,9 Prozent im 2023.
- «Es ist dringend notwendig, dass die Schweiz die Transparenz der von Schweizer Banken und Rohstoffhändlern gewährten Kredite an Entwicklungsländer verbessert.»
- Es bestehen «Schwachstellen im schweizerischen Antikorruptionssystem». Wirksamere Massnahmen sollen in Kraft gesetzt werden.
Die OECD beobachtet mit Sorge die neusten Trends in der Entwicklungszusammenarbeit der Schweiz. Mehrfach heisst es, die Schweiz riskiere ihren guten Ruf, den sie in Entwicklungsländern geniesse. Sie galt bisher als Vorbild für «ungebundene Hilfe», die nicht an die Beschaffung von Gütern und Diensten aus dem eigenen Land geknüpft ist. Sie ist günstiger und fördert die Wirtschaft im Empfängerland statt im Geberland. Neuerdings will die Schweiz davon abrücken.
Durch die Kürzung des Budgets wird die Schweiz eine weniger prägende Rolle in Entwicklungsländern spielen können. Die abnehmende Fokussierung auf ärmste Länder schwächt die Priorität Kampf gegen die Armut. Mit anderen Worten: Es wird an Kerninhalten der Entwicklungszusammenarbeit gerührt.
Kürzungen trotz anderslautender Versprechen
Den OECD-Beobachtern ist nicht entgangen, dass die Schweiz wirtschaftlich und finanziell ausgezeichnet dasteht. Die öffentlichen Schulden seien weniger als halb so hoch wie in den EU-Staaten. Die Schuldenlast des Bundes liege 2023 mit 18 Prozent gemessen am nationalen Einkommen deutlich tiefer als mit 24 Prozent vor 20 Jahren bei der Inkraftsetzung der Schuldenbremse. Finanziellen Spielraum gebe es also mehr als genug, ist die Botschaft der OECD, auch wenn sie es nicht so offen formuliert.
Trotzdem wird gekürzt. Statt wie bisher 0,41 Prozent des Bruttonationalprodukts für die internationale Zusammenarbeit aufzuwenden, werden es noch 0,36 Prozent sein. Die Mehrheit des Parlaments erachte die internationale Zusammenarbeit als freiwillige Angelegenheit, bedauern die OECD-Berichterstatter. Sie erinnern die Schweiz aber an ihre mehrfach gemachten Versprechen, mehr zu tun. Mit der Zustimmung zur Agenda 2030 über die nachhaltigen Entwicklungsziele bekannte sie sich zum Ziel, 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens für die Entwicklungszusammenarbeit zu leisten. Auch der Hinweis an das vom Parlament gesetzte Ziel, 0,5 Prozent aufzuwenden, fehlt nicht.
Der Bericht beklagt und kritisiert auch den mangelnden Willen, für die Entwicklungszusammenarbeit zu sensibilisieren. Die Mittel für die Kommunikation wurden massiv gekürzt. Auch genüge eine nur auf Daten beruhende Kommunikation nicht, gehe doch in der Fokussierung auf Fakten der menschliche Faktor oft vergessen. Es gelte auch «Emotionen und Geschichten über die Wirkung der Schweizer Projekte und Programme zu vermitteln, die das Interesse der Öffentlichkeit wecken».
Es gäbe viele Geschichten zu erzählen, denn bei aller Kritik erwähnen die OECD-Beobachter die Schweiz auch lobend: «Das langjährige Engagement der Schweiz in schwierigen Umgebungen ist von grossem Nutzen.»
Die Schweiz auf Kosten anderer Länder
In wenig ruhmreichen Ranglisten steht die Schweiz weit oben. Jüngst hat sie es gleich zweimal geschafft. Zuerst beim «Schattenfinanzindex» des tax justice networks. Die Schweiz folgt hinter den USA auf Platz zwei vor Singapur, Hongkong, Luxemburg und Deutschland. Nur die USA machen es wohlhabenden Personen und Kriminellen noch einfacher, Geld zu verstecken und zu waschen. Bezüglich fehlender Transparenz übertrifft die Schweiz gar die USA. Nur weil der Schweizer Finanzplatz kleiner ist als jener der USA, wird seine negative Wirkung als geringer eingestuft.
Auch in der Rangliste der Länder, die am meisten zu Lasten anderer Länder leben, schafft es die Schweiz in die Spitzengruppe. Nur Singapur und Zypern schaden laut dem soeben publizierten «Sustainable Development Report 2025» anderen Ländern noch mehr.
Weniger positiv als bisher fällt die Schweiz bei der Verwirklichung der in der Agenda 2030 festgelegten nachhaltigen Entwicklungsziele auf. Sie rutscht seit Jahren nach unten. Vor drei Jahren schnitten nur sieben Länder besser ab, vor zwei Jahren bereits 14 und letztes Jahr schon 21. Noch schlechter sieht es jetzt aus. 25 Länder befinden sich besser auf Kurs zu den nachhaltigen Entwicklungszielen für 2030. Die Länder Skandinaviens – Finnland, Schweden und Dänemark – gehen voran. Vor der Schweiz liegen weitere 17 EU-Länder, die EWR-Staaten Norwegen und Island sowie Grossbritannien, Kanada und Japan.
Die Aussichten auf bessere Rangierungen sind nicht gut. Im Parlament regt sich massiver Widerstand gegen strengere Transparenzregeln für Konzerne und Anwälte. Anti-Korruptionsregulierungen sind wenig streng, Massnahmen gegen illegitime Finanzabflüsse aus Entwicklungsländern wenig effektiv, und in den Verhandlungen für eine Uno-Steuerkonvention zeigt sich die Schweiz wenig engagiert. Bei der Entwicklungszusammenarbeit, wo sie sich einen guten Ruf geschaffen hat, gibt der Sparhammer die Richtung vor.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
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