Kommentar

What about Whataboutism?

Klaus Mendler ©

Klaus Mendler /  Der Vergleich zwischen Trump und anderen US-Präsidenten sei «Whataboutism»: Das ist ein Argument der psychologischen Kriegsführung.

Red. Der Autor Klaus Mendler ist studierter Historiker und Germanist. Für Infosperber hat er einen Gastkommentar zum Vorwurf des «Whataboutism» verfasst.

Neulich war Juli Zeh Gast der SRF-Sendung «Sternstunde Philosophie». Sie ist Autorin, Juristin und ehrenamtliche Richterin am Verfassungsgericht des Landes Brandenburg. Es gab einen irritierenden Moment, als es um Donald Trump ging. Juli Zeh machte deutlich, dass sie die moralische Empörung der Moderatorin Barbara Bleisch nicht teilt. Trump sei nicht der schlimmste US-Präsident aller Zeiten, denn es habe andere Präsidenten gegeben, die beispielsweise für Millionen von Toten in Vietnam verantwortlich seien. Darauf (Minute 15:35) konterte Moderatorin Bleisch: «Aber ist das nicht Whataboutism? Man guckt, was haben andere gemacht …»

Der Begriff «Whataboutism» geistert schon seit längerer Zeit durch Medien, aber noch nie kam er mir so deplatziert vor wie hier. Wenn man Donald Trump irgendeine Schweinerei vorwirft und Trump antwortet darauf: «Aber was ist mit Nixon?», dann wäre das in der Tat Whataboutism. Konfrontiert mit einem Vorwurf, verweist ein Beschuldigter auf andere, die das Gleiche wie er oder noch Schlimmeres gemacht hätten. Ein rhetorisches Ablenkungsmanöver also.

Aber Juli Zeh war nicht die Beschuldigte. Sie musste keinen Vorwurf von sich ablenken, weil ihr gar nichts vorgeworfen wurde. Das ändert alles.

Deshalb konnte Juli Zeh den Vorwurf des «Whataboutism» der Moderatorin leicht abschmettern. Sie wies darauf hin, dass es legitim sei, verschiedene Präsidenten miteinander zu vergleichen, schon allein, weil Vergleichen eine grundlegende Methode des menschlichen Denkens sei.

Damit war der Fall eigentlich erledigt

Aber mir ging die Frage nicht aus dem Kopf: Was hat es eigentlich genau auf sich mit diesem «Whataboutism»?

Eine kleine Recherche führt schnell zum Ergebnis, dass dieses Wort erstmals 1974 in Irland auftauchte, zunächst in Variationen wie «Whataboutists» oder «Whataboutery». Dies war die Zeit des Nordirlandkonflikts, in dem sich katholische und protestantische Gruppierungen bürgerkriegsartig bekämpften. 

Am 30. Januar 1974 veröffentlichte «The Irish Times» einen Leserbrief eines gewissen Sean O’Conaill, in dem dieser sich über die «Whataboutists» beklagte, die auf jede Verurteilung der IRA mit einem Beispiel für noch schlimmere Taten der Gegenseite antworten würden. Dieser Begriff wurde in der Folgezeit von verschiedenen Journalisten aufgegriffen. Sie machten den «Whataboutism» dafür verantwortlich, dass der Bürgerkrieg immer weitergehe.

Die Journalisten, die das Argument «Whataboutism» von Kritisierten oder Angeschuldigten übernehmen, verbreiten ein rhetorisches Argument aus der Werkzeugkiste der Kriegspropaganda, wie sie in der Liste des Lord Ponsonby nachzulesen sind. Die Kriegspropaganda will uns weismachen, unsere Gegner seien für den Konflikt allein verantwortlich. Und unsere Gegner würden schreckliche Kriegsverbrechen absichtlich begehen, wir dagegen höchstens aus Versehen. 

Der Begriff «Whataboutism» wird nicht aus einem philosophischen Seminar über argumentative Logik übernommen, sondern aus der Praxis der psychologischen Kriegsführung.

Es erstaunt deshalb nicht, dass sich der Begriff «Whataboutism» im Kalten Krieg verbreitete. Als beispielsweise westliche Politiker und Journalisten der Sowjetunion Menschenrechtsverletzungen vorwarfen, wiesen die Sowjets im Gegenzug auf den Rassismus in den USA hin. Man kann dies als typische Tu-quoque-Situation sehen («Du auch»): Zwei Alkoholiker werfen sich gegenseitig Alkoholismus vor. 

In jüngerer Zeit wird der Vorwurf des Whataboutism häufig gegen Russland gerichtet. Typisches Beispiel: Der Westen bezeichnet die Abspaltung der Krim von der Ukraine als unzulässig, weil ein solcher Schritt gegen das Völkerrecht verstosse. Aus Russland kommt daraufhin die Erwiderung, die Abspaltung des Kosovo von Serbien sei vom Westen aber ohne weiteres akzeptiert worden. – «Whataboutism»?

Der Vergleich mit einer Gerichtsverhandlung ist aufschlussreich, denn die Argumentation Russlands ist im Prinzip nur der Hinweis auf einen Präzedenzfall. Was soll daran unzulässig sein? Natürlich ist der eine Fall nicht identisch mit dem anderen, aber die beiden Fälle sind doch vergleichbar. Es geht darum, dass eine Region, die Teil eines grösseren Staates war, ihre Bürger über eine Sezession abstimmen lässt und sich dann gemäss dem Mehrheitsentscheid für unabhängig erklärt. 

Im Fall Kosovo hat das «Weltgericht» der westlichen Staaten die Sezession akzeptiert (ausser Spanien, Griechenland, Rumänien oder die Slowakei) und damit quasi einen Präzedenzfall geschaffen.

Warum sollte es nicht legitim sein, bei der Krim-Frage auf den Kosovo hinzuweisen? Vielmehr: Wenn ein Gericht in einem Fall einen Freispruch und dann in einem gleichartigen Fall eine Verurteilung verhängt, ist es geboten, diesen Widerspruch aufzugreifen und zu kritisieren.

Fazit: Beim «Whataboutism» handelt es sich, von Ausnahmen abgesehen, meistens nicht nur um einen formalen Argumentationsfehler, sondern um ein Instrument der psychologischen Kriegsführung. 


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine
_____________________
➔ Solche Artikel sind nur dank Ihren SPENDEN möglich. Spenden an unsere Stiftung können Sie bei den Steuern abziehen.

Mit Twint oder Bank-App auch gleich hier:



_____________________
Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

Zum Infosperber-Dossier:

dart quadrat

Präzise Sprache

Floskeln verschleiern, was Sache ist. Aber sie lassen sich vermeiden. Mit einfacher und präziser Sprache.

War dieser Artikel nützlich?
Ja:
Nein:


Infosperber gibt es nur dank unbezahlter Arbeit und Spenden.
Spenden kann man bei den Steuern in Abzug bringen.

Direkt mit Twint oder Bank-App



Spenden

Ihre Meinung

Lade Eingabefeld...