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Schriftsteller und Kolumnist Maxim Biller © ZDF / Youtube

Kommentar: Wenn Medien Texte verschwinden lassen

Heinz Moser /  Die «Zeit» hat kürzlich eine Kolumne ihres Autors Maxim Biller im Internet «gelöscht». Die Kritik an der Depublikation ist heftig.

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Heinz Moser

In seinem Text mit dem Titel «Morbus Israel» hatte Biller den Umgang Deutschlands mit Israel harsch kritisiert. Der jüdische Schriftsteller und langjährige Kolumnist der «Zeit» prangerte an: «Ja, wenn es um Israel geht, um Benjamin Netanjahu und die strategisch richtige, aber unmenschliche Hungerblockade von Gaza oder die rein defensive Iran-Kampagne der IDF, kennen die meisten Deutschen keinen Spass.» Die Haltung der Deutschen habe nichts mit einer zivilisierten politischen Auseinandersetzung zu tun: «Es ähnelt eher einer Teufelsaustreibung am eigenen Leib, ohne Priester und Handbuch, und die Frage ist nur, wer oder was hier der Teufel ist: das schlechte Gewissen des Täterenkels?»

Geschmacklos oder unbequeme Wahrheit?

Maxim Billers Furor klagt die Enkel der Tätergeneration in aller Schärfe an. Viele Leserinnen und Leser der «Zeit» fühlten sich vor den Kopf gestossen. So heisst es in einem Leserbrief: «Wie kann es sein, dass ihr so einen Artikel veröffentlicht? Das ist durch und durch rassistisch! Ich bitte um Richtigstellung und Raum für palästinensische Stimmen. Wie kann es sein, die Hungerblockade gegenüber der palästinensischen Bevölkerung als «strategisch richtig», aber «unmenschlich» zu bezeichnen?» Gleichzeitig gab es aber auch Stimmen, die Biller verteidigten. Er habe an etwas erinnert, das wir nicht gerne hören. Auch in der Politik gebe es Entscheidungen, die weder gut noch menschlich und moralisch seien, aber dennoch notwendig.

Die Panne und ihre Bewältigung

Die Redaktion der «Zeit» reagierte auf die heftigen Reaktionen mit einer öffentlichen Entschuldigung. Es sei eine «schwere Panne» gewesen, den Text unredigiert zu veröffentlichen. Man habe sich nicht an die nötige Sorgfaltspflicht gehalten. Als Konsequenz löschte die Zeitung den Artikel gleich aus dem Netz und «depublizierte» ihn. Das entspannte die Situation aber nicht, sondern fachte die Diskussion weiter an: Wurde hier ein unbequemer Kritiker mundtot gemacht? Und kann man einen einmal veröffentlichten Text einfach so aus dem Netz verschwinden lassen?      

Deniz Yücel, Präsident des Schriftsteller-Vereins Pen Berlin, bezeichnet die Löschung des Artikels in der «Berliner Zeitung» als hilflos. Denn im digitalen Zeitalter lasse sich nichts aus der Welt schaffen. Es wäre kein Eingriff in die Meinungsfreiheit gewesen, wenn die Redaktion den Abdruck des Textes abgelehnt hätte. Kein Medium ist verpflichtet, alles abzudrucken, was ihm angeboten wird.

Aber «depublizieren»? Das mag zwar kurzfristig Druck von der Redaktion genommen haben. Doch damit stellen sich nur weitere Fragen: Wie gehen Medien mit Fehlern um? Wie weit reicht die redaktionelle Verantwortung, wenn sich ein Text bei genauerem Hinsehen als hochproblematisch erweist? Yüzel hat jedenfalls Recht, wenn er schreibt, dass Depublizieren kein guter Stil sei. Auch wenn man nachträglich feststellt, dass die Publikation eines Textes ein Fehler war, sollte man nicht versuchen, sich nachträglich durch ein Löschungsritual reinzuwaschen.

Es gäbe auch andere Methoden, indem man zum Beispiel den Beitrag und die Stimmen aus der Leserschaft durch die Redaktion kommentiert. Oder man könnte weitere Gastautorinnen und Gastautoren dazu einladen, die Debatte von unterschiedlichen Standpunkten her weiterzuführen.


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10 Meinungen

  • am 12.07.2025 um 11:12 Uhr
    Permalink

    Habe die Kolumne von Maxim Biller «Morbus Israel» gelesen.
    Sie überzeugt mich – wie auch die Bücher dieses Autors – einfach nicht.
    Diesen Text zu «depublizieren» passt irgendwie auch nicht, da gebe ich Deniz Yücel recht.
    Es besteht jedoch ein guter Grund, von diesem Schreiber keine Texte mehr zu veröffentlichen.

    • Portrait_Felix_Schneider
      am 12.07.2025 um 22:32 Uhr
      Permalink

      Ich schliesse mich der Meinung im zitierten Leserbrief an: Gebt Raum für palästinensische Stimmen!

  • am 12.07.2025 um 11:39 Uhr
    Permalink

    Es gab noch wesentlich schlimmere Passagen in diesem Text. Er hätte weder veröffentlicht, noch gelöscht werden dürfen. Er hätte als Mahnmal für unwürdigen Journalismus stehen bleiben sollen.

  • am 12.07.2025 um 12:16 Uhr
    Permalink

    Einen Beitrag, den ein Medium nie hätte veröffentlichen dürfen, von der eigenen Homepage zu bannen, ist richtig, auch wenn sich der Beitrag dadurch nicht aus dem Netz löschen lässt. Die im Infosperber veröffentlichte „Leseprobe“ ist widerlich und ungeheuerlich. Wie kann es „strategisch richtig“ sein, die im Gazastreifen gefangenen Palästinenser vorsätzlich verhungern und verdursten zu lassen, wenn sie nicht vertrieben werden wollen und gezielte Tötungen mit Bomben zu wenig wirksam sind? Die „Zeit“ sollte überprüfen, wie es dazu kommen konnte und wer welchen Druck ausübte, dass ein solcher Beitrag überhaupt veröffentlicht wurde.

  • am 12.07.2025 um 14:01 Uhr
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    Was hier zitiert wird scheint argumentativ ganz schwach zu sein. 1. Strategisch richtig.
    Damit kann man jede Handlung in jedem Regime rechtfertigen. (Vgl. Brüder Karamasow von Dostojevski. Der Autor sollte das mal lesen. )
    2. Die deutschen Enkel zu beleidigen, ist ein Argument für gar nichts.
    3. Andere als unzivilisiert zu bezeichnen, kann wohl nur der, der beweisen kann, dass er zivilisiert ist. (Im Moment geht die westliche Zivilisation mit ihrer Propaganda wohl bankrott. )
    4. Der Artikel wurde nach meiner Vermutung wohl publiziert als Probeballon um zu schauen, wozu das Publikum noch alles schweigt.
    5. Man hat den Artikel wohl depubliziert, weil man in den Medien lieber nicht kritische Stimmen gegenüber Gaza laut werden lässt, was ja die Schwäche des westlichen Narratives beweist.
    Mein Tip: Man kann Menschen töten,
    aber es fällt immer wieder auf einem selbst zurück. „ Wer mit dem Schwert kämpft, wird durch das Schwert umkommen. „

  • am 13.07.2025 um 22:32 Uhr
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    Am Anfang und Ende des Artikels veröffentlichte Maxim Biller je einen «Witz», wobei der zweite Witz als Aufforderung zur Tötung bzw. Unterstützung der Tötung von Palästinensern gewertet werden kann und in einem funktionierenden Rechtsstaat daher eigentlich die Staatsanwaltschaft zu Ermittlungen bewegen sollte. Auf entsprechenden Hinweis mit Bitte um Überprüfung habe ich von der vermutlich zuständigen Staatsanwaltschaft leider noch keine Antwort erhalten.

  • am 13.07.2025 um 22:38 Uhr
    Permalink

    Die möglicherweise (zumindest partiell) als Genozid zu wertende Kriegsführung des nationalistisch bis rechtsextremen Kriegskabinetts in Israel kann insofern nicht als «taktisch notwendig» bezeichnet werden, als sie laut Meinungsumfragen in zahlreichen Staaten unter der Bevölkerung zu einer massiven Verschiebung der Bewertung Israels ins NEGATIVE zu Folge hat und langfristig gesehen Israel zum Pariastaat macht, der seine eigene Existenz selbst durch Isolierung gefährdet.

    Die religiösen Fanatiker der Hamas sehen sich sowieso längst als Sieger, weil sie der großen und mächtigen Armee Israel in einem Gebiet, das kleiner als z.B. Wien ist, seit über einem Jahr trotzt. Eine Stadtguerilla lässt sich, wie Erfahrungen aus Südamerika zeigen, nur dann besiegen, wenn die Stadtbevölkerung gewonnen wird und die Guerilla nicht mehr unterstützt. Und wenn alle Hamas-Kämpfer getötet worden sind, lebt der Hamas-Mythos erst recht weiter, wenn es keine politische Lösung gibt.

  • am 14.07.2025 um 09:26 Uhr
    Permalink

    In der BZ ist von Behzad Karim Khani eine hervorragende Replik auf Billers Hasstirade erschienen. Da wird jeder Satz auseinander genommen. Nicht nur Biller kann mit Menschenrechten im Bezug auf Gaza nicht viel anfangen; auch Henryk M. Broder und einige Kolumnisten von achgut und Tichys Einblick machen hier mit: Wert- und Rechtskonservative die sich auf einmal auf eine Solidarität mit Israel besinnen. Ein häufiges Argument, warum die Menschen in Gaza nur Opfer zweiter Wahl seien, ist, dass sie eigentlich keine richtigen Zivilisten sind, weil aus den vielen scheinbar unschuldigen Kindern später islamistische Extremisten würden, die Israel bedrohten. Allen dort sei das Schicksal des exemplarischen Israel-Hassers und Extremisten in die Wiege gelegt. Insofern sei, dass wird hauchzart suggeriert, ihre Auslöschung bzw. Vertreibung doch eigentlich zwingend. Sie seien ausserdem nur zugewanderte Araber; das Land hätte schon immer den Juden gehört; also könne es auch keine Nakba geben.

  • am 14.07.2025 um 09:27 Uhr
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    Ich habe den Text nicht im Original gelesen, aber meine die Kritik ziele am Inhalt vorbei. Wenn er schreibt, es sei strategisch richtig aber unmenschlich, kritisiert er nicht die Tatsache, dass nicht ein relevanter Politiker Deutschlands bereit ist, das unmenschliche Handeln Israels zu verurteilen? Es ist der Gipfel der Heuchelei, wenn man sich über das Aussprechen der unangenehmen Tatsache erhitzt, anstatt darauf hinzuweisen, dass diese Tatsache existiert. Israel meint es sei strategisch richtig und daher Unmenschlichkeit entgegen aller internationalen Gesetze und Moralität der Menschheit einfach «OK», wenn Israel tue was es tut. Den Botschafter dieses Weltbilds zu verurteilen, bedeutet Israel weiterhin zu schützen. Weiterhin können deutsche Politiker so tun, als handle es sich dabei um ein normales Land mit einem normalen Regime an der Macht.

  • am 14.07.2025 um 15:38 Uhr
    Permalink

    Hat Kritik an der Regierung Israels, der Kriegsführung etwas mit Anti-semitismus zu tun? Ich wollte es genau wissen! Natürlich NICHT!! Lt. zahlreichen renommierten «jüdischen» / israel. Quellen Haaretz, IHRA & JDA. Anti-Zionismus wird klar unterschieden zum Rassismus des Anti-Semitismus. Um Kritik zuzulassen, und abzugrenzen vom unsäglichen, uns so bekannten Anti-Semitismus – im selben häßlichen Kleid wie Anti-Islamismus, Anti-Hinduismus, Anti-Buddhismus, last but not least «white supremacy»! Der bekannte Prof.Dr. Dmitry Shumsky (Te. Aviv) nennt sich «Anti-Zionist» – meint damit die gegnerschaft zur heutigen zionist.Poltitik, und die Entfernung von der Idee Herzl´s – «Ein Staat für Juden, NICHT ein Judenstaat…» Q.E.D.? Grüße Marc S.

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