Hilfe, jetzt kommt die Lego-Sprache!
Kürzlich berichtete watson.ch über Skigebiete, die ihre Preise «leicht nach oben anpassen». Und die Konsumentenzeitschrift K-Tipp schrieb: «Migros und Coop passten bei Pflegeprodukten ihrer Billiglinien die Preise nach unten an.»
Das bedeutet: Die Lego-Sprache ist im Journalismus angekommen.
Lego-Sprache?
Lego-Sprache geht so: Man nehme ein neutrales Wort. Zum Beispiel «anpassen». Man ergänze es. Zum Beispiel mit «nach oben». Oder – ganz selten – mit «nach unten».
Unvermeidlich
Es heisst also nicht mehr «Preise erhöhen», sondern «Preise nach oben anpassen». Das hat für Firmen den Vorteil, dass «anpassen» nicht nach etwas Willkürlichem, sondern nach etwas Unvermeidlichem klingt.
Im Internet gibt es viele Leitfäden von Beratungsunternehmen, die Firmen zeigen, wie sie Preise erhöhen können, ohne dass das Image leidet. Aufschlussreich ist derjenige auf lexware.de.
Inzwischen sind es nicht mehr nur Firmen, die sich der Lego-Sprache bedienen, um Unangenehmes hinter schönen Worten zu kaschieren. Und nicht mehr nur Journalisten, welche die Lego-Sprache übernehmen.
Neuerdings breitet sie sich überall aus. Niklas Steffen, Torhüter des FC Thun, sagte am Radio: «Wir erhöhen die Chancen, dass die Resultate positiv sind.» Er meinte wohl: «… dass wir gewinnen.» Oder: «… dass wir siegen.»
«Ich bin positiv»
Es geht sogar noch einfacher:
- Der Fussball-Experte Pascal Zuberbühler sagte vor einem Spiel auf nau.ch: «Ich bin positiv und freue mich auf die Europa-League.»
- Der Direktor der Schweizer Fussball-Nationalteams, Pierluigi Tami, im «Blick»: «Ich bin positiv, dass wir das schaffen.»
- Philipp Rindlisbacher, Sportredaktor der «Berner Zeitung» in einem Interview mit einem Eishockey-Torhüter: «Wie ist es Ihnen gelungen, positiv zu bleiben?»
- Oder Staatssekretärin Helen Budliger Artieda im «Schweizer Bauern»: «Zwar ist noch nichts in trockenen Tüchern. Aber ich bin positiv.»
Was das auf Deutsch heissen könnte? «Zuversichtlich.» «Hoffnungsvoll.» «Hoffnungsfroh.» «Unverzagt.» «Optimistisch.»
Die fünf Wörter zeigen: Die Sprache Goethes böte viele Möglichkeiten zu differenzierter Ausdrucksweise. Aber man muss sie nutzen, diese Möglichkeiten.
«Positive Fortschritte»
Mitunter kommt es beim Gebrauch der Lego-Sprache nämlich auch zu einem regelrechten Fehlgriff. Die «Berner Zeitung» etwa berichtete über den verunfallten Motorrad-Rennfahrer Noah Dettwiler. Dettwiler, hiess es da, «freue sich über die positiven Fortschritte». Ganz so, als ob es negative Fortschritte gäbe.
Aber in der Lego-Kiste ist natürlich nicht nur das Wort «positiv» zu finden, sondern auch sein Pendant «negativ». Radio SRF 3 sendete einen Beitrag darüber, dass die USA der Ukraine Langstreckenraketen liefern könnten. Und ergänzte: «Russland hat bereits mit negativen Folgen gedroht.»
Das ist Lego-Sprache in Reinkultur – ein neutrales Wort («Folgen») und eine Ergänzung («negativ»). Was «negative Folgen» sein könnten – das erfuhren die Zuhörer und die Zuhörerinnen allerdings nicht.
Ähnlich klingt es aus der Wirtschaftsredaktion von Radio SRF. Von dort ist zum Anstieg des Silberpreises zu hören: «Analysten sagen: ‹Diese Entwicklung nach oben ist noch nicht vorbei.›» Die «Entwicklung nach oben» ist eigentlich ein «Kursanstieg» oder ein «Höhenflug».
«Sicherheit hochfahren»
Auch Professoren sind vor der Lego-Sprache nicht gefeit. Literatur-Professor Philipp Theisohn sprach gegenüber den Tamedia-Zeitungen vom «eigenständigen Produzieren von Texten». Er hätte stattdessen auch «schreiben» sagen können.
Lego-Sprache auch in der «Sonntags-Zeitung»: Sie berichtete über die vielen Unterseekabel in der Ostsee und darüber, dass sich diese leicht kappen lassen – zum Beispiel mit einem Schiff, das seinen Anker hinterherschleift. Vor allem seit dem Überfall auf die Ukraine gebe es gute Gründe, «die Sicherheit hochzufahren».
«Sicherheit hochfahren» ist astreine Lego-Sprache: «Sicherheit» ist das neutrale Wort. Und die lässt sich dann «hochfahren» oder «herunterfahren». Aber damit wird überhaupt nicht klar, was gemeint ist. «Aufrüsten?» «Soldaten einziehen?» «Zäune aufstellen?»
«Hochfahren» und «herunterfahren» lässt sich übrigens nicht nur die Sicherheit. Im «Tagesgespräch» von Radio SRF sprach Andreas Lehner, Geschäftsführer der Aids-Hilfe Schweiz, über die weltweite Präventionsarbeit. Und er beklagte, dass Donald Trump «die ganzen Gelder herunterfährt». Was nichts anderes bedeutet, als dass er die «Beiträge senkt».
Lego-Sprache in nur einem Wort
Dass sich Lego-Sprache auch in ein einziges Wort packen lässt, bewies Saskia Schenker, Direktorin des Krankenkassenverbandes. Sie sprach in den Nachrichten von Radio SRF über Untersuchungen, die «übertarifiert» seien. Wer sich bemühte, das zu verstehen, verpasste womöglich die nächste Nachrichten-Meldung. Und fragte sich, ob es auch «untertarifierte» Untersuchungen gebe.
«Steigende Lernkurve»
Die «Berner Zeitung» berichtete über ein kleines Hilfswerk, das Güter in die Ukraine bringt. Anfangs habe es Probleme gegeben. Doch dann hätten die Verantwortlichen «eine steigende Lernkurve hingelegt». Das heisst auf Normal-Deutsch: «gelernt». Und wenn es auch eine «sinkende Lernkurve» gäbe, dann hiesse das: «verlernt». Ganz einfach.
Ein letztes Mal zurück zum Sport: Als der FC Basel in der Europa-League im belgischen Genk spielte, beklagte der Reporter, dass es dem FC Basel nicht gelinge, «offensiv zu gestalten». Ob er damit «überraschen» oder «dominieren» meinte – das erschloss sich den Zuschauern und den Zuschauerinnen nicht. Und was wäre dann «defensiv gestalten»? «Foulen?» «Zurückhalten?» «Reingrätschen?»
«Der Umschaltmoment»
Der Reporter verwendete auch ständig das Fussball-Modewort «Umschaltmoment». Früher hiess das ganz einfach «Konter». Für mich ist das jeweils auch der «Umschaltmoment». Dann geht’s rüber auf RTS 2 oder auf RSI La 2.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.









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