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Zwei kleine Mädchen spielen an einem Sommertag im Matsch. © Depositphotos

Mikroben im Matsch: Vielfalt stärkt kindliches Immunsystem

Daniela Gschweng /  Spielen im Dreck sei gesund, sagt der Volksmund. Forschende in Finnland haben diese Theorie wissenschaftlich untersucht.

Man nehme drei, vier oder zehn Handvoll Erde und knete sie mit Wasser gut durch. Anschliessend gebe man eine Handvoll kleingerupfte Blätter oder andere Zutaten dazu. Den Teig gut mischen und einige Minuten «backen». Danach aus der Form lösen, falls man eine verwendet. Garniert wird mit frischen saisonalen Zutaten wie Blüten oder Käfern – ob sie sich bewegen oder nicht.

Schon dieses Grundrezept für einen Matschkuchen treibt Eltern und Betreuende kleiner Kinder gelegentlich den Schweiss auf die Stirn – vor allem, wenn der Nachwuchs bei der Zubereitung noch ausgiebig «probiert». Das Spielen im Dreck stärke das Immunsystem, sagt man andererseits.

Forschende begleiten Kinder beim Spielen

In Finnland wurde die kindliche Patisserie nun von Forschern begleitet, um dieser These wissenschaftlich nachzugehen. Im Rahmen eines «Rewilding»-Projekts verwandelten Pädagogen und Forscherinnen dafür mehrere Kindergärten in kleine Wälder. Der Boden wurde mit Original-Waldboden «aufgeforstet», Heidelbeeren und Moos angesiedelt, es gibt Wasser und Matsch – alles mit dem Ziel, eine möglichst vielfältige mikrobielle Umgebung zu schaffen. 43 Kindertagesstätten wurden dafür mit insgesamt einer Million Euro gefördert.

Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des finnischen Naturressourceninstituts untersuchten über zwei Jahre, wie sich der Kontakt mit einer vielfältigen Umwelt auf die Haut-, Darm- und Atemwegsflora der Kinder auswirkt. An der Studie nahmen insgesamt 75 Kinder zwischen drei und fünf Jahren teil.

Schon nach zwei Wochen besseres Immunsystem

Hintergrund ist die sogenannte Biodiversitätshypothese: Kinder, die in modernen Städten aufwachsen, leiden demnach häufiger an entzündlichen Erkrankungen wie Allergien, Asthma und Typ-1-Diabetes, weil ihr Immungleichgewicht gestört ist – die Folge eines verminderten Kontakts mit Umweltmikroben. Dieser ist der Theorie zufolge in den ersten Lebensjahren besonders wichtig. Dabei geht es nicht um den Kontakt mit möglichst vielen Erregern, sondern mehr um die Diversität der Organismen.

Die Ergebnisse der Untersuchung sind erstaunlich: Das Spielen in Outdoor-Kindergärten hat nachweislich Einfluss auf das Mikrobiom, das Immunsystem und möglicherweise auf Allergien. Im Vergleich zu Kindern, die in herkömmliche Kindergärten gingen, veränderte sich die Zusammensetzung der Mikroben auf der Haut und im Speichel der Versuchsgruppe.

Die Kinder aus den Interventions-Kindergärten hatten nach einem Jahr mehr verschiedene aber weniger krankmachende Bakterien auf der Haut und ein stärkeres Immunsystem. Schon nach vier Wochen stieg bei ihnen die Zahl der T-Regulatorzellen im Blut – Immunzellen, die Autoimmunerkrankungen vorbeugen. Im Darm ging die Menge der Bakterien zurück, die mit Entzündungen und Infektionen in Verbindung stehen. Eine andere Studie zeigte, dass Kinder, die in Sandkästen spielten, die mit Gartenerde angereichert waren, schon nach zwei Wochen ein besseres Immunsystem entwickelt hatten als Kinder einer Vergleichsgruppe.

«Gut für die nationale Gesundheit»

Das seien gute Neuigkeiten für die nationale Gesundheit und die Wirtschaft, sagt Marja Roslund, Wissenschaftlerin am finnischen Institut für natürliche Ressourcen gegenüber dem «Guardian», welcher den Versuch in einer Kindertagesstätte in der Nähe von Helsinki vorstellte. «Immunerkrankungen sind teuer. Selbst eine kleine Verringerung der Belastung durch diese Krankheiten ist gut.»

Die Forschenden erklären den Effekt mit dem Austausch von Mikroorganismen zwischen Mensch und Umwelt. Der Körper stärke sein Immunsystem, wenn er mit einer Vielzahl von Bakterien und Pilzen in Berührung komme – durch Hautkontakt, Atemluft oder das Spielen mit Boden. Fehle dieser Austausch, etwa in städtischen Umgebungen mit Asphalt und Plastikböden, steige das Risiko für Allergien und Autoimmunerkrankungen.

Andere Länder zeigen Interesse

Die «renaturierten» Kindergärten seien ein weiterer Beleg dafür, wie wichtig gesunde, vielfältige Ökosysteme für die menschliche Gesundheit sind. «Ich will keine Plastikmatten mehr in einem Kindergarten sehen», sagt Aki Sinkkonen, leitender Wissenschaftler am Natural Resources Institute Finland.

Das Konzept findet inzwischen Nachahmer: In Helsinki wird eine weitere Kita mit staatlicher Unterstützung umgestaltet. Mit Bäumen, Blumen und Sandflächen statt Beton. Auch andere Länder wie Dänemark, Island und Norwegen zeigten Interesse, berichtete Roslund dem «Guardian». Besucher informierten sich, wie sie das finnische Modell zu Hause umsetzen können.


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