Frau trinkt aus PET-Flasche

PET-Flaschen sind eine von vielen Quellen für Mikroplastik. © MilicaPhoto / Depositphotos

Immer mehr Mikroplastik in Organen wie Gehirn, Leber, Plazenta

Josef Estermann /  Menschliche Organe werden zu Abfall-Sammelstellen von kleinsten Plastikteilchen. Deren Anteil im Gewebe steigt signifikant.

Unter dem Titel «Mikroplastik und menschliche Gesundheit» haben die drei an der Harvard-Universität forschenden Gesundheitswissenschaftler Shruthi Mahalingiah, Kari C. Nadeau und David C. Christiani das Wissen zu den gesundheitlichen Folgen von Mikroplastik zusammengefasst. Das Fazit ihres in der US-Ärztezeitung «Jama» veröffentlichten Artikels ist erschreckend: Praktisch alle menschlichen Organe weisen Rückstände von Plastik auf, in einzelnen Fällen konnte man auch einen Zusammenhang mit Erkrankungen wie Demenz, Herzinfarkt und Arterienverkalkung nachweisen.

Plastikabfall und Mikroplastik

Jährlich werden rund 500 Millionen Tonnen Plastik hergestellt und verbraucht. Seit 25 Jahren hat sich die Menge verdoppelt, und Hochrechnungen rechnen mit einer weiteren Zunahme von 70 Prozent bis 2040. Plastik setzt sich zusammen aus über 13’000 verschiedenen chemischen Bestandteilen, die wichtigsten und schädlichsten sind Flammschutzmittel, bestimmte UV-Stabilisatoren, Per- und Polyfluoralkylsubstanzen (PFAS), Phthalate, Bisphenole, Alkylphenolethoxylate, Biozide, Metalloide und polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe.

Neben dem immer grösser werdenden Umweltproblem richtet sich der Fokus in der Wissenschaft immer mehr auf die Auswirkungen von Mikroplastik auf die menschliche Gesundheit. Dabei wird Mikroplastik als Plastikteile definiert, die kleiner als 5 Millimeter sind. Unter einer Grösse von 2,5 μm (0,0025 Millimeter) gelangt Mikroplastik in die Blutbahn und die Lungen und damit in praktisch alle Organe. Nachgewiesen wurde Mikroplastik neben anderen Organen im Gehirn, aber auch in den Eierstöcken und der Plazenta. Mikroplastik wird über die Luft, über Getränke und Essen aufgenommen. 

Mikroplastik ist überall

Eine Studie in Mexiko aus dem Jahr 2020 stellte in 50 verschiedenen Getränken Mikroplastik fest. Eine andere Studie von 2024 fand in 16,4 Prozent der Kosmetika Rückstände von Mikroplastik, vor allem in Produkten für die Hautpflege. Plastik hat zudem die Eigenschaft, andere Substanzen zu transportieren, die toxisch sein können. Mikroplastik kann unter dem Mikroskop, durch Spektroskopie und Wärmebildanalyse nachgewiesen werden; die Methoden werden immer besser und zuverlässiger.

Zusammenhang zwischen Mikroplastik und Erkrankungen

Der Übersichtsartikel in «Jama» zeigt einen Zusammenhang zwischen einem hohen Anteil an Mikroplastik in einem oder mehreren Organen und einer Erkrankung auf, auch wenn die Kausalkette noch nicht schlüssig zu beweisen ist. In einer Studie mit 257 Patientinnen und Patienten mit Ablagerungen und infolgedessen Verengung der Halsschlagader wurde bei 58,4 Prozent in den Ablagerungen Mikroplastik (Polyethylen) gefunden. Diese gingen mit einem 4,5-mal höheren Risiko einher, an einem Schlaganfall oder Herzinfarkt zu sterben, verglichen mit Menschen ohne Mikroplastik-haltige Ablagerungen.

Eine Untersuchung von Hirngewebe bei 12 Verstorbenen mit Demenz ergab, dass es hochsignifikant mehr Mikroplastik aufwies als Hirngewebe von 52 Personen ohne Demenz; im Durchschnitt war es mehr als sechsmal so viel.

Eine Studie auf Hawaii ergab eine signifikante Zunahme von Mikroplastik in jeweils 10 Proben von Plazentas: 2006 waren 60 Prozent davon betroffen, 2013 schon 90 Prozent und 2021 sogar 100 Prozent. Die durchschnittliche Anzahl an Mikroplastik-Teilchen pro 50 Gramm Gewebe stieg von 4,1 im Jahr 2006 auf 15,5 im Jahr 2021. Noch weiss man nicht genau, was dies für das Neugeborene bedeutet. Auch in der Muttermilch konnte inzwischen Mikroplastik nachgewiesen werden.

Eine weitere Studie verglich die Menge an Mikroplastik in Gehirnen und in Lebern von Personen, die 2016 bzw. 2024 verstorben waren. Auch hier: ein Anstieg. Die Mikroplastik-Teilchen überwinden offensichtlich natürliche Grenzen im Körper wie etwa die Blut-Hirn-Schranke.

Ein Manko der Studien zum Mikroplastik im menschlichen Körper ist, dass die Anzahl der untersuchten Personen typischerweise klein ist und ungenügend erfasst wurde, wie stark sie dem Mikroplastik ausgesetzt waren. Das kritisiert ein Artikel in der Fachzeitschrift «Nature Medicine». Experimente an Zellen und Tierversuche würden im Allgemeinen aber in die gleiche Richtung weisen.

Auswirkungen von Mikroplastik auf den menschlichen Körper
Links die Konzentrationen und Teilchengrössen von Mikroplastik, das in verschiedenen Organen gefunden wurde (von oben nach unten: Gehirn, Blut, Lungen, Leber, Nieren, Dickdarm, Plazenta, Hoden). Rechts die Auswirkungen auf die jeweiligen Zellen (↑= Erhöhung, ↓=Verminderung; AST, ALT=Abkürzungen für zwei Leberwerte, BBB= Blut-Hirn-Schranke, CV=Lebensfähigkeit der Zellen, KB=Nierenschranke, LB=Lungenschranke, OCR=Sauerstoffverbrauchsrate, OS=oxidativer Stress).

Stillstand bei weltweiten Gegenmassnahmen

Trotz dieser alarmierenden Befunde tut sich weltweit sehr wenig, um die Produktion und den Gebrauch von Plastik einzudämmen. 2019 trat die Basler Vereinbarung (Basel Convention on the Control of Transboundary Movements of Hazardous Wastes and their Disposal) in Kraft, die das länderübergreifende Geschäft mit Plastikabfällen verbietet. Und 2022 verabschiedete die UNO den so genannten «Marpol Annex V», der es Reedereien untersagt, Plastikabfälle ins Meer zu kippen. Ein weitergehendes Verbot oder eine Reduktion der Menge an Plastik konnte an der kürzlich abgehaltenen Verhandlungsrunde in Genf nicht erreicht werden. Dies vor allem deshalb, weil sich erdölproduzierende Länder weigern, die Plastikproduktion zu vermindern und damit auch die Erdölförderung zu drosseln. Sie setzen ausschliesslich auf eine grössere Anstrengung im Bereich Recycling.

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