Kommentar

Die Alten sind zu teuer

Bernd Hontschik © Ute Schendel

Bernd Hontschik /  Brauchen alte Menschen noch künstliche Hüftgelenke? Oder Herzoperationen? Diese Diskussionen laufen in Deutschland.

Wer in der Politik was werden will, der braucht die Medien. Dorthin kommt man mit dem immer gleichen Trick: Man nehme irgendein Reizthema, über das gerade vielerorts diskutiert wird, packe eine steile These drauf und stelle sich dann den vielen Interviewanfragen. Plötzlich ist man bekannt.

An einen solchen skandalösen Vorgang musste ich denken, als sich Thomas Lemke, Vorstandsvorsitzender der Sana-Kliniken, neben Asklepios und Helios drittgrösster Klinikträger in Deutschland, vor kurzem mit einem Aufsehen erregenden Vorschlag zu Wort meldete. Sein Vorschlag ist eigentlich ein alter Hut. Aber dazu gleich mehr.

«Früher auch auf Krücken»

Schon vor über 20 Jahren forderte der damalige Vorsitzende der Jungen Union, dass bestimmte Kassenleistungen wie etwa Gelenkprothesen für über 85-Jährige gestrichen würden.

Der 24-jährige Jungpolitiker wurde deutlich: «Ich halte nichts davon, wenn 85-Jährige noch künstliche Hüftgelenke auf Kosten der Solidargemeinschaft bekommen. Früher sind die Leute auch auf Krücken gelaufen.» Und eine damalige Jung-Parlamentarierin namens Katherina Reiche sprang ihm bei und nannte seine Attacke «mutig». Heute ist sie Wirtschaftsministerien.

«Sozialverträgliches Frühableben»

Solche Überspitzungen der Generationendebatte tauchen immer wieder auf. Der Theologe (!) Joachim Wiemeyer plädierte vor Jahren schon dafür, «nicht jede lebensverlängernde Massnahme für sehr alte Leute» bereitzustellen. Der Gesundheitsökonom Friedrich Breyer schlug vor, keine Herzoperationen mehr für über 75-Jährige zu bezahlen. Und der Ärztekammerpräsident Karsten Vilmar prägte 1995 mit dem «sozialverträglichen Frühableben» sogar das Unwort des Jahres.

Aber nun zurück zu Thomas Lemke. «Wir müssen uns als Gesellschaft fragen, ob wir den Menschen in jeder Lebensphase – und da rede ich jetzt von 80 aufwärts – die vollumfängliche Medizin zukommen lassen», sagte Lemke jüngst im Podcast von «Table Today». Auch behauptete er, dass in den meisten anderen Ländern medizinische Leistungen ab einem bestimmten Alter nur bei Eigenbeteiligung angeboten würden. Abgerundet hat er seine Vorschläge mit der grandiosen Idee, Versicherten 100 bis 200 Euro pro Jahr zu erstatten, wenn sie im Jahr nur zweimal oder noch seltener zum Arzt gehen.

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Thomas Lemke: «Wir müssen uns als Gesellschaft fragen, ob wir den Menschen in jeder Lebensphase die vollumfängliche Medizin zukommen lassen.»

Der «Klinikchef»

Thomas Lemke wird in den Medien als «Klinikchef» vorgestellt. Ich bin entsetzt. Das soll ein Klinikchef gesagt haben? Aber dann lese ich, dass dieser Klinikchef ein Diplom-Kaufmann ist und als Steuerberater und Wirtschaftsprüfer tätig war, bevor er in den Vorstand der Sana-Kliniken kam.

Also kein Arzt. Ein Stein fällt mir vom Herzen. Jetzt verstehe ich seine Vorschläge auch besser. Sie haben nichts mit Gesundheit zu tun, es geht auch gar nicht um Kranke und Krankheiten, sondern einzig und allein um Kosten und Gewinne. Und mit Prämien zu ködern, um Arztbesuche zu verhindern, ist auch keine ärztliche Idee. Es ist bekannt, dass Menschen dadurch zu spät zum Arzt kommen, was fatale Folgen haben kann.

Und bei einer Recherche über «die meisten anderen Länder», die ab einem bestimmten Alter medizinische Leistungen nur gegen Eigenbeteiligung anbieten, bleibt das Suchfeld völlig leer. Eine erneute Suche mit KI ergibt: «In keinem der untersuchten Länder gibt es eine generelle Regelung, die vorschreibt, dass medizinische Leistungen ab einem bestimmten Alter nur noch gegen eine höhere Eigenbeteiligung erbracht werden.

Die Argumentation fällt in sich zusammen

Stattdessen gibt es länderspezifische Vorschriften zu Zuzahlungen, Freibeträgen oder Selbstbehalten, die für die gesamte Bevölkerung gelten – unabhängig vom Alter. In einigen Ländern existieren sogar Regelungen, die ältere Menschen von bestimmten Kosten befreien oder ihren Eigenanteil beschränken.

Was bleibt also schlussendlich übrig von all der Altersdemagogie des Herrn Lemke? Wenn man jetzt ausserdem noch bedenkt, dass der Mensch den Löwenanteil der Kosten im Gesundheitswesen ein Jahr vor seinem Ableben produziert, egal, in welchem Alter er stirbt – dann fällt die ganze Argumentation endgültig in sich zusammen. Sie hat mit Menschen und Medizin, mit Gesundheit und Krankheit nichts zu tun.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine. Dieser Kommentar des Arztes und Autors Bernd Hontschik erschien zuerst in der Frankfurter Rundschau.
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14 Meinungen

  • am 4.11.2025 um 11:30 Uhr
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    Was soll man zu solchen Hohepriestern des Profits wie Thomas Lemke sagen? Wenn «Ökonomen», Controller und Steuerberater die Kliniken übernehmen, ist es doch gar keine Frage, wohin die Reise geht (der Film «Soylent Green» aus dem Jahr 1973 lässt grüßen). Allerdings muss zu seiner Entlastung angeführt werden, dass sich in dieser «freiheitlich-demokratischen Gesellschaftsordnung» alles um den Profit dreht. Insofern ist er keine Ausnahme, sondern Ausdruck des Systems. Und wie immer geht es zuerst den Schwachen an den Kragen. Die «Alten» verursachen eben steigende Kosten und erhöhten Aufwand. Dass der Wohlstand der jetzt deren schnelle Entsorgung Fordernden auf der Arbeit der nun Rentner und Pensionierten beruht, ist für sie unerheblich, Dankbarkeit und Empathie sind für sie Fremdwörter. Mal ganz abgesehen davon, dass die Alten, die über genug Vermögen verfügen, sich jede medizinische Leistung kaufen können, auch mit 100.

  • am 4.11.2025 um 11:44 Uhr
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    «Wir müssen uns als Gesellschaft fragen…» – schon dieses leere Talkshow-Deutsch zeigt, wessen Geistes Kind der Krankenhausverwalter Lemke ist. Wenn wir wirklich alle Deutschen befragen, kommt mit Sicherheit heraus, dass die meisten bis zur Bahre die beste medizinische Versorgung wünschen. So einfach ist das. Es wird auch herauskommen, dass Gesundheitskrämer und Wasserweinprediger wie Lemke, die sich dicke Gehälter und die besten Privatversicherungen genehmigen, fürchterlich unbeliebt sind. Jeder Versicherte zahlt im Laufe seines Arbeitslebens hunderttausende Euro Sozialabgaben, Krankenkassenbeiträge und Steuern – damit sollten sich Hüften, Knie und Herzklappen auch jenseits der 80 ausgehen. Wir sind reich und fähig genug, jedem angemessene Behandlung angedeihen zu lassen!

  • am 4.11.2025 um 11:49 Uhr
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    Aber selbst bestimmtes Ableben, z. B. mit Dignitas, ist ein Ding des Teufels und muss verhindert werden!

  • am 4.11.2025 um 12:30 Uhr
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    Danke! an Herr Hontschik! Ganz dünnes Eis, Herr Lemke! Wenn man den Gedanke weiter denkt: Eine KI optimiert die Erde auf den Geldfluss (zu sich) und dann sind sie schnell arbeitslos, weil solche ‚Optimierungen‘ kann die KI schon heute.

  • am 4.11.2025 um 14:13 Uhr
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    Wenn man den Menschen nur als Kostenfaktor im Wirtschaftskreislauf betrachtet,kann man zu solchen Schlußfolgerungen gelangen, Aber 1. werden andere Faktoren dabei völlig außer acht gelassen und wird 2, nicht erwähnt,daß es zwei Instanzen gibt, die ohnehin eine – allerdings nicht numerisch scharfe – Grenze in der Praxis bilden : a) die persönliche Entscheidung eines Patienten, denn aufwendige Operationen haben meist anstrengende Folgephasen,zu denen viele Ältere nicht mehr bereit sind und b)die ärztliche Beratungsinstanz, die Nutzen und Folgerisiko für den Patiente ins Gleichgewicht bringen sollte- was ganz sicher eine Funktion vom Alter (und damit i.a. vom Allgemeinzustand des Patienten) ist. Insofern halte ich eine solche normative Altersgrenz für kaum sehr kostenwirksam – womit sich das Problem einer Infragestellung unseres Menschenbildes ohnehin erledgt und es nun endlich auch erledigt bleiben sollte.

  • am 4.11.2025 um 17:04 Uhr
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    Ein beschämendes Gelalle von Lemke, völlig asozial. Weit von Lösungen entfernt. Ein Bekannter, ist nun im Alter von 89 Jahren und in gutem Befinden, rüstig und aktiv. Hatte über 5 Jahre in der linken Hüftgegend Schmerzen, zunehmend, besonders nachts. Diagnose Hüftgelenk. Nach viel Werweissen Operation, überschaubar, geht quasi industriell. Heute schmerzfrei und aufgestellt. Hat im Laufe seines Lebens kaum medizinische Hilfe beansprucht, aber sehr Wohl seine Versicherung gespeist über Jahrzehnte.
    Lemke sage ich, erst den 18 bis 36 Jährigen die Psychotherapien abstellen, dafür diese mit Mist- und Heugabel beschenken und täglich zwingen im Bauernhof den Stall zu reinigen und Gras zu Zetten. Wirkt.

  • am 4.11.2025 um 21:00 Uhr
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    Lemkes Argumentation ist absolut richtig. Die Überalterung und das Herumdoktern bis über 80 schnüren der ganzen Gesellschaft die Luft ab. Herz-, Krebs-, Gelenk-OPs usw. sollte es ab 75 Jahren nicht mehr geben, bzw. nur noch über private Zusatzversicherung. Ansonsten ist Palliativ-Medizin und Sterbebegleitung angesagt. Damit wären die Probleme bzgl. Krankenkassen, Altersvorsorge, Wohnungsmarkt usw. auf einen Schlag gelöst und es gäbe eine neue Dynamik im Lande.

    • am 5.11.2025 um 15:24 Uhr
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      @James Meier:
      Wer sind Sie, um solche Aussagen zu machen und eine solche Altersgrenze festzulegen? Schon mal von Menschenwürde, dem Recht auf Gesundheit und ‚Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich‘ (Art. 8 der Bundesverfassung der Schweiz) gehört?
      Unternehmen, die sich mit der Gesundheit befassen und nur an ihren Profit denken (Pharma, Privat-Kliniken, Medizinalprodukte-Hersteller, etc.), sind vermutlich eher die Ursache für die Malaise im Gesundheitssystem als die sogenannte Überalterung (was für ein Unwort übrigens!).

      • am 6.11.2025 um 18:58 Uhr
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        Es ist eben gerade umgekehrt: Nur aufgrund der hoffnungslosen Überalterung und des Herumdokterns bis über 80 können «Pharma, Privat-Kliniken, Medizinalprodukte-Hersteller, etc.» ihre Profite überhaupt generieren, die als erdrückende Kosten über die Krankenkassen auf die restliche Bevölkerung abgewälzt werden, sodass sich die Jungen keine Kinder und Wohnungen mehr leisten können. Die Alterslimite muss natürlich politisch definiert werden, aber 75 scheint mir eine realistische Grenze zu sein. Darüber nur noch auf eigene Kosten. Der Boomer-Egoismus ist ein echtes Problem.

        • am 7.11.2025 um 09:26 Uhr
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          Besten Dank für Ihre freundliche Stellungnahme, die man ruhig in den Euthanasie-Topf werfen darf. Als mein Myelom diagnostiziert wurde, war ich 72, inzwischen 80. Wäre Ihr Vorschlag umgesetzt, hätte ich wohl die Grenze von 75 nur wenig überschritten. Das Geld für die Therapie hätte mir gefehlt – dies, nachdem ich 60 Jahre lang Krankenkassenprämien bezahlt und das Gesundheitswesen kaum beansprucht hatte. Ihre Limite von 75 wäre für viele ein Todesurteil (deshalb Euthanasie). Ich votiere sehr dafür, dass nicht jede Operation, die machbar ist, auch ausgeführt wird. Aber hier sind eher die Ärzte ins Spiel zu bringen, die machen wollen, was machbar ist, ohne dass der Patient ein Gesamtbild erhält. Der Kardiologe befand vor etwa vier Jahren nach langem Ultraschallgefummel: Muss operiert werden. Ich liess nicht operieren.

    • am 6.11.2025 um 22:48 Uhr
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      Da wäre ich doch mal gespannt darauf, ob Sie den völlig verqueren Begriff der «Überalterung» auch noch verwenden, wenn Sie eines Tages um die 75 Jahre alt sind. Und ob sie dann der eigenen, raschen Sterbebegleitung zugunsten einer «neuen Dynamik im Land» zustimmen.
      Wie mal jemand sagte: Wer nicht alt werden will, muss jung sterben. Tief Luft holen ist immer hilfreich. Glauben Sie mir, Ihre Luft wird nicht von den Senioren weggeatmet.

  • am 5.11.2025 um 10:27 Uhr
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    Wikipedia: «Senizid, zu Deutsch Altentötung, ist ein Begriff für die kulturell hergeleitete Tötung alter Menschen… Senizid ist eine seit langer Zeit weitverbreitete kulturelle Maßnahme der Bevölkerungsregulation, um bei zugrundeliegender utilitaristischer Rechnung finanzielle Ressourcen zu sparen oder das Überleben des Volkes zu sichern…»

    Sehr beachtenswerte Aussagen im Artikel: «Der Theologe (!) Joachim Wiemeyer plädierte vor Jahren schon dafür, «nicht jede lebensverlängernde Massnahme für sehr alte Leute» bereitzustellen. Der Gesundheitsökonom Friedrich Breyer schlug vor, keine Herzoperationen mehr für über 75-Jährige zu bezahlen. Und der Ärztekammerpräsident Karsten Vilmar prägte 1995 mit dem «sozialverträglichen Frühableben» sogar das Unwort des Jahres…»
    Könnte wohl die Möglichkeit bestehen, dass der vergessene «Senizid» ausgraben werden könnte, um aufzuzeigen wie man Geld sparen könnte.
    Gunther Kropp, Basel

  • am 5.11.2025 um 11:21 Uhr
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    Niemand soll einfach verfügen können, weder ein Ökonom, aber auch nicht ein Arzt. Ich wechselte den Kardiologen, als der eine nach langem Ultrabeschallen befand: Muss operiert werden. Ärzte sollten viel mehr über Möglichkeiten und Risiken informieren, als befinden / verordnen. Wenn mir als 80-jährigem Myelom-Patient noch ein Herzklappenfehler diagnostiziert wird, dann will ICH entscheiden, ob das noch operiert werden soll. Wenn der Patient als mündiger Mensch und nicht nur als Objekt von Medizinern angesprochen wird, gibt es Chancen, dass eben auch weniger und nicht nur immer mehr behandelt wird.

  • am 6.11.2025 um 01:17 Uhr
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    Chronischkranke, Behinderte, Alte sind zu teuer (damals: «unwert»). Und Deutschland ist – noch – relativ zurückhaltend, öffentlich.
    Watson 6.12.2022 — «Ermittlungen gegen Neuralink: US-Behörden untersuchen das von Elon Musk gegründete Unternehmen wegen mutmasslicher Tierquälerei. Musk soll die Beschäftigten stark unter Erfolgsdruck gesetzt haben.» Musk behauptet, Neuralink diene Gelähmten. Ich behaupte, der immense x-Multimilliarden-Effort dient dem Gegenteil:
    FAZ 10.03.2025 — Elon Musk ist gefährlich: Jetzt spricht sein Vater Errol Musk
    Elon Musks Vater Errol erzählt im ZDF Familiengeheimnisse. Sein Sohn, sagt er, sei «gefährlich für faule und nutzlose Menschen».
    Vergleiche: US-Kriegsminister: «Wir entfesseln überwältigende Gewalt» (Zeitschrift «Ze!tpunkt», Okt. 2025).

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