Kommentar
Die Alten sind zu teuer
Wer in der Politik was werden will, der braucht die Medien. Dorthin kommt man mit dem immer gleichen Trick: Man nehme irgendein Reizthema, über das gerade vielerorts diskutiert wird, packe eine steile These drauf und stelle sich dann den vielen Interviewanfragen. Plötzlich ist man bekannt.
An einen solchen skandalösen Vorgang musste ich denken, als sich Thomas Lemke, Vorstandsvorsitzender der Sana-Kliniken, neben Asklepios und Helios drittgrösster Klinikträger in Deutschland, vor kurzem mit einem Aufsehen erregenden Vorschlag zu Wort meldete. Sein Vorschlag ist eigentlich ein alter Hut. Aber dazu gleich mehr.
«Früher auch auf Krücken»
Schon vor über 20 Jahren forderte der damalige Vorsitzende der Jungen Union, dass bestimmte Kassenleistungen wie etwa Gelenkprothesen für über 85-Jährige gestrichen würden.
Der 24-jährige Jungpolitiker wurde deutlich: «Ich halte nichts davon, wenn 85-Jährige noch künstliche Hüftgelenke auf Kosten der Solidargemeinschaft bekommen. Früher sind die Leute auch auf Krücken gelaufen.» Und eine damalige Jung-Parlamentarierin namens Katherina Reiche sprang ihm bei und nannte seine Attacke «mutig». Heute ist sie Wirtschaftsministerien.
«Sozialverträgliches Frühableben»
Solche Überspitzungen der Generationendebatte tauchen immer wieder auf. Der Theologe (!) Joachim Wiemeyer plädierte vor Jahren schon dafür, «nicht jede lebensverlängernde Massnahme für sehr alte Leute» bereitzustellen. Der Gesundheitsökonom Friedrich Breyer schlug vor, keine Herzoperationen mehr für über 75-Jährige zu bezahlen. Und der Ärztekammerpräsident Karsten Vilmar prägte 1995 mit dem «sozialverträglichen Frühableben» sogar das Unwort des Jahres.
Aber nun zurück zu Thomas Lemke. «Wir müssen uns als Gesellschaft fragen, ob wir den Menschen in jeder Lebensphase – und da rede ich jetzt von 80 aufwärts – die vollumfängliche Medizin zukommen lassen», sagte Lemke jüngst im Podcast von «Table Today». Auch behauptete er, dass in den meisten anderen Ländern medizinische Leistungen ab einem bestimmten Alter nur bei Eigenbeteiligung angeboten würden. Abgerundet hat er seine Vorschläge mit der grandiosen Idee, Versicherten 100 bis 200 Euro pro Jahr zu erstatten, wenn sie im Jahr nur zweimal oder noch seltener zum Arzt gehen.

Der «Klinikchef»
Thomas Lemke wird in den Medien als «Klinikchef» vorgestellt. Ich bin entsetzt. Das soll ein Klinikchef gesagt haben? Aber dann lese ich, dass dieser Klinikchef ein Diplom-Kaufmann ist und als Steuerberater und Wirtschaftsprüfer tätig war, bevor er in den Vorstand der Sana-Kliniken kam.
Also kein Arzt. Ein Stein fällt mir vom Herzen. Jetzt verstehe ich seine Vorschläge auch besser. Sie haben nichts mit Gesundheit zu tun, es geht auch gar nicht um Kranke und Krankheiten, sondern einzig und allein um Kosten und Gewinne. Und mit Prämien zu ködern, um Arztbesuche zu verhindern, ist auch keine ärztliche Idee. Es ist bekannt, dass Menschen dadurch zu spät zum Arzt kommen, was fatale Folgen haben kann.
Und bei einer Recherche über «die meisten anderen Länder», die ab einem bestimmten Alter medizinische Leistungen nur gegen Eigenbeteiligung anbieten, bleibt das Suchfeld völlig leer. Eine erneute Suche mit KI ergibt: «In keinem der untersuchten Länder gibt es eine generelle Regelung, die vorschreibt, dass medizinische Leistungen ab einem bestimmten Alter nur noch gegen eine höhere Eigenbeteiligung erbracht werden.
Die Argumentation fällt in sich zusammen
Stattdessen gibt es länderspezifische Vorschriften zu Zuzahlungen, Freibeträgen oder Selbstbehalten, die für die gesamte Bevölkerung gelten – unabhängig vom Alter. In einigen Ländern existieren sogar Regelungen, die ältere Menschen von bestimmten Kosten befreien oder ihren Eigenanteil beschränken.
Was bleibt also schlussendlich übrig von all der Altersdemagogie des Herrn Lemke? Wenn man jetzt ausserdem noch bedenkt, dass der Mensch den Löwenanteil der Kosten im Gesundheitswesen ein Jahr vor seinem Ableben produziert, egal, in welchem Alter er stirbt – dann fällt die ganze Argumentation endgültig in sich zusammen. Sie hat mit Menschen und Medizin, mit Gesundheit und Krankheit nichts zu tun.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine. Dieser Kommentar des Arztes und Autors Bernd Hontschik erschien zuerst in der Frankfurter Rundschau.
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.





					
				


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