Nach Corona: Fast Fashion goes Overdrive

Währed der Pandemie blieben viele Kleider in den Lagern der Modeunternehmen liegen. © public-domain Alejo Reinoso

Nach Corona: Fast Fashion goes Overdrive

Daniela Gschweng /  Die Bekleidungsindustrie steckt nach dem Lockdown im Modekollaps – Millionen neuer Kleidungsstücke drohen vernichtet zu werden.

Gross- und Einzelhandel sassen schon nach den ersten Corona-Schliessungen auf Bergen von nicht verkaufter Saisonware, was sich gerade wiederholt. Der Fashion-Industrie droht der Modekollaps.

Besonders viele Kleidungsstücke laufen dort auf, wo hoher Durchsatz zum Geschäftsprinzip gehört. H&M beispielsweise bestückt seine Läden normalerweise wöchentlich neu.

Eine halbe Milliarde kaum verkäufliche Produkte

In Deutschland haben sich nach Schätzungen der Handelsverbände bis Ende Januar eine halbe Milliarde Schuhe, Textilien und andere Modeartikel angestaut. Für die Schweiz gibt es weder Zahlen noch Schätzungen.

Für den Fashionhandel sei die Situation derweil dramatisch, gab der Handelsverband Textil BTE in einer Pressemitteilung bekannt. Bereits für 2020 gehe man im Fashionhandel von einem Umsatzverlust von 30 Prozent aus. Mit den geringeren Einnahmen aus dem vergangenen Jahr müsse jetzt die Frühjahrs- und Sommermode bezahlt werden.

Die Lager aber sind voll mit Pullis, Hosen, Mänteln, Stiefeln, die voraussichtlich keiner mehr kaufen wird. Nachvollziehbar, dass die Branche nun sehr viele Kleider loswerden will, und das so schnell und so günstig wie möglich. Da die Margen auf Kleidung gering sind, lohnen sich Lösungen wie Recycling kaum.

Greenpeace warnt vor Vernichtung grosser Bestände

Nach dem Kreislaufwirtschaftsgesetz, das in Deutschland seit Ende Oktober 2020 eine sogenannte Obhutspflicht vorsieht, müssen zumindest grosse Unternehmen offenlegen, was mit nicht verkaufter Kleidung passiert. Die entsprechende Verordnung zum Gesetz ist jedoch noch in Arbeit.

Bis zum 14. Januar habe die Branche noch nicht bekanntgegeben, was mit der aufgelaufenen Kleidung passieren soll, warnt Greenpeace. Von Weitergabe, Spende, Lagerung oder Ähnlichem wäre bisher nichts zu hören. Das bedeute wahrscheinlich, dass Millionen von Kleidern geschreddert oder anderweitig vernichtet werden.

Die noch fehlende Auslegung bedeute nicht, dass das Gesetz nicht gültig sei, argumentiert Greenpeace und droht mit Klage. In der Schweiz gibt es noch kein Gesetz, das die Vernichtung von neuwertigen Waren verbietet.

Überflüssige Modeberge sind kein überraschendes Ereignis

Unerwartet kommt die Situation nicht. Bereits nach dem ersten Lockdown im Frühjahr 2020 befürchtete der Handel Rabattschlachten nach der Wiedereröffnung. Viele Kleider blieben unverkauft.

Im stationären Handel sei die Lage noch besser als beim Online-Versand, sagte Milo Goldener, Präsident des Dachverbandes des Schweizerischen Textilhandels, schon im April letzten Jahres. Er befürchtete, dass auch in der Schweiz Produkte zerstört werden könnten.

Nach Corona: Fast Fashion goes Ovedrive

Dass auch diesmal vieles liegen blieb, ist keine Überraschung, weder in Deutschland noch anderswo. Bereits in normalen Zeiten würden in Frankreich jährlich neuwertige Produkte im Wert von 630 Millionen Euro vernichtet, darunter bis zu 20’000 Tonnen neue Kleider, hat «SRF» recherchiert, das sich auf die Suche danach begeben hat, was mit Retouren im Online-Handel passiert. Frankreich hat in Bezug auf die Vernichtung von Kleidern strenge Gesetze.

Vieles wird schon am Anfang der Lieferkette vernichtet

Organisationen wie Public Eye, die die ganze Lieferkette im Blick haben, weisen darauf hin, dass viele Modeartikel und auch Stoffe bereits in den Fabriken in Südostasien vernichtet werden, weil Bestellungen wegen der Pandemie ausblieben oder sogar rückgängig gemacht wurden.

«Wir haben erfahren, dass mehrere Firmen recht rücksichtslos bestellte Ware storniert haben, was sich massiv auf Zulieferbetriebe und deren Angestellte auswirkt», sagt David Hachfeld, Fachverantwortlicher für die «Clean Clothes Campaign» bei Public Eye auf Nachfrage.

Corona-Nebeneffekt: die Altkleidercontainer laufen über

Als Nebeneffekt der Pandemie hatten viele Leute mehr Zeit – auch zum Aussortieren. In Folge davon laufen sowohl in Deutschland wie in der Schweiz die Altkleidercontainer über, während es keinen Markt für Altkleider mehr gibt.

Eine Entwicklung, die sich schon vorher abgezeichnet hat: Von den Kleidern, die wir kaufen, hatten wir, wie Studien zeigen, viele so gut wie nie an, bevor wir sie entsorgen – eine groteske Ressourcenverschleuderung. Die Qualität der gespendeten Kleidung werde dabei immer schlechter, beklagen die sammelnden Organisationen. An vielen Orten wurden deshalb Altkleidercontainer entfernt.

Die Branche selbst sieht Mode derweil als verderbliches Gut.

Lesen Sie dazu auf Infosperber:
«Wie Kleidung dem Klima schadet» Die Fashion-Industrie ist eine der schmutzigsten Branchen der Welt. Und recycelt wird von getragener Kleidung erschreckend wenig.

«Mikroplastik: Zu viele Fussel im arktischen Meer» Im arktischen Ozean wimmelt es von Mikroplastik, vor allem ausgewaschene Kleidungsfasern verschmutzen dort die Meere.

«Die Ausbeutung in der Textilindustrie geht weiter» 2013 starben bei einem Brand in einer Textilfabrik in Bangladesch 1‘100 Menschen. Geändert hat sich seither wenig.

«Textilindustrie: Ausbeutung bleibt in Mode» Nur zwei von 45 Modeunternehmen zahlen den Textilarbeitern Löhne, die zum Leben reichen. Das zeigt eine aktuelle Firmen-Befragung.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine.

War dieser Artikel nützlich?
Ja:
Nein:


Infosperber gibt es nur dank unbezahlter Arbeit und Spenden.
Spenden kann man bei den Steuern in Abzug bringen.

Direkt mit Twint oder Bank-App



Spenden


Die Redaktion schliesst den Meinungsaustausch automatisch nach drei Tagen oder hat ihn für diesen Artikel gar nicht ermöglicht.