Kommentar

Der Spieler: Wo ich die Spielfigur selber bin

Synes Ernst ©

Synes Ernst. Der Spieler /  Kartenspiele sind sehr beliebt. Sie bieten für jeden Geschmack und jedes Spielbedürfnis etwas. Und fordern gute Menschenkenntnis.

Als Spielkritiker werde ich sehr oft gefragt, welches mein Lieblingsspiel sei. Jedesmal muss ich passen. Ein Lieblingsspiel habe ich nicht. Mehr noch, ein Lieblingsspiel könne es gar nicht geben. Denn es komme bei der Bewertung eines Spiels immer darauf an, wie die Runde zusammengesetzt sei, in der ich spiele, wie meine Stimmung sei, ob ich gerade Lust auf ein komplexes Spiel habe oder ob ich einfach etwas Schnelles und Unkompliziertes runterspielen möchte, ohne mir viel überlegen zu müssen. Man könne die Frage nach dem Lieblingsspiel durchaus mit jener nach dem Lieblingsessen vergleichen. Einmal steht ein schöner Wurst-Käse-Salat zuoberst auf der Rangliste, ein andermal eine gebackene Seeforelle. Es kommt auch hier auf die Umstände an.

Ein Lieblingsspiel kenne ich also nicht. Eine Lieblingsspielgattung hingegen schon. Eine Gattung also, deren Entwicklung ich nicht nur als Kritiker – das heisst aus beruflichen Gründen – mit besonderem Interesse verfolge, sondern auch ganz persönlich als Spieler. Eine Gattung, die mich seit je mehr packt als andere. Es sind die Kartenspiele.

Ein reicher Schatz

Mit dieser Vorliebe bin ich nicht allein. Millionen von spielenden Menschen geht es gleich. Kartenspiele haben – neben den Würfelspielen – die Geschichte des Spiels und des Spielens geprägt. Aus den unterschiedlichsten Kombinationen von vielfach ähnlichen Grundregeln ist im Verlauf der Jahre eine unüberschaubar grosse Vielzahl von Kartenspielen entstanden. Wer in diesem Schatz etwas sucht, das seinem Spielgeschmack und seinem Spielbedürfnis entspricht, wird garantiert fündig, sei es bei den einfachen Quartetten für Kinder oder den komplexeren Stichspielen für Erwachsene, wie Jassen oder Skat.

Kartenspiele sind kleinformatig und können deshalb überallhin mitgenommen werden. Das macht sie zum idealen Spiel für unsere mobile Zeit. Niedrige Produktionskosten erlauben darüber hinaus einen günstigen Verkaufspreis, was Kartenspiele für alle soziale Schichten zugänglich macht. Das Preis-Leistungsverhältnis bei Kartenspielen ist unschlagbar gut, vor allem auch im Vergleich mit den Preisen, die man für andere Unterhaltungsmöglichkeiten bezahlt. Kommt hinzu, dass der Einstieg bei Kartenspielen generell eher einfach ist, eben: Spiele für alle.

Menschenkenntnis ist gefragt

Dass ich Kartenspiele besonders mag, hat noch einen anderen Grund: Das gesellschaftlich-soziale Element, das für mich wesentlich zum Spielen gehört, ist bei Kartenspielen sehr ausgeprägt vorhanden (einzige Ausnahme: Patiencen). Nicht selten spielt man in Teams, was den Austausch unter den Teilnehmenden grundsätzlich fördert. Vor allem aber muss man sich beim Spielen nicht auf das Geschehen und die laufenden Veränderungen auf einem Spielplan konzentrieren und wird nicht, was oft auch der Fall ist, durch eine überladene Grafik abgelenkt. Nein, beim Spiel mit den Karten ist es möglich, einander direkt anzuschauen. Aus der Körpersprache und der wechselnden Mimik bei den Mitspielenden lässt sich unter Umständen schliessen, ob sie bluffen, ob sie gute oder schlechte Karten in der Hand haben. Menschenkenntnis ist da gefragt. Im Unterschied zu den übrigen Brett- und Gesellschaftsspielen werden beim Kartenspiel keine Spielfiguren gezogen. Ich selber bin sie.

Unter Kartenspielern ist leider eine Unsitte sehr weit verbreitet – das Lagerdenken. Für eingefleischte Jasserinnen und Jasser gibt es nur Jass als Kartenspiel, für Bridget-, Skat- oder Canasta-Liebhaber gilt ähnliches. Das Phänomen ist nicht nur in bezug auf die klassisch-traditionellen Kartenspiele zu beobachten, sondern auch für neue Kultspiele, wie «Tichu» oder «Magic: The Gathering». Einmal Jass, immer Jass, da hat ein «Sticheln» nicht den Hauch einer Chance.

Das Angebot an alten und neuen Kartenspielen ist, wie gesagt, riesig. Als Konsumentin oder Konsument findet man sich allein kaum zurecht. In dieser Situation bietet sich der «À-la-carte-Kartenspielpreis» der Fachzeitschrift «Fairplay» als Orientierungshilfe geradezu an. Der Preis wird seit 1991 von einer Fachjury vergeben. Insgesamt 33 Titel umfasst die Liste der Preisträger, alles Namen, die Erinnerungen an spannende Spielrunden wachrufen, die meisten von ihnen alterslos und frisch, obwohl sie 20 Jahre und mehr auf dem Buckel haben. Auch das ist selten in der fast krankhaft auf Neuheiten (nicht: Innovationen) fixierten Spielebranche. Diese Einschätzung gilt auch für den Grossteil der Zweit- und Drittplatzierten auf der «Fairplay»-Liste.

Wer ein gutes Kartenspiel sucht, kann wirklich aus dem Vollen schöpfen: «Tichu», vom Berner Urs Hostettler entwickelt, bietet stundenlangen Spielspass, das Stichspiel «Sticheln» nimmt es mit jedem Klassiker dieser Art von Kartenspielen auf. Wenn ich ein Spiel nennen muss, das ich am liebsten selber erfunden hätte, dann ist es für mich «6 nimmt!». Ich beneide den Autor Wolfgang Kramer heute noch um diese genial-einfache Idee. Verwünschen möchte ich manchmal hingegen Reinhard Staupe für sein rasantes Ablegespiel «Speed», bei dem ich schon alt aussah, als ich das AHV-Alter noch nicht erreicht hatte. Das bei Jugendlichen sehr beliebte Kartensammelspiel «Magic: The Gathering» machte 1995 bei seinem Siegeszug durch die Spielwelt auch einen Zwischenhalt auf der «Fairplay»-Liste. Mit «Caesar & Cleopatra» startete der Kosmos-Verlag 1998 eine erfolgreiche Reihe von Zweierspielen, von denen «Babel» (2001), «Jambo» (2005) sowie «Targi» und «Rapa Nui» (2012) zu weiteren Titelehren und Spitzenplätzen kamen. Mit «Anno Domini» (1999) hat Urs Hostettler die Gattung der Quiz- und Wissensspiele «entschulmeisterlicht», eine tolle Leistung, die jedoch nicht mit dem ersten Preis belohnt wurde. Diesen erhielt «Verräter», dem auf dem zweiten Platz das witzige Pizza-Backspiel «Mamma mia» von Uwe Rosenberg folgte. Dieser war 1997 mit «Bohnanza» zuoberst auf dem Treppchen gelandet. Statt Schiffe Schafe versenken – darum geht es in «Land unter» von Stefan Dorra (2001). Dass das Spiel im Jahre eines Elbehochwassers auf den Markt kam, war mehr als nur Pech für den Verlag. Aus seinem einfachen «Coloretto», dem Preisträger von 2003, entwickelte Michael Schacht das 2007 mit dem Titel «Spiel des Jahres» gekrönte «Zooloretto». Den umgekehrten Weg vom Brett- zum Kartenspiel gingen erfolgreich die Kartenversion von «Die Siedler von Catan» (1997), von «Puerto Rico» («San Juan») und «Sankt Petersburg» (beide 2004).

Kleines neben Grossem

Im «Fairplay»-Wettbewerb hat Grosses neben Kleinem Platz, so das anspruchsvolle «Ohne Furcht und Adel» (2000) neben dem witzigen «Kakerlakenpoker», einer höchst amüsanten Variante des altbekannten Lügenspiels. Mit «Dominion» (2009) und «7 Wonders» (2011) holten gar zwei ausgewachsene «Spiele des Jahres» den Kartenspielpreis, was sich damit erklären lässt, dass in beiden Spielen Karten den wesentlichen Teil des Spielmaterials bilden. Richtigerweise definiert «Fairplay» den Begriff Kartenspiel nicht allzu eng. Und dank dieser Grosszügigkeit kommt Antoine Bauza zum zweiten Mal zu Titelehren: Diese Woche wurde bekannt, dass sein «Hanabi» Preisträger 2013 ist.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Spielekritiker für das Ausgehmagazin «Apéro» der «Neuen Luzerner Zeitung». War lange Zeit in der Jury «Spiel des Jahres», heute noch beratendes Mitglied. Als solches nicht an der aktuellen Wahl beteiligt. Befasst sich mit dem Thema «Spielen – mehr als nur Unterhaltung».

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