Kommentar

Der Spieler: Jedes Spiel ist ein Lernspiel

Synes Ernst ©

Synes Ernst. Der Spieler /  Viele Schweizer meinen, beim Spielen müsse man etwas lernen. Warum auch dieser Zwang? Beim Spielen lernt man immer. Einfach so.

Schweizer haben angeblich alles erfunden, aber einen «Schweizer Lernspielpreis», wie er seit 2003 in Deutschland existiert, gibt es bei uns nicht. Dabei würde er so gut zu uns passen, zum Verhältnis von uns Schweizern zum Spielen. «Schweizer Verlage packen hinterrücks immer noch ein pädagogisches Element in ihre Spiele», sagte vor Jahren einst Erwin Glonnegger in einem Referat. Glonneggers Wort hat Gewicht: Er machte als Verlagsleiter ab Mitte des vergangenen Jahrhunderts Otto Maier Ravensburg zum führenden deutschen Spieleverlag.

Beim Spielen muss man etwas lernen. Das entspricht typisch schweizerischem Nützlichkeitsdenken. Wer im Fachhandel oder an einer Publikumsmesse wie etwa der Suisse Toy Spiele erklärt, wird immer wieder mit der Frage konfrontiert, was Kinder bei diesem oder jenem Spiel lernen könnten. Und ein Spiel ist in den Augen vieler Eltern oder Grosseltern erst dann ein gutes Spiel, wenn es etwa das Gedächtnis der Kinder schult oder ihre Rechenfähigkeit fördert. Solche Spiele darf man dann guten Gewissens an Enkel- oder Göttikinder verschenken.

Lust, Freude und Spass
Spielen aber ist Freiheit. Ist etwas tun, das man nicht muss. Und nichts, bei dem ich schon zu Beginn frage, was am Ende für mich herausschaut. Deshalb macht Spielen Freude, macht Spielen Spass, bereitet Spielen Lust. Nun zeigen die jüngsten Ergebnisse der Hirnforschung aber, dass man besten lernt, wenn man dabei Lust, Spass und Freude empfindet – also genau das, was Spielen beim Menschen auslöst.
Was immer ich auch spiele, ich fördere damit meine sozialen, intellektuellen, kreativen, taktischen, Fähigkeiten. Jedes Spiel ist ein Lernspiel, weil Spielen und Lernen identische Prozesse sind. Das erklärt auch, weshalb mir «Lernspiel» als Gattungsbegriff gar nicht passt. Und weshalb ich jedes Jahr mit einiger Skepsis auf die Bekanntgabe des Preisträgers des «Deutschen Lernspielpreises» warte, mit dem «pädagogisch hochwertige» Spiele ausgezeichnet werden.

Der diesjährigen Preisträger in der Kategorie Spiele ab 9 Jahren heisst «Blockers!». Mit dem taktischen Legespiel dürften Lernspiel-Fundis allerdings ihre Mühe haben. Das beginnt schon bei der Beschreibung durch die Jury: «Plättchen legen und dem anderen die besten Möglichkeiten versauen – ein bisschen fies darf es sein bei diesem ganz besonderen Taktik-Spiel.» «Versauen», «fies», passt das zu einem «pädagogisch hochwertigen» Spiel? Und was soll beim Ablegen von farbigen Plättchen auf einem Spielbrett «pädagogisch hochwertig» sein, zumal dabei nicht einmal minimale rechnerische Fähigkeiten gefordert sind?

Diskussion ad absurdum geführt
Paradoxerweise führt ausgerechnet der Preisträger 2012 die auf den Begriff «Lernspiel» fokussierte Sichtweise des Themas «Spielen und Lernen» ad absurdum. «Blockers!» ist nämlich ein hervorragendes und Legespiel, bei dessen Entstehung wohl niemand je daran gedacht hat, er würde damit ein spezifisches «Lernspiel» entwickeln. Ziel war es, ein gutes Spiel auf den Markt zu bringen, was der Autorin und dem Verlag absolut gelungen ist. Weil der Mechanismus durchdacht ist und sich der Spielablauf praktisch selbst erklärt, macht «Blockers!» Spass, dies nicht zuletzt deshalb, weil das Blockieren zum richtigen Zeitpunkt und am richtigen Ort durchaus Emotionen freisetzen kann. Darob vergisst man, dass das Spiel von den Teilnehmenden ein hohes Mass an Planung, das heisst eine enorme intellektuelle Leistung abverlangt. Und was gefordert wird, wird auch gefördert.

Der Titel «Deutscher Lernspielpreis» sei «Blockers!» gegönnt. Das Spiel hätte diese Auszeichnung nicht gebraucht. Es bietet auch so spielerisches Lernen, richtiges «Training on the Job», und zwar einfach so nebenbei, wie es nur ein gutes Spiel kann.

Blockers! Legespiel von Kory Heath für 2 bis 5 Personen ab 8 Jahren. Bestellmöglichkeit siehe Link unten.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Spielekritiker für das Ausgehmagazin «Apéro» der «Neuen Luzerner Zeitung». War lange Zeit in der Jury «Spiel des Jahres», heute noch beratendes Mitglied. Befasst sich mit dem Thema <a href="http://www.spielpunkt-x.ch">«Spielen – mehr als nur Unterhaltung»</a>

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Spielen macht Spass. Und man lernt so vieles. Ohne Zwang. Einfach so.

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