Kommentar

Der Spieler: «Five!» gegen die Leere des Alltags

Synes Ernst ©

Synes Ernst. Der Spieler /  Ein einzigartiges Projekt: Der Spielehersteller Steffen Mühlhäuser kreiert eine Spielesammlung eigens für Flüchtlinge.

Eine offene Handfläche mit fünf gespreizten Fingern – ohne die «Give me five»-Geste kaum ein Begrüssungsritual unter Jugendlichen. Was sie bedeutet, ist klar: Ich bin offen für Dich, ich schenke Dir meine Aufmerksamkeit, ich gebe Dir einen Teil meiner Zeit. Es überrascht deshalb nicht, dass die «Give me five»-Hand zum Symbol einer einzigartigen Aktion geworden ist, die Spieleautor und Verleger Steffen Mühlhäuser zugunsten von Flüchtlingen kürzlich lanciert hat. Denn bei dieser Aktion geht es exakt um Begrüssung, Offenheit, Aufmerksamkeit und Zeit.

Leerer Alltag

Steffen Mühlhäuser weiss natürlich auch, dass die Flüchtlinge, die aus den Krisengebieten des Nahen Ostens nach Europa gekommen sind, fürs erste Unterkunft und Verpflegung benötigen. Was aber, wenn diese Grundbedürfnisse gesichert sind? «Menschen in Notsituationen brauchen nicht nur eine Basisversorgung», sagt er, «soziale und kulturelle Aktivitäten gehören genau so zum Menschsein wie Nahrung und ein Dach über dem Kopf.» Eines der grössten Probleme in den Unterkünften sei der leere Alltag, weil die Menschen dort die meiste Zeit mit Warten verbringen müssten. In einem Interview mit der «Süddeutschen Zeitung» warnt Mühlhäuser: «Dieser Leerlauf erzeugt soziale Spannungen.»

Dies soll das Projekt Five! verhindern. «Kaum etwas kann Wartezeiten besser verkürzen als ein Spiel», heisst es im Projektbeschrieb. «Spiele gegen Lagerkoller!» bringt es Mühlhäuser im SZ-Interview auf den Punkt. Die Idee für das Projekt ist entstanden, nachdem der Verleger im Frühherbst in einem Flüchtlingscamp Spielrunden durchgeführt und dabei erlebt hatte, wie die Menschen das Angebot «sehr gut» annahmen. Als Mangel stellte er fest, dass die Flüchtlinge darauf angewiesen waren, dass jemand Spiele organisierte, damit sie ihre Warterei spielend verkürzen konnten. Sie hatten ja nichts dabei, folglich auch keine Spiele. Also stand für Mühlhäuser fest, dass sein Projekt nur richtig Erfolg haben würde, wenn die Flüchtlinge ein Spiel in die Hand bekämen, das ohne grosse Vorbereitung spielbereit wäre und sich in kleinem Gepäck überall hin mitnehmen liesse.

Die universelle Sprache abstrakter Spiele

Klar war für Mühlhäuser auch, dass es ein abstraktes Spiel mit leicht verständlichen Regeln sein musste: «Gerade die Mechanismen abstrakter Spiele sprechen eine universelle Sprache, denn sie basieren im Grunde immer auf Zahlen, Mustern und Proportionen. Menschen aus unterschiedlichen Kulturen verstehen direkt, was bei Spielen wie Domino, Mühle oder Mensch ärgere Dich nicht zu tun ist.» In allen Kulturen kenne man Wettläufe, den Reiz des Sammelns oder sei «fasziniert» vom Element des Zufalls.

Der 59-jährige Steffen Mühlhäuser setzt für das Flüchtlingsspiel den Massstab an, der auch für seinen 2003 gegründeten Verlag gilt. Steffens Spiele gelten in der Branche als Produkte, die leicht zugänglich sind und die als generationenübergreifende Spiele bei Jung und Alt gern auf den Tisch kommen. Sie bestehen zudem aus hochwertigem Material, was das Spielen immer auch zu einem besonderen haptischen Erlebnis macht, ganz abgesehen von der gepflegten Gestaltung. Das Auge darf und soll mitspielen. Spielen ist nämlich für den gelernten Grafiker Mühlhäuser «nicht nur ein intellektueller, sondern auch ein sinnlicher Vorgang».

Der Vorläufer «Copa»

19 Titel umfasst das aktuelle Verlagsprogramm. Jeder verkörpert die Philosophie Mühlhäusers, mal stärker, mal schwächer. Eines der typischsten Steffen-Spiele ist für mich das Schalenspiel Copa aus dem Jahr 2013. Es handelt sich nicht um eines, sondern um eine Sammlung von vier Spielen, die von Steffen Mühlhäuser selber, Daniel Krieg und Fred Horn stammen. Von ihrem Charakter her sind sie sehr unterschiedlich: Das strategisch-taktische Kala kann seine Verwandtschaft mit dem klassischen Mancala nicht verleugnen. Ronda hingegen ist ein Memoryspiel, während in Hopper Geschicklichkeit gefragt ist. Das gute alte Flohspiel lässt grüssen. Da Capo schliesslich ist ein raffiniertes Bluffspiel.

Copa ist gewissermassen ein Vorläufer von Five!. Denn auch dieses Projekt ist als Sammlung von – hier – fünf Spielen konzipiert, die kein Spielbrett haben und die alle mit dem gleichen Spielmaterial auskommen. In der «Süddeutschen» hat Steffen Mühlhäuser ein wenig über den Inhalt von Five! verraten: «In der Schachtel befindet sich Material für eine Art Fünf gewinnt!, ein Turmbauspiel für zwei Spieler, ein Bluffspiel für vier Spieler, ein Merkspiel für Gruppen und eine Variante des bekannten Steckspiels Solitär

Bis Five! in grosser Auflage produziert und kostenlos in Flüchtlingsunterkünften, Begegnungszentren und anderen Einrichtungen verteilt werden kann, braucht es vor allem eines: Geld. Dafür sucht Mühlhäuser Sponsoren und finanzielle Unterstützung. Für die erste Auflage von 5000 Exemplaren fehlen derzeit laut Spenderplattform betterplace.org noch rund 15 000 Euro. Der Initiant zieht eine Startbilanz: «Wir sind begeistert! Bereits nach der ersten Woche ist durch eure Unterstützung ein Viertel der Summe zusammengekommen, die wir für die Herstellung der Five!-Spiele benötigen.»

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Copa: Vier Schalenspiele von Steffen Mühlhäuser, Daniel Krieg und Fred Horn für 2 bis 5 Spielerinnen und Spieler ab 7 Jahren. Verlag Steffen Spiele (Vertrieb Schweiz: Froschkönig, Bülach), Fr. 58.-


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Spielekritiker für das Ausgehmagazin «Apéro» der «Neuen Luzerner Zeitung». War lange Zeit in der Jury «Spiel des Jahres», heute noch beratendes Mitglied. Als solches nicht an der aktuellen Wahl beteiligt. Befasst sich mit dem Thema «Spielen – mehr als nur Unterhaltung».

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