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Synes Ernst, Spiel-Experte © cc

Der Spieler: Ehrenrettung für eine unterschätzte Gattung

Synes Ernst. Der Spieler /  Viele Kritiker mögen Geschicklichkeitsspiele nicht. Zu Unrecht. Denn mit Spielen wie „Drop it“ holt man Spielemuffel an den Tisch.

Spielekritikerinnen und -kritiker mögen nicht alle Spiele, über die sie schreiben, ich eingeschlossen. Müssen sie auch nicht, da eine kompetente und gleichzeitig faire Bewertung nicht nur auf der eigenen Spielerfahrung basiert, sondern auch auf der Beobachtung von Mitspielenden in unterschiedlichen Gruppen. Soll man dann seiner Leserschaft auch sagen, dass mir eine Spielegattung nicht oder nicht besonders zusagt? Ja, denn ein Urteil gewinnt an Glaubwürdigkeit, wenn der Kritiker seinen Lesern gegenüber transparent und ehrlich ist. So schreibe ich regelmässig in meinen Rezensionen, dass ich unter anderem ein Fan von Würfel- und Auktionsspielen bin, aber Spiele nicht besonders mag, bei denen Schnelligkeit und Fingerfertigkeit gefragt sind.

„Nicht mein Spiel“

Wenn es eine Gattung von Spielen gibt, für die Kritikerinnen und Kritiker kein Herzblut vergiessen, dann sind es die Geschicklichkeitsspiele. Besteht diese Abneigung, weil Menschen, die über Spiele schreiben, feinmotorisch und haptisch weniger begabt sind als andere? Oder ist ihre Reaktionsfähigkeit langsamer? Ist ihr Gleichgewichtssinn schlechter ausgeprägt? Ihre Treffsicherheit? Ich weiss es nicht. Tatsache ist aber, dass ich in Rezensionen von Geschicklichkeitsspielen häufig den Satz lese: „Das ist einfach nicht mein Spiel.“ In Besprechungen von Strategie- und Taktikspielen ist Ähnliches kaum zu finden, und wenn, würde man sich verwundert fragen, ob der Urheber wohl nicht seinen Beruf verfehlt habe (da diese Gattung den grössten Teil des gesamten Angebots an Brett- und Gesellschaftsspielen ausmacht).

Der Gattung der Geschicklichkeitsspiele geschieht irgendwie Unrecht. Denn in Wirklichkeit bietet sie Grossartiges, was auch ihre Beliebtheit beim breiten Publikum erklärt: minimalen Regelbestand, schnellen Einstieg, unkomplizierten Spielablauf, Spannung und – dies vor allem – Momente voller Emotionen. Spiele mit diesem Potenzial kommen erfahrungsgemäss bei Menschen sehr gut an, die eher wenig spielen, bei Menschen, die in erster Linie Unterhaltung in guter Gesellschaft suchen.

Heikle Tabuzonen

Das neue Geschicklichkeitsspiel „Drop it“ hat dies alles, und zwar in idealer Form. Ist es einmal aufgebaut, kann man gleich loslegen. Viele fühlen sich wegen des Spielgeräts aus Kunststoff, das zwischen den Teilnehmerinnen und Teilnehmern steht, an das klassische Taktikspiel „Vier gewinnt“ erinnert. Aber „Drop it“ ist ganz anders. Wer an der Reihe ist, lässt eine Figur seiner Farbe in einen Schacht fallen. Dabei kann er zwischen Dreiecken, Kreisen, Quadraten und Rauten wählen. Je nach dem, wo das Teil zu liegen kommt, erhält man Punkte, die am Ende über Sieg oder Niederlage entscheiden. Die Steine dürfen nämlich nach ihrem Fall kein Tabu verletzen, das heisst, weder andere Steine gleicher Farbe noch andere Steine gleicher Form berühren. Tabuzonen sind auch am Boden und an den beiden Seitenwänden des Schachts markiert, was zusätzliche Schwierigkeiten mit sich bringt.

„Drop it“ scheint zu Beginn sehr einfach. Aber je mehr sich der Schacht füllt, desto kniffliger wird die Angelegenheit. Denn die Anzahl risikofreier Landemöglichkeiten nimmt im Verlauf des Spiels tendenziell ab. Zudem hat man immer weniger Steine zur Verfügung. Hie und da sieht man sich sogar gezwungen, eigene Steine zu opfern, weil es nicht anders geht. Pech, wenn man dabei der nächstfolgenden Spielerin eine schöne Gelegenheit zur sicheren Punktelandung verschafft. Nur – sie muss eine solche Vorlage selber auch noch verwerten.

Ein Spiel voller Emotionen

In diesem Spiel stecken Emotionen noch und noch. Auf die Konzentration beim Loslassen (Augenmass und Zeitgefühl) folgen die Anspannung bei der Landung und die Freude (bei Erfolg) bzw. der Ärger (bei Misserfolg). Und erst die Schadenfreude der Konkurrenz, wenn das, was als Punktelandung geplant war, total in die Hosen geht! Wie hoch das emotionale Potenzial von „Drop it“ ist, erkennt man auch am Lärmpegel, der überall, wo es gespielt wird, markant steigt, egal, ob Kinder oder Erwachsene am Werk sind.

Mit Spielen wie „Drop it“ gelingt es, Spielemuffel an den Tisch zu holen. Ich würde es sogar wagen, das Spiel in Gruppen einzusetzen, in denen ganz anderes thematisiert ist: das Loslassen im psychischen Sinn. Ich bin sicher, dass ein spielerisch-lockerer Zugang zu diesem schwierigen Thema eine gute Stimmung für eine fruchtbare Diskussion schaffen könnte. Ich bin gespannt auf Erfahrungsberichte.

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Drop it: Geschicklichkeitsspiel von Bernhard Lach und Uwe Rapp für 2 bis 4 Spielerinnen und Spieler oder 2 Teams ab 8 Jahren. Kosmos Spiele (Vertrieb Schweiz: Lemaco SA, Ecublens), ca. Fr. 45.-


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Spielekritiker für das Ausgehmagazin «Apéro» der «Luzerner Zeitung». War lange Zeit in der Jury «Spiel des Jahres», heute noch beratendes Mitglied, in dieser Funktion nicht mehr aktiv an der Juryarbeit beteiligt.

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Spielen macht Spass. Und man lernt so vieles. Ohne Zwang. Einfach so.

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