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Seit Covid-19 ist es für Rohingya noch schwieriger, ein Leben in Sicherheit zu führen © Azadi

Rohingya: Diskriminierung unter Vorwand der Corona-Bekämpfung

Tobias Tscherrig /  Seit in Malaysia Fälle von Covid-19 festgestellt wurden, nimmt die Diskriminierung gegen die Minderheit der Rohingya drastisch zu.

In ihrem Heimatland Myanmar (Burma) wird die Bevölkerungsgruppe der Rohingya systematisch unterdrückt: Regierung und Militär des hauptsächlich buddhistischen Staates verfolgen die überwiegend muslimisch-gläubige Minderheit gezielt. Angehörige der Rohingya sind unter anderem von Vertreibung, willkürlicher Gewalt, Folter, Vergewaltigung und Tod bedroht.

Die Rohingya sind gemäss den Vereinten Nationen (UN) die am stärksten verfolgte Minderheit der Welt. In Myanmar sind sie ethnischen Säuberungen ausgesetzt. Anfang 2020 verurteilte der Internationale Gerichtshof Myanmar wegen den Massenmorden an den Rohingya und verpflichtete das Land, Sofortmassnahmen zum Schutz der Minderheit zu ergreifen.

Heute leben schätzungsweise 1.5 Millionen Rohingya im Exil, aber auch hier sind sie Repressionen ausgesetzt: Auf Betreiben Myanmars kommt es in verschiedenen Staaten zur illegalen Inhaftierung von Exil-Rohingya. So zum Beispiel in Bangladesch, wo schätzungsweise eine Million Rohingya unter widrigen Umständen in überfüllten Flüchtlingslagern hausen.

Illegale Inhaftierungen von Exil-Rohingya gibt es auch in Malaysia, einem weiteren Fluchtziel der unterdrückten Bevölkerungsgruppe – schätzungsweise 150’000 Rohingya sollen hier leben. Trotzdem hat Malaysia in der Vergangenheit die Diskriminierung der Rohingya mehrmals öffentlich verurteilt. Die Regierung verwehrt ihnen zwar den offiziellen Flüchtlingsstatus, wodurch Angehörige der Rohingya nicht legal arbeiten können, lässt sie aber im Land bleiben und sich beim UN-Flüchtlingsbüro registrieren. Doch die Regierung hat ihren Kurs nun endgültig gewechselt. Aus Angst vor Covid-19 nimmt die Unterdrückung der Rohingya auch in Malaysia immer drastischere Züge an.

Pandemie fördert Rassismus und Diskriminierung
Anfang März werden in Malaysia die ersten Covid-19 Fälle identifiziert. Die Regierung reagiert schnell, am 18. März verhängt sie die Bewegungskontrollverordnung. In der Bevölkerung wächst die Unsicherheit, was zur gezielten Diskriminierung von Flüchtlingen im Allgemeinen und von Angehörigen der Rohingya im Speziellen führt. Ebenso rasch werden in den sozialen Medien fremdenfeindliche Darstellungen und Anschuldigungen verbreitet, welche die Rohingya als aktive Verbreiter des Virus darstellen. Innerhalb von nur vier Monaten verschlechtert sich das Zusammenleben zwischen Malaysierinnen und Malaysiern sowie den Rohingya drastisch.

Der Hass, der den Rohingya in Malaysia entgegenschlägt, wird zusätzlich durch eine Wortmeldung von Zafar Ahmed Abdul Ghani genährt: Der Präsident einer Rohingya-Menschenrechtsorganisation in Malaysia fordert öffentlich die Übergabe einer malaysischen Stadt. Obwohl sich zahlreiche andere Rohingya-Organisationen von der Forderung distanzieren und unter anderem darauf hinweisen, dass Zafar Ahmed nicht ihr Führer sei und kein Recht habe, im Namen der Rohingya-Flüchtlinge Erklärungen abzugeben, ist der Schaden angerichtet. Ein Teil der einheimischen Bevölkerung reagiert mit Hass und Unverständnis. Unter anderem wird ein Banner mit der Aufschrift «Wir heissen die Rohingya nicht willkommen. Wir brauchen sie hier nicht», an einer Moschee im Bundesstaat Johor aufgehängt.


Nun schlägt den Rohingya auch in Malaysia unverhohlener Hass entgegen

Aufgrund derartiger Stimmungsmache forderten insgesamt 83 Organisationen in einem offenen Brief an die Regierung, Hassreden und Fremdenfeindlichkeit aktiv zu bekämpfen: «Wir fordern Sie dringend auf, unverzüglich zu handeln, um gegen die jüngste Verbreitung von Hassreden und gewalttätigen Drohungen gegen die Rohingya-Gemeinschaft vorzugehen und sicherzustellen, dass die brandstiftende Rhetorik nicht zu diskriminierenden Handlungen oder körperlichen Angriffen führt.»

Dass dies eine reelle Gefahr ist, zeigt eine Ipsos-Studie, die anlässlich des Weltflüchtlingstages 2020 durchgeführt wurde: Demnach hat sich in Malaysia die Akzeptanz gegenüber geflüchteten Menschen seit der Corona-Pandemie drastisch verringert. 82 Prozent der Befragten sind für eine Schliessung der Grenzen. Das ist der höchste Wert auf der ganzen Welt.

Regierung mit verhärteter Rhetorik
Die Regierung von Malaysia scheint den offenen Brief nicht beachtet zu haben. Im Gegenteil: Am 9. Juni sagte der malaysische Verteidigungsminister Ismail Sabri Yaakob, dass Boote mit Rohingya-Flüchtlingen in Malaysia nicht willkommen seien. Statt wie sonst Anteilnahme und Besorgnis auszudrücken, sagte der Minister: «Die Rohingya sollten wissen, wenn sie hierher kommen, können sie nicht bleiben.» Einige Wochen später doppelte Premierminister Muhyiddin Yassin nach und sagte, Malaysia könne keine weiteren Rohingya-Flüchtlinge mehr aufnehmen.

Bereits vor diesem offiziellen Statement wurden mehrere Flüchtlingsboote mit hunderten Rohingya-Flüchtlingen abgewiesen und auf das offene Meer zurückgeschickt. Anfang Juni teilte die erst einige Monate zuvor gegründete «National Task Force» (NTF) zur Bekämpfung von illegalen Einreisen nach Malaysia mit, sie habe seit Mai 396 Personen festgenommen, die versucht hätten, sich illegal ins Land einzuschleichen. Im gleichen Zeitraum habe sie auch 22 Boote mit etwa 140 illegalen Einwanderern zurückgewiesen.

Rohingya: Das neue Feindbild in Malaysia
Seit dem Auftreten von Covid-19 nimmt Malaysia nun gesundheitspolitische Bedenken als Vorwand, um die Rettung von Menschenleben auf See zu beenden und eine rigorose Einwanderungskontrolle durchzusetzen.

Aber die Regierung geht noch weiter. Anfang Mai riegelten die malaysischen Behörden einen Teil der Hauptstadt Kuala Lumpur ab, in dem unter anderem viele Rohingya lebten. Sie trieben Hunderte Flüchtlinge sowie Migrantinnen und Migranten ohne Papiere zusammen und steckten sie in Untersuchungsgefängnisse. Ein rigoroses Vorgehen, das die Regierung als Massnahme im Kampf gegen die Ausbreitung von Covid-19 bezeichnete. Erreicht wird jedoch das Gegenteil: Die Zahl der Neuinfektionen schnellt in den Gefängnissen rasch nach oben.

Hilfsorganisationen erhalten immer mehr Meldungen von Menschen, die nicht genug zu essen haben – weil sie ihre Jobs verloren haben. Moscheen sind für die Rohingya nicht mehr zugänglich. Familien werden aus ihren Wohnungen vertrieben, denn das Vermieten von Wohnraum an «illegale Migrantinnen und Migranten» wird mit bis zu fünf Jahren Gefängnis und sechs Peitschenhieben bestraft. Ein Gesetz, das in der Vergangenheit nicht rigoros durchgesetzt wurde. Jetzt stehen Schilder auf den Strassen, auf denen die Bevölkerung daran erinnert wird.


Die Beherbergung von «illegalen Migrantinnen und Migranten» wird mit bis zu fünf Jahren Gefängnis und sechs Peitschenhieben bestraft

Dabei wurden Angehörige der Rohingya in Malaysia bisher auch ohne gültige Papiere geduldet. Seit der Corona-Krise hat sich das geändert, die Regierung macht kaum noch einen Unterschied zwischen Flüchtlingen sowie legalen oder illegalen Migrantinnen und Migranten.

Kaum noch Chancen auf ein Leben in Sicherheit
Mit der zunehmenden Diskriminierung in Malaysia fällt für die Angehörigen der Rohingya ein weiteres Land weg, in dem sie bisher zumindest einigermassen in Sicherheit leben konnten. Die Flüchtlingslager in Bangladesch sind überfüllt. Eine Rückkehr in ihr Heimatland Myanmar ist für die meisten Rohingya keine Option. Sie fürchten die andauernden Menschenrechtsverletzungen, die Folter, die Vergewaltigung und den Tod, den die gezielte Verfolgung durch die Regierung und das Militär gebracht haben.

Zwar haben sich zum Beispiel Myanmar und Bangladesch bereits mehrmals darauf geeinigt, dass die geflüchteten Rohingya in ihre Heimat zurückkehren sollen. Pläne, die bei den Rohingya nicht gut ankommen. Neben der Angst vor neuem Leid durch neue Verbrechen, fordern die Angehörigen der Rohingya von der myanmarischen Regierung die Anerkennung als Staatsbürger, die Ausstellung von Ausweispapieren sowie Entschädigungszahlungen für das erlittene Unrecht und die enteigneten Besitztümer. Forderungen, die die Regierung von Myanmar kaum erfüllen wird.

Die Unterdrückung der Rohingya in Myanmar

Die Rohingya sind gemäss den Vereinten Nationen (UN) die am stärksten verfolgte Minderheit der Welt. Eigentlich liegt die Heimat der überwiegend muslimisch-gläubigen Bevölkerungsgruppe im Rakhine-Staat im Westen von Myanmar. Allerdings sind sie hier Diskriminierung und Repressionen ausgesetzt: Sie gelten nicht als einheimische Bevölkerungsgruppe, haben keinen Anspruch auf die myanmarische Staatsbürgerschaft und gelten als staatenlos. Angehörige der Rohingya sind grösstenteils rechtlos, dürfen nicht wählen und haben nur bedingt Zugang zu Bildung, Arbeit und medizinischer Versorgung.

Die Bewegungsfreiheit der Rohingya ist extrem eingeschränkt, viele leben eingesperrt in Lagern für interne Vertriebene. Selbst innerhalb des Rakhine-Staats dürfen sie sich nicht frei bewegen: Für Bewegungen von Rohingya sind Bewilligungen nötig, die nur schwer – und vielfach nur gegen Bestechungsgelder – zu erhalten sind. Auch bei medizinischen Notfällen gibt es keine Ausnahmen.

Die Dörfer und Siedlungen der Rohingya gelten in Myanmar als illegal erbaut und können – wie sämtlicher Privatbesitz – von der Regierung unangekündigt beschlagnahmt, umverteilt oder zerstört werden. Für Angehörige der Rohingya gelten Sondersteuern und Heiratsbeschränkungen. Ihre religiösen Stätten werden zerstört. Dazu kommen illegale Inhaftierungen, Folter, Vergewaltigungen und Morde.

Der Rohingya-Konflikt eskalierte zum Beispiel im Jahr 2017: Das myanmarische Militär startete eine Offensive gegen die gesamte Rohingya-Bevölkerung. Fast eine Million Angehörige der Rohingya flohen vor der willkürlichen Gewalt, welche die UN als «ethnische Säuberungen» bezeichnet. Anfang 2020 verurteilte der Internationale Gerichtshof Myanmar wegen den Massenmorden an den Rohingya und verpflichtete das Land, Sofortmassnahmen zum Schutz der Minderheit zu ergreifen.

Seit Ende 2018 nehmen die Konflikte zwischen der Arakan Army (AA), die für Selbstbestimmung in Rakhine kämpft, und der Armee von Myanmar wieder zu. Wie die Regierung von Rhakine sagt, seien dadurch zum Beispiel 80’000 Menschen vertrieben worden – an einem einzigen Tag.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Der Artikel entstand in Zusammenarbeit mit dem Verein Azadi. Azadi wurde im Jahr 2016 von vier jungen Walliserinnen gegründet, um die Rohingya in Malaysia zu unterstützen. Mit einem Fokus auf Bildung vergibt Azadi Stipendien an Rohingya-Kinder und Jugendliche und unterstützt eine renommierte Flüchtlingsschule in Kuala Lumpur, Malaysia. Azadi betreibt zudem Sensibilisierungsarbeit und leistet einen finanziellen Beitrag zum jährlichen Flüchtlingsfest in Malaysia, welches die Beziehung zwischen der einheimischen Gesellschaft und Flüchtlingsgemeinschaften stärkt. Obwohl Azadis Hauptfokus auf längerfristiger Projektarbeit liegt, leistet der Verein in Zeiten von Krisensituationen auch humanitäre Hilfe.

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