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Synes Ernst, Spiel-Experte © cc

Der Spieler: So führt ein Comeback zum Erfolg

Synes Ernst. Der Spieler /  Immer wieder versuchen Verlage, Spielen eine zweite Chance zu geben. Das gelingt nur, wenn gewisse Kriterien erfüllt sind.

Welcome back, lieber Synes! Wir freuen uns über Deine Genesung nach Deinem Unfall– für Dich, aber auch für unsere Leserinnen und Leser, die jetzt wieder neue Kritiken von Dir lesen dürfen. Die Redaktion.

«Unboxing», wie es in der Fachsprache heisst, ist eine meiner Lieblingsbeschäftigungen als Spielekritiker. Gemeint ist das gespannte Öffnen von Kartons, Verpackungen und Schachteln, der erste Kontakt mit einem neuen Titel. Ich denke, dass ich nicht der Einzige bin, der dies als besonderen Moment empfindet. Wenn ich die Menge von Vorschauen auf die Frühjahrsneuheiten lese, die meine Kolleginnen und Kollegen im Vorfeld der Internationalen Spielwarenmesse in Nürnberg wieder zusammengestellt haben, werde ich den Eindruck nicht los, dass sich unsere Kritikerbranche vor einem solchen Grossereignis in einen Zustand kollektiver Erwartungshysterie hineinsteigert. Das Neue! Endlich ist es da! Endlich kann ich es in die Hand nehmen! Und endlich kann ich mich auf die Suche nach dem Neuen machen, das sich Autor, Redaktion und Verlag ausgedacht haben.

Alte Bekannte

Bisweilen ist das Neue auch ein alter Bekannter. Beim Öffnen des Neuheitenpakets von Amigo-Spielen fällt mein Blick als erstes auf «Hol’s der Geier» von Alex Randolph. Ein wirklich altes Kartenspiel, denn es hat seit seiner ersten Veröffentlichung (bei Ravensburger) mittlerweile schon dreissig Jahre auf dem Buckel. Mit Geburtsjahr 1980/81 (bei Parker) ist «Can’t Stop» von Sid Sackson noch um ein paar Jahre älter. Das Würfelspiel erscheint jetzt in neuer Aufmachung im Kleinverlag Franjos. Ein Comeback erlebt schliesslich auch «Bluff» von Richard Borg. Das 1993 mit dem Titel «Spiel des Jahres» ausgezeichnete Zockerspiel gehört zu den grossen Ravensburger Neuheiten dieses Frühjahrs.

Diese Liste könnte noch um einige Titel verlängert werden. Ich beschränke mich jedoch auf «Hol’s der Geier», «Can’t Stop» und «Bluff», weil hier beispielhaft gezeigt werden kann, welche Bedingungen erfüllt sein müssen, damit ein älteres Spiel auf dem übersättigten Markt eine Chance hat. Denn das moderne Publikum ist süchtig nach Neuheiten und will keine alten Kamellen, selbst wenn diese einmal höchste Auszeichnungen geholt haben oder unter Kennern als Klassiker gelten.

Emotionen veralten nicht

Für mich ist ein Kriterium zentral, eine Bedingung, die verhindert, dass «altes» Spiel nicht auch gleich «veraltetes» Spiel bedeutet. Entscheidend ist das emotionale Potenzial, das in einem Spiel steckt. Emotionen veralten nicht. Sie entstehen in jeder Runde neu und sind deshalb immer frisch. Im Unterschied dazu können Mechanismen anfangs zwar spannend und interessant sein, aber mit der Zeit kennt man sie, sie verlieren ihren Reiz, sie wirken verbraucht und vermögen mich schliesslich nicht mehr zu fesseln. Die Faszination verschwindet, stattdessen Gähnen und Langeweile.

Langweilig – das ist die schlechteste Note überhaupt, mit der man ein Spiel bewerten kann. Am anderen Ende der Skala stehen Spiele, welche die Teilnehmenden fesseln, indem sie ihre Emotionen wecken, Spannung, Ärger, Freude. Wie, das lässt sich an unseren drei Bespielen ausgezeichnet demonstrieren:

«Cant Stop»: Aufhören, wenn es am schönsten ist – wir alle haben das schon erlebt. Wie schwer das einem fällt! Noch ein Gläschen, noch eine letzte Abfahrt auf dieser tollen Skipiste, noch einmal die Würfel werfen, nachdem man vorher einen Glückstreffer nach dem andern gelandet hat. Die innere Stimme sagt nein, du wirst es am nächsten Morgen bereuen, pass auf, du bist müde und könntest dir das Knie kaputt machen, verzichte lieber, denn beim nächsten Wurf könntest du alles verlieren. Doch die lieben Freunde ringsum drängen dich, wollen mit dir anstossen, mit dir vor der Heimfahrt nochmals den Schnee geniessen oder sich mit dir nochmals über deine Glückssträhne freuen (wobei sie in diesem Fall vermutlich nur darauf hoffen, dass du einen miserablen Wurf machst, gemeine Kollegen!). All das hat Sid Sackson in sein legendäres «Cant Stop» verpackt. Weil es sich um urmenschliche Erfahrungen rund um Habgier und Zurückhaltung dreht, bleibt dieses Spiel auf ewig jung.

«Bluff»: Um urmenschliche Verhaltensweisen geht es auch hier. «Du sollst nicht lügen», heisst es in den Zehn Geboten des Alten Testaments. Wahrheit und Ehrlichkeit sind das Gute, klar, aber verspüren wir nicht hie und da das Verlangen, die Grenzen zum Verbotenen zu überschreiten, trotz angedrohter Strafe? Du darfst dich einfach nicht erwischen lassen, und wenn …? Nervenkitzel pur. In «Bluff» kann man die Lust an der Lüge spielerisch ausleben, zumal die Sanktionen beim Erwischtwerden nicht ans Lebendige gehen.

«Hol’s der Geier»: Das Spiel mit verdeckten Karten – wir kennen es aus Gesprächen und Verhandlungen. Wer ein gutes Ergebnis erzielen will, braucht jeweils die beste Karte. Dabei heisst die «beste» nicht unbedingt die «höchste», da nach den Regeln dieses Spiels zwei oder mehrere gleichwertige Karten einander gegenseitig blockieren. In diesem Fall kommen die nächst niedrigeren Karten zum Zug. Erfolgreiche «Hol’s der Geier»-Spieler zeichnen sich dadurch aus, dass sie sich so gut in ihre Gegner hinein zu denken vermögen, dass sie deren Züge voraus ahnen und dann entsprechend ihre Karte wählen. Ein Spiel um Menschenkenntnis, und weil immer wieder andere Menschen am Tisch sitzen, immer wieder neu und aufregend, weil nie alle gleich ticken und denken.

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Bluff: Zocker- und Bluffspiel von Richard Borg für 2 bis 6 Spielerinnen und Spieler ab 12 Jahren. Ravensburger Spiele (Vertrieb Schweiz: Carlit + Ravensburger, Würenlos), ca. Fr. 42.–

Can’t Stop: Würfelspiel von Sid Sackson für 2 bis 4 Spielerinnen und Spieler ab 7. Jahren. Franjos Verlag, Fr. 27.–

Hol’s der Geier: Kartenspiel von Alex Randolph für 2 bis 5 Spielerinnen ab 8 Jahren. Verlag Amigo (Vertrieb Schweiz: Max Bersinger AG, St. Gallen), Fr. 12.–


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Spielekritiker für das Ausgehmagazin «Apéro» der «Neuen Luzerner Zeitung». War lange Zeit in der Jury «Spiel des Jahres», heute noch beratendes Mitglied, in dieser Funktion nicht mehr aktiv an der Juryarbeit beteiligt.

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