Staatsanwaltschaft darf Raiffeisen-Unterlagen nicht auswerten
«Razzia gegen Inside Paradeplatz.» So titelte Infosperber vor fünf Wochen. Damals durchsuchte die Staatsanwaltschaft die «Inside-Paradeplatz»-Büroräume in Zürcher Schiffbau und die Wohnung des Journalisten Lukas Hässig. Sie beschlagnahmten Laptop, Handy und Papiere.
Der Hintergrund: Hässig hatte seinerzeit die Causa Pierin Vincenz aufgedeckt – die umstrittenen Deals des Ex-Raiffeisen-Chefs mit seinem Vertrauten Beat Stocker. Die Staatsanwaltschaft eröffnete ein Strafverfahren gegen Hässig und «Inside Paradeplatz». Der Verdacht: Verletzung des Bankgeheimnisses.
Lukas Hässig liess bei der Durchsuchung die beschlagnahmten Gegenstände versiegeln. Und dabei bleibt es. Denn das Zwangsmassnahmen-Gericht entschied, dass die Staatsanwaltschaft das Material nicht auswerten dürfe. Es bestehe «kein auch nur ansatzweise hinreichender Tatverdacht» für einen derart weitreichenden Eingriff wie eine Razzia und die Sicherstellungen, schreibt die Richterin.
Sie wird grundsätzlich und hält fest: Die Medienfreiheit werde «durch die Bundesverfassung und die Europäische Menschenrechts-Konvention geschützt.» Und weiter: «Diese Garantien ermöglichen einen Informationsfluss, der für die demokratische Auseinandersetzung der Gesellschaft erforderlich ist.» Sie verweist auch auf ein Bundesgerichtsurteil, wonach «die Medien Missstände im Staat und in der Gesellschaft ungehindert aufdecken sollen».
Die Razzia gegen «Inside Paradeplatz» sind eine Folge einer Gesetzesverschärfung zum Bankgeheimnis vor zehn Jahren. Seither können auch Leute, die mit einer Bank nichts zu tun haben, wegen einer Bankgeheimnisverletzung verurteilt werden. Zum Beispiel Journalisten. Das ist sehr problematisch. Denn das Gesetz erlaubt den Journalisten, die Identität ihrer Informanten geheim zu halten, also ihre Quelle zu schützen.
Die Richterin schreibt zur Gesetzesverschärfung, welche den Quellenschutz faktisch aufhebt: «Eine solche Ausnahme des Quellenschutzes bei Medienschaffenden kann jedoch nach hiesiger Ansicht nicht absolut verstanden werden, weshalb sich ausnahmsweise eine Auslegung der Gesetzesnorm entgegen dem Wortlaut rechtfertigt und eine Interessenabwägung vorgenommen werden muss.»
Was überwiegt nun? Eine allfällige Bankgeheimnisverletzung oder die Information der Öffentlichkeit über den Fall Vincenz/Stocker? Für die Richterin ist der Fall klar: «Mit seiner Publikation hat der (IP-Journalist) somit im Sinne der Gesellschaft gehandelt und seine Aufgabe als investigativer Medienschaffender, mithin die Aufdeckung von möglichen Gesetzesverstössen sowie die ihm dabei obliegende Informationspflicht, wahrgenommen.»
Und: «Davon auszugehen, dass eine Strafverfolgung und allfällige Bestrafung (von Lukas Hässig, die Red.) aufgrund einer (derzeit noch völlig unbelegten) Bankgeheimnisverletzung höher oder vorrangiger zu werten sei als seine pflichtbewusste Berufsausübung, mithin die berechtigte Information der Öffentlichkeit über mutmasslich weitreichende Gesetzesverstösse in der Finanzwelt, wäre nach Einschätzung des hiesigen Zwangsmassnahmengerichts, welches die Achtung des Quellenschutzes in einem funktionierenden Rechtsstaat als unerlässlich hält, offenkundig falsch.»
«Viele halten das für einen Witz»
Marcus Hebein, Chefredaktor der Zeitschrift «Schweizer Journalist:in», kommentierte die Razzia bei «Inside Paradeplatz» und Lukas Hässig so: «In Gesprächen mit Kolleginnen und Kollegen in Deutschland und Österreich merke ich immer wieder: Die Auswirkungen des Schweizer Bankengesetzes halten viele schlicht für einen Witz – wären sie nicht so gefährlich. Dass Journalisten in der Schweiz wegen geleakter Bankdaten kriminalisiert werden können, ist international schwer nachvollziehbar. Tatsächlich macht sich das Land mit dieser Gesetzgebung lächerlich – auch wenn den betroffenen Journalistinnen und Journalisten kaum zum Lachen zumute sein dürfte. Es wäre höchste Zeit, dass die Verleger mit Nachdruck gegen dieses absurde Gesetz mobilisieren. Bisher aber sieht die Realität anders aus.»
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
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