Rothausstrasse

Chemiemüll-Deponie Rothausstrasse in Muttenz: Eine Gefahr für das Trinkwasser von 230’000 Menschen © Martin Forter

Altlasten: Chemiemüll bedroht Basler Trinkwasser

Martin Forter /  Mit fragwürdigen Mitteln verschleiern Baselbieter Behörden die Schadstoffvielfalt im Boden der Muttenzer Chemiemüll-Deponien.

Red. Martin Forter ist promovierter Geograf und als unabhängiger Altlastenexperte für das Collectif Bonfol in Bonfol und für die Allianz Deponien Muttenz (ADM) bei der Feldrebengrube tätig.

Die Sondermülldeponie Kölliken im Aargau ist leer geräumt. Das Gift, das in der Deponie Pont Rouge in Monthey im Wallis lag, ist ausgegraben. Die Chemiemülldeponie Bonfol im Jura ist fast fertig ausgehoben: In der ganzen Schweiz liessen die Kantone die giftige Hinterlassenschaft der Basler Chemie aus dem Boden holen. Nur im Kanton Basel-Landschaft liegt der gefährliche Chemiemüll von BASF, Novartis und Syngenta noch immer in den ehemaligen Kiesgruben Feldreben, Rothausstrasse und Margelacker. Kein Gramm Gift wurde bisher ausgegraben – obwohl der Chemiemüll das Trinkwasser von 230’000 Menschen in der Stadt und der Agglomeration Basel gefährdet.

Lage der Muttenzer Chemiemüll-Deponien (rot), des Trinkwassergebiets Muttenzer Hard (blau) sowie der Bohrungen und Messstellen. Quelle: Sieber Cassina Partner AG / Geotechnisches Institut
(Grössere Darstellung hier)

Warum das so ist, zeigt sich bei der Chemiemülldeponie Rothausstrasse. Wie in allen Deponien der Basler Chemie lagern auch dort viele verschiedene giftige Substanzen. Bei Untersuchungen dieser Deponien kommen Hunderte von chemischen Stoffen zum Vorschein. (1) So steht etwa im neuen Bericht zur Rothausstrasse: «Es wurden bislang etwa 185 Einzelsubstanzen identifiziert.»
Substanzen weglassen, um Analyseresultate «zu verdichten»
Doch diese enorme Schadstoffvielfalt wird mit fragwürdigen Mitteln verschleiert – mit dem Segen der Behörden. Um «die Menge der Daten auf ein überschaubares Mass zu reduzieren», streichen das Ingenieurbüro Gruner, der Kanton und die Industrie auch bei der Rothausstrasse den grössten Teil der gefundenen Schadstoffe mit meist fadenscheinigen Argumenten weg. Dieses Vorgehen wird schönfärberisch als «Verdichtung der Screening-Ergebnisse» bezeichnet.
Am Ende dieser fragwürdigen Reduktion bleiben noch fünf Substanzen übrig. Nur diese sollen in den nächsten Jahren zusätzlich detaillierter untersucht werden, wie der Kanton kürzlich verlauten liess. Peinlich nur: Vor zehn Jahren hat der Kanton Basel-Landschaft bei der Deponie Rothausstrasse genau diese fünf Substanzen für irrelevant erklärt und weggestrichen, als sie 2004 bzw. 2006 nachgewiesen wurden.
Nie systematisch nach krebserregender Substanz gesucht
Unter den damals weggelassenen Substanzen ist auch das hoch gefährliche 4-Chlor-2-methylanilin: Weil der Stoff mit Blasenkrebs in Verbindung steht, zahlt Syngenta im Wallis und in den USA Entschädigungen an ehemalige Chemiearbeiter. 4-Chlor-2-methylanilin taucht bei den meisten Chemiemülldeponien der Basler Chemie auf: in Monthey im Wallis, bei den Deponien Roemisloch sowie Le Letten im Elsass und in Bonfol im Jura.
Roemisloch, Le Letten und Bonfol sind die drei Nachfolgedeponien der Chemiemülldeponien Feldrebengrube und Rothausstrasse in Muttenz. Dass die gefährliche Substanz 4-Chlor-2-methylanilin auch in diesen beiden Baselbieter Deponien vorkommt, liegt somit auf der Hand. Dies zeigen auch verschiedene firmeninterne Dokumente, insbesondere eine von Ciba SC (heute BASF), Novartis und Syngenta 2003 erstellte firmeninterne Substanzliste zu den Muttenzer Deponien.
Trotzdem haben Basel-Land und die beteiligten Konzerne die Substanz weder bei der Feldrebengrube noch bei der Rothausstrasse mittels Einzelstoffanalysen gesucht. Dies, obwohl die 2006 bei der Rothausstrasse mittels Screening ermittelte Konzentration den Grenzwert um das 3- bis 17-fache überschritt, den die Industrie in Monthey (VS) errechnet hatte.
Auch bei den kürzlich durchgeführten Screenings tauchte 4-Chlor-2-methylanilin erneut in Grundwasserproben auf. Zudem überschritt die gemessene Konzentration sogar den jetzt gültigen, viel höheren Grenzwert noch immer bis zu fünf Mal.
Das sei auch heute nicht von Bedeutung, lässt Rainer Bachmann vom Amt für Umweltschutz und Energie (AUE BL) auf Nachfrage der «BZ Basel» verlauten. Denn bei der Rothausstrasse seien nur Schadstoffe relevant, die im unteren Grundwasserstrom gefunden würden, «denn dieser wird genutzt». Dort aber sei 4-Chlor-2-methylanilin «nie festgestellt» worden, so Bachmann.
Dazu ist festzuhalten:

  • Ob ein Grundwasser genutzt wird oder nicht, ist für die Altlastenverordnung kein relevantes Kriterium: Sie schützt alles Grundwasser, nicht nur das aktuell genutzte.(2)
  • Es erstaunt wenig, dass 4-Chlor-2-methylanilin im unteren Grundwasserträger bisher nicht gefunden wurde: Die Substanz wurde auch dort, wo u.a. unser Trinkwasser herkommt, während der letzten zwölf Jahre gar nie systematisch mit Einzelstoffanalysen gesucht.

Einzelstoffanalysen sollen Klarheit bringen
Trotz der angeblichen «Irrelevanz» lässt der Kanton in Zukunft nun doch mit Einzelstoffanalysen nach 4-Chlor-2-methylanilin suchen. Dafür ist es auch höchste Zeit. Denn Basel-Land hat bis heute nicht bedacht, dass sich mit der Analysemethode Screening der Blasenkrebs-Stoff 4-Chlor-2-methylanilin gar nicht von seiner viel weniger problematischen Schwestersubstanz (Isomer) 5-Chlor-2-methylanlinin unterscheiden lässt. Dazu müssten beide Substanzen zwingend einzeln gesucht werden. Dies hielt die Allianz Deponien Muttenz (ADM) schon im März 2013 fest und kritisierte den Kanton für sein bisheriges Vorgehen. Offensichtlich ohne Wirkung. Auch bei den letzten Untersuchungen stützte sich das AUE BL bei der Chemiemülldeponie Rothaus betreffend 4-Chlor-2-methylanilin erneut allein auf Screenings ab.
Übrigens: Dass dies nicht ausreicht, um die Substanz sicher festzustellen, hat auch Analysespezialist Professor Michael Oehme festgehalten. Tauchte der Name 4-Chlor-2-methylanilin in einem der neuen Analysebericht zur Rothausstrasse auf, hat der mit der Qualitätssicherung beauftragte Oehme den Namen mit «oder isomer» ergänzt und damit explizit festgehalten, diese Substanz sei nicht eindeutig identifiziert.
Gefahr für Basler Trinkwasser
Das fragwürdige Vorgehen und das Nichthandeln des Kantons Basel-Landschaft hat Konsequenzen: Der Chemiemüll gefährdet oder verschmutzt gar weiterhin das Trinkwasser von 230’000 Menschen. Dies aber scheint weder Sabine Pegoraro (FDP) als verantwortliche Baselbieter Baudirektorin noch die rot-grüne Baselstädtische Regierung zu kümmern. Letzteres erstaunt, sind es doch vor allem die rund 200’000 Einwohnerinnen und Einwohner des Kantons Basel-Stadt, die das Wasser aus der Muttenzer Hard täglich trinken.

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1 vgl. Martin Forter: Falsches Spiel. Die Umweltsünden der Basler Chemie vor und nach «Schweizerhalle», Chronos-Verlag Zürich, 2010, S. 74-76.
2 Der Schweizerische Bundesrat: Verordnung über die Sanierung von belasteten Standorten (Altlasten-Verordnung, AltlV), vom 26.8.1998 (Stand am 1.3.2015), Art. 9 Schutz des Grundwassers, Abs. 2, a, b u. c, S. 4 u. 5.

Weiterführende Informationen


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Martin Forter ist promovierter Geograf und als unabhängiger Altlastenexperte für das Collectif Bonfol in Bonfol und für die Allianz Deponien Muttenz (ADM) bei der Feldrebengrube tätig.

Zum Infosperber-Dossier:

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