Kommentar

Zu viele Verbeugungen vor China

Beat Allenbach © zvg

Beat Allenbach /  Geschäfte sind wichtiger als Menschenrechte: Film über Proteste in Hong Kong und Diskussion über Unterdrückung der Uiguren.

Am «Film Festival Diritti Umani Lugano» wurde als Schweizer Premiere der Film «We have boots» von Evans Chan über die Proteste gegen die lokale Regierung sowie gegen die Beschränkungen der Meinungs- und Pressefreiheit in Hong Kong zwischen 2014 und 2019 gezeigt. An den zahlreichen Demonstrationen beteiligten sich bis zu zwei Millionen Frauen und Männer. In Folge der Pandemie und dem Erlass des nationalen Sicherheitsgesetzes Ende Juni 2019, das Hong Kong von der chinesischen Regierung aufgezwungen wurde, ist es gefährlicher und schwieriger geworden, auf Strassen und Plätzen friedlich zu demonstrieren. China unter Führung von Xi Jinping will das Ende der Proteste in Hong Kong herbeiführen, indem es die bisherigen Freiheiten auslöscht. Das Prinzip «ein Land, zwei Systeme», welches die Freiheiten und den Lebensstil von Hong Kong bis 2047 garantieren soll, wird von der asiatischen Grossmacht nicht mehr anerkannt Dieses Prinzip wurde beim Rückzug von Grossbritannien aus Hong im Jahr 1997 von China und Grossbritannien festgelegt und unterschrieben. Der drastische Eingriff Chinas gegen die Menschenrechte im vergangenen Sommer hat deshalb vor allem in London scharfe Kritik ausgelöst. Doch die chinesische Führung liess sich dadurch nicht beeindrucken.

Arbeitslager für über eine Million Uiguren
Nach dem Film, der unter anderem das harte Vorgehen der Polizei gegen die Demonstranten gezeigt hat, ist der Präsident der internationalen Vereinigung der Uiguren, Isa Dolkun interviewt worden. In der Provinz Xinjiang leben rund zehn Millionen Uiguren, die eine Turksprache sprechen. Dolkun berichtete von Arbeits- und Umerziehungslagern, in denen sich über eine Million seiner Landleute islamischen Glaubens befinden. Diese leiden unter einer unmenschlichen Situation: Sie leben getrennt von der Familie und müssen Zwangsarbeit leisten. Ihnen wird ihre Muttersprache und ihr Glauben ausgetrieben und sie sollen Reue bekennen. China hat stets von freiwilligen Ausbildungsstätten gesprochen, alle Klagen zurückgewiesen und betont, es gebe Anschläge von islamischen Fundamentalisten zu bekämpfen. Zwar hat es Anschläge gegeben, aber sie rechtfertigen nicht das Vorgehen der Zentralregierung. Der britischen BBC gelang es im Herbst 2019, offizielle chinesische Dokumente einzusehen, die ein erschütterndes Bild dieser Lager zeigten. In den Hochsicherheitsgefängnissen gibt es systematische Gehirnwäsche, Zwangsarbeit und teils auch Folter. Die bestürzenden Menschenrechtsverletzungen in den Lagern können deshalb nicht als Resultat aufgebauschter Berichte von China-kritischen Medien abgetan werden, wie das zuweilen versucht wird.

Eine Entschuldigung für die unsensible Haltung der Schweiz
Am Menschenrechts-Festival in Lugano entschuldigte sich der bekannte Anwalt Paolo Bernasconi gegenüber Isa Dolkun, weil die Schweiz 2013 als erstes Land ein Freihandelsabkommen mit China abgeschlossen hat, ohne die übliche Klausel einzufügen, welche die Anerkennung der Menschenrechte fordert. Zudem nimmt die Schweiz am grossen chinesischen Projekt der Neuen Seidenstrasse teil: Im Frühling 2019 hat Finanzminister Ueli Maurer zusammen mit dem chinesischen Präsidenten Xi Jinping eine entsprechende Absichtserklärung unterzeichnet. Überdies wurde im September 2019 in Andermatt die 3. parlamentarische OECD-Konferenz zur Neuen Seidenstrasse abgehalten; die Begrüssungsrede hielt Bundesrat Ignazio Cassis.
Anwalt Bernasconi gab in Lugano gegenüber dem uigurischen Vertreter seinem Bedauern Ausdruck, dass die Schweiz die Menschenrechtsfrage zur Seite schiebe, wenn wichtige Geschäfte auf dem Spiel stünden. Effektiv werden die Menschenrechte im Freihandelsabkommen kaum erwähnt; alle Bestrebungen in National- und Ständerat, diese im Abkommen abzusichern, sind gescheitert. Es besteht deshalb keinerlei Gewähr, dass Waren, welche in Zwangsarbeit hergestellt werden, bei der Einfuhr in die Schweiz von den begünstigten Einfuhr-Bedingungen ausgeschlossen werden.

Wie weit werden Menschenrechte geopfert?
Die Schweiz, die beteuert, die Menschenrechte zu beachten und diese zudem zu beschützen, schliesst aber beide Augen, wenn es darum geht, Geschäfte abzuschliessen. Nicht allein gegenüber China, sondern zum Beispiel auch gegenüber Saudiarabien, wo die Bevölkerung ebenfalls schweren Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt ist. Es drängt sich deshalb eine vertiefte Debatte über die folgende Frage auf: Überwiegen stets die Interessen der Wirtschaft, oder muss die Schweiz bei besonders schwerwiegenden Verletzungen der Menschenrechte auf ein Geschäft verzichten?


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5 Meinungen

  • Portrait_Josef_Hunkeler
    am 27.10.2020 um 12:19 Uhr
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    Beim nächsten Freihandelsabkommen mit den USA werden wir auch eine Menschenrechtsklausel einbauen müssen. Die US dürfte über eine der grössten Gefangenen-Arbeitskolonien der Welt verfügen – gewissermassen die kapitalistische Weiterführung der Sklaverei…

    Sorry, Ironie beiseite. Warum denken viele westliche Autoren, dass nur ihre Optik die «richtige» Sehweise ermögliche.

    Ich habe vielleicht zu lange am Äquator gearbeitet. Aber auch da gibt es viele Leute die nicht unbedingt wie «Weisse» denken, aber durchaus in der Lage sind auch im «weissen» Umfeld zu punkten. Von meinen ehemaligen Studenten haben mehrere an renommierten Europäischen Universitäten doktoriert und in den USA mit einem Master abgeschlossen.

    Es ist zweifellos nicht immer einfach, den Gedankengängen von Leuten aus anderen Kulturkreisen folgen zu können. Aber mit ein wenig gutem Willen ist dies machbar.

    Ich habe auch an mehreren politischen Unterredungen mit Chinesen teilgenommen. Das war nicht unbedingt einfach, weil einerseits die Sprachgewohnheiten einiges anders sind als bei uns, aber auch weil ich selbst kein Chinesisch verstehe. Wir hatten aber doch meistens den Eindruck einander verstanden zu haben.

  • am 27.10.2020 um 16:43 Uhr
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    Zuviele Verbeugungen vor erzlibertären US-Amerikanern, mit ihrer immens hohen Kaufkraft für typische CH Produkte, mit relativ hohen Umsatzrenditen ?
    Wer in einer Internet-Suchmaschine «Schwarze in US-Gefängnissen» eingibt, kann sich selbst über das Mass an Menschenrechts-Verletzungen in den USA aufklären. Im neuen Geschäftsmodell wird den entlassenen Häftlingen, auch denen mit anderen Hautfarben, für die ganze Haftzeit Kost, Logis u. Bewachung verrechnet..
    Wird das nicht in kürzester Zeit bezahlt, werden die Häftlinge gleich wieder verurteilt und ins Gefängnis-Arbeitslager weggesperrt. Das mündet schnell in Lebenslänglich. Die privaten Kapitalgesell-schaften, die Gefängnisse betreiben, bieten so beste u. sichere Kapitalrenditen.
    Hierzu sei auch an den Infosperber-Artikel vom 10.07.2020 erinnert und die Statistik «Hinter Gittern» :
    https://www.infosperber.ch/Gesellschaft/USA-Das-kostspielige-Unternehmen-Knast
    Selbst das von rechtslibertären Schweizern vergötterte erzlibertäre England (&Wales) liegt da knapp vor den in der höchst professionellen Öffentlichen Meinungs-Mache verteufelten Chinesen.
    Herr T. schützt alle „Verbrecher im Gesetz“, auch den Ku-Klux-Clan u. die NRA, solange die ihn wählen. Die 6 hoch parteiischen Subpreme- Richter unterstützen dieses Unterdrückungs-System voll.
    Keine Frage, alle Menschenrechtsverletzungen sollten sanktioniert werden. Dabei könnten aber geeignete Prioritäten gesetzt werden, damit die CH-Exporte nicht total wegbrechen.

  • am 27.10.2020 um 22:25 Uhr
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    Es gibt da nichts, das man in der Politik den «Minderheiten» gegenüber der «Kommunistischen» Regierung Chinas schönreden kann. Es genügen ein paar Namen: Tibet, Uiguren, Hong-Kong, bald Taiwan … Zum «harmlosen» wirtschaftlichen Chinesischen Weltmacht-Anspruch auch ein paar hingeworfene Namen: «Neue Seidenstrasse» , Tanzania, Botswana etc, Äthiopien etc, Syngenta, Swissport, 5G in der Schweiz (Huawei) usw. Aber «die Wirtschaft» will es so. Also: keine Widerrede …

  • am 28.10.2020 um 08:10 Uhr
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    Ach, habt euch nicht so. Wenn «die Guten» Menschenrechte mit Füssen treten, dann hat das in den Medien nichts verloren. Wenn das «die Bösen» machen, dann tun die Medien ihre Arbeit.
    Es gab da mal ein schönes Interview mit Erdogan und er wurde von den «guten» Journalisten gefragt, warum er so böse böse seine Demonstranten verprügeln läßt. Er meinte so in etwa: «Hab neulich deutsches TV gesehen und wie die Polizei in Hamburg Demonstranten verprügelt hat, das war genauso – wo also ist das Problem?» Tja, das Problem bestand darin, daß er recht hatte und «die Guten» Journalisten nicht viel dagegen erwidern konnten.

  • am 29.10.2020 um 12:53 Uhr
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    Doppelte Standards, wo man hinschaut:
    Wo bleiben die Anklagen zur terroristischen Blutspur der Uiguren im China und Syrien:
    Das Massaker im Bahnhof Kunming war ein Terrorangriff, der sich am Abend des 1. 03 2014[1] in der Stadt Kunming in der Provinz Yunnan im Südwesten Chinas ereignete.
    Die Terroristen töteten 29 Menschen und verletzten 143 (darunter sieben Polizisten), zum Teil schwer.
    https://de.wikipedia.org/wiki/Massaker_im_Bahnhof_Kunming
    Insgesamt ereigneten sich in dem Zeitraum von 1999 bis 2018 mehrere hundert Terror-Anschläge mit ca. 1000 Toten und ca. 10.000 Verletzten hauptsächlich unbeteiligte zufällig Anwesende.
    Jenan Moussa stellt in ihrer Dokumentar-Film „Undercover in Idlib“ 2019 eine provokante These auf. Idlib, das einmal als Hochburg der moderaten Freien Syrischen Armee (FSA) bekannt war, werde inzwischen weitgehend vom syrischen Al-Kaida-Ableger Al-Nusra-Front beherrscht, dessen Regime sich nur graduell vom „Kalifat“ der Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) unterscheide.
    Die Dokumentarfilmer konnten auch bestätigen, dass im südwestlichen Zipfel der Provinz Idlib …. muslimische Uiguren aus der chinesischen Unruheprovinz Xinjiang das Sagen haben, die die Region im April 2015 vom IS eroberten. Moussas Mitarbeiter schätzen ihre Zahl mit Frauen und Kindern auf bis zu 20 000.
    https://www.fr.de/politik/wahren-herrscher-idlib-11080494.html
    Man vergleiche nur einmal die (nicht stattgefundene) Kritik an Frankreichs Maßnahmen gegen den IS, mit denen Chinas.

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