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Hochschule für Gestaltung in Ulm im Bauhaus-Stil: Architekt, Mitgründer und erster Rektor Max Bill © Wikimedia/Hans G. Conrad / René Spitz

100 Jahre Bauhaus – Zeit zum Umdenken

Erich Schmid /  Das Bauhaus, im 100. Jahr seit seiner Gründung, ist derzeit weltweit im Gespräch, nachdem es jahrzehntelang gebasht worden war.

Im Grunde genommen müsste das Bauhaus spätestens seit der Club of Rom die «Grenzen des Wachstums» aufgezeigt hatte, also seit den 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts, en vogue sein. Das Gegenteil ist geschehen. Es wurde bis heute schlecht geredet von Menschen und Institutionen, die offenbar immer noch an ein Wachstum ohne Grenzen glaubten. – Warum?

Aus einer Mangelsituation

Das Bauhaus und seine Folgeinstitution, die Hochschule für Gestaltung in Ulm (hfg), die beide auf Design und Kunst internationalen Einfluss hatten, sind entstanden, als die Weltkriege I und II gerade vorüber waren: das Bauhaus 1919 in Weimar und die hfg Ende Vierziger-Anfang Fünzigerjahre in Ulm. Zweimal lag Deutschland in Trümmern, und es herrschte Mangel an allem. Also musste man mit dem wenigen noch vorhandenen Material ökonomisch umgehen und es optimal gestalten, was bedeutete, sich in der Gestaltung der Produkte auf den Inhalt und die Funktion zu konzentrieren: form follows function. So entstand aus jener Mangelsituation heraus eine gestalterische Produktequalität, die bis heute anhält. Die Freischwinger aus der Bauhauszeit und die Ulmer Hocker werden immer noch hergestellt, Originale aus der Zeit sind unbezahlbar.

Doch kaum war Hitler an der Macht, wurde das Bauhaus geschlossen, weil es das Gegenteil von Dekor und inszenierter Verklärung repräsentierte, deren sich die Nazis bedienten, um ihr «Volk» zu blenden (und ins Verderben zu führen). Am Bauhaus war geistige Freiheit und Kreativität gefragt, die dem Führer, der Unterwürfigkeit verlangte, hätte gefährlich werden können. Auch Stalin verbot die abstrakte, nicht figurative Kunst und trieb Künstler wie Kandinsky, Chagall und viele andere Russen in die Verbannung. Und immer ging es um Macht. Dies wusste schon der byzantinische Kaiser und Papst in Personalunion, der mit cäsaropapistischen Prunk- und unendlich spirituellen Sakralbauten die Menschen kleingemacht hatte, um die in seiner Hand konzentrierte Allmacht zu sichern; heute kopieren dies grosse Institutionen und Konzerne.

Postmoderne Üppigkeit

Nachdem es in Deutschland keine grossen Kriege mehr gab und sich die Zeiten änderten, widerfuhr der hfg Ulm nach 15 Betriebsjahren das gleiche Schicksal wie dem Bauhaus. Nur waren es diesmal nicht martialische Kräfte, die die Schule schlossen, sondern einerseits das aufkommende Wirtschaftswunder, das für die Vermarktung weniger inhaltliche Qualität der Produkte als vielmehr die konsumorientierte Verpackung verlangte. Anderseits stand damals dem Landkreis Baden-Württemberg mit Hans Filbinger ein Minister vor, der als einstiger nationalsozialistischer Richter über genügend Erfahrung verfügte, um im Revoltenjahr 1968 der freiheitlichen Gesinnung in der hfg ein Ende zu bereiten. Er tat dies mit den Worten: «Wir müssen etwas Neues schaffen, dafür bedarf es der Liquidation des Alten».

Die Frage, warum es ein jahrzehntelanges Bauhaus-Bashing gab, ist damit eigentlich schon fast beantwortet. In der postmodernen Üppigkeit, die mit der ungehemmten Wachstums-, Konsum- und Verschleissgesellschaft einherging (und -geht), ist die aus dem Mangel heraus entstandene Schönheit der Reduktion nicht mehr gefragt.

Bashing gegen Max Bill

Ein Repräsentant dieser Art von Schönheit war Max Bill, der sicherlich bedeutendste Bauhaus-Schüler – auch Erbauer und erster Rektor der hfg Ulm. Auch er wurde gebasht. Etwa von der heutigen Kunstbeauftragten der Stadt Zürich, Barbara Basting, die als frühere Journalistin im Tages-Anzeiger geschrieben hatte: man könne Max Bills Fähigkeiten als Bildhauer «mit Fug» in Zweifel ziehen – nachdem er 1993 für seine Skulpturen den sogenannten Nobelpreis der Künste, den Praemium Imperiale in Tokio, erhalten hatte, neben Jasper Johns für seine Malerei, Kenzo Tange für Architekur und anderen Grössen.

An der ETH Zürich plante die Professorin Ita Heinze-Greenberg mit ihren Doktorierenden eine Studie über Schweizer am Bauhaus. Zu Max Bills Zeiten in Dessau waren es etwa sechs. Man weiss nicht genau, wieviele es insgesamt waren, und man wird es wohl auch noch für längere Zeit nicht wissen, da der Nationalfonds das Projekt abgelehnt hatte; es entsprach offenbar nicht dem Geist der Postmoderne.

Konsumverschleiss in Frage gestellt

Nun könnte dieser jedoch bald einmal erodieren. Je akuter der Konsumverschleiss den Planeten Erde gefährdet, desto eher werden die Postmoderne in Frage gestellt und die Bauhaus-Lästermäuler verstummen. Ein solcher Trend ist in Berlin seit einiger Zeit bereits erkennbar. Dort stehen jeden Morgen junge Leute vor Türöffnung des Bauhaus-Archivs um acht Schlange. Zudem passt das Jubiläum «100 Jahre Bauhaus» gut in die Zeit der Schüler- und Schülerinnenstreiks.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Erich Schmid ist Autor und Film-Regisseur. Er lebt und arbeitet im Wohn- und Atelierhaus von Max Bill in Zumikon und ist mit dessen Witwe, der Kunsthistorikerin Angela Thomas, verheiratet.

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2 Meinungen

  • am 27.01.2019 um 12:11 Uhr
    Permalink

    Wieso eigentlich sparen sich die Bauhaus-Kommentatoren den Schweizer Architekten Carl Hubacher› bei ihren Präsentationen systematisch aus?
    – Carl Hubacher war einer der grossen Protagonisten des Bauhaus-Stils.
    — Er war Partner von Rudolf Steiger beim berühmten Zett-Haus am Zürcher Stauffacher. Das Haus steht dort heute noch da in voller Pracht …
    — Er erbaute später riesige Staudämme in Indien + traf dort als Gast Indira Gandhi.
    – Gibt es einen Grund, wieso Carl Hubacher bei diesen Präsentation systematisch vergessen bleibt?

    https://www.kreis4unterwegs.ch/stationen/zett-haus-am-stauffacher/

  • am 27.01.2019 um 17:16 Uhr
    Permalink

    Erich Schmid schreibt: «Das Bauhaus, im 100. Jahr seit seiner Gründung, ist derzeit weltweit im Gespräch, nachdem es jahrzehntelang gebasht worden war.»

    Es wird schon so sein, dass das Bauhaus von gewissen Kreisen «gebasht» wurde, wie Erich Schmid dokumentierte. Als Hochbauzeichnerlehrling und später als Architekt habe ich vom diesem Bashing nichts mitbekommen, sondern habe wie viele andere Fachleute die Architekten des Bauhauses sehr geschätzt. Besonders das politische Engagement des Bauhausarchitekten Max Bill hat mir sehr gefallen. Bill war eben nicht nur ein Fachidiot, er empörte sich öffentlich über den Krieg in Vietnam, über die Schweizer Kriegsmaterialexporte. Auch die Architekturzeitschrift Bauen und Wohnen, um 1960, unter dem Redaktor Franz Füeg, hat das Bauhaus sicher nicht «gebasht».

    Wie Erich Schmid schreibt, sind die Ideen des Bauhauses gerade heute sehr aktuell: Mit Material auch heute ökonomisch umgehen und es optimal gestalten, was bedeutet, sich in der Gestaltung der Produkte auf den Inhalt und die Funktion zu konzentrieren: form follows function.

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