Sperberauge

Exponentielles Wachstum und Potenzen klar auseinanderhalten

Sperber Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors*Arnold Aders ist Mathematiker und war bis 2016 Dozent für Informatik und Mathematik am Technikum © Bénédicte Sambo

Red. /  Selbst einem «Echo der Zeit»-Korrespondenten kann es passieren, lineare, quadratische und exponentielle Funktionen zu vermischen.

upg. Infosperber-Leser Arnold Aders hat uns folgenden Gastbeitrag zugestellt. Aders war Dozent für Mathematik.*

Im «Echo der Zeit» vom 22. Mai besprach der von mir geschätzte Italien-Korrespondent Franco Battel das neue Buch «In Zeiten der Ansteckung. Wie die Corona-Pandemie unser Leben verändert» des italienischen Physikers und Schriftstellers Paolo Giordano.

Bei der Besprechung ging es zunächst um exponentielles Wachstum. Dabei brachte Battel lineare, quadratische und exponentielle Funktionen gleich mehrfach durcheinander. Das erste von Battel angeführte Zahlenbeispiel «1, 2, 3, 4, …» ist tatsächlich linear; das zweite Zahlenbeispiel «1, 2, 4, 16, 256, …» ist tatsächlich exponentiell, allerdings mit dem verräterischen Schönheitsfehler, dass die erste Zahl 1 nicht in diese Folge passt.

Kinetische Energie

Die sogenannte kinetische Energie ist die Bewegungsenergie, d.h. die Energie, die erforderlich ist, um einen Körper auf eine bestimmte Geschwindigkeit zu beschleunigen. Diese Energie wärmt und erhitzt beispielsweise die Bremsen, wenn ein Fahrzeug abgebremst wird.

Die kinetische Energie zum Beispiel eines fahrenden Autos ist eine quadratische Funktion der Geschwindigkeit: Bei 100 km/h ist die kinetische Energie viermal so gross wie bei 50 km/h. Aber quadratische Funktionen sind keineswegs, wie Franco Battel meinte, exponentiell. Exponentielle Funktionen wachsen eben gerade stärker als jede Potenzfunktion, also nicht nur stärker als quadratische Funktionen (2. Potenz), sondern auch stärker als 3., 4., 5. Potenzen usw.

Lineare, quadratische und exponentielle Funktionen waren schon zu Franco Battel’s Zeiten und sind auch nach einigen Jahrzehnten fragwürdiger Schulreformen zu Recht immer noch Pflichtstoff bei allen Mathematik-Maturaprüfungen. Umso mehr kann man sich wundern, wie schwer sich fast alle Journalisten und unsere ganze Gesellschaft tun, sich ein auch nur ansatzweise angemessenes Verständnis von exponentiellem Wachstum zu verschaffen
Zahlenbeispiele:

Nachbemerkung für Fortgeschrittene
In fast allen Anwendungsbereichen findet exponentielles Wachstum im Rahmen einer letztlich beschränkten Welt statt: Das Wachstum verbraucht beschränkte Ressourcen, stösst an natürliche Grenzen, führt in irgendeine Art von Sättigung beziehungsweise Erschöpfung und damit zu einer Abflachung der Wachstumskurve. Nur der erste Teil der Kurve ist (annähernd) eine Exponentialkurve, die ganze Kurve ist eine S-förmige sogenannte Sigmoidkurve:

Weiterführende Informationen


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

*Arnold Aders ist Mathematiker und war bis 2016 Dozent für Informatik und Mathematik am Technikum Winterhur, neudeutsch School of Engineering der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften.

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3 Meinungen

  • am 28.05.2020 um 16:04 Uhr
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    Danke für den Bericht. Aber «hoch Null» ergibt 1. Daher sehe ich keinen Schönheitsfehler.

  • am 29.05.2020 um 12:54 Uhr
    Permalink

    @ Corinne Duc:
    Im zweiten Zahlenbeispiel gibt es für keinen möglichen Wert von i das Resultat 1.
    i=0 ergibt ai=2 (2 hoch 2 hoch 0=2 hoch 1=2); i=1 ergibt ai=4, usw. Der Vorgänger des Wertes 2 in dieser Folge ist eben nicht 1: i=–1 ergibt ai=Wurzel aus 2. Der Wert 1 passt nicht in die Folge; verräterisch ist der Fehler, weil er zeigt, dass der Verfasser die Gesetzmässigkeit nicht richtig verstanden hat.

  • am 30.05.2020 um 12:06 Uhr
    Permalink

    Das zweite Beispiel von Franco Battel ist als doppelte Exponentialfunktion bekannt, die steigt schneller als exponentiell.
    Übrigens, man kann für das Beispiel die Neuansteckungen berechnen (2, 12, 240, 65280, …). Dividiert man diese durch die Zahl der Infizierten, erhält man die Anzahl Personen die eine Infizierte Person pro Schritt neu anstecken müsste (1, 3, 15, 255, 65535, …). Dies ergäbe einen ansteigenden R-Wert. Dies widerspricht allerdings den Fallzahlen sowie den Annahmen gängiger Modelle, was zeigt, dass dieses Beispiel zum Beschreiben einer Epidemie ungeeignet ist.

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