ProtestTextilarbeiter

Kambodschanische Textilarbeiter demonstrieren für mehr Lohn © ZDF

Blutige Billigkleider

Peter G. Achten /  Kambodschas Textilarbeiterinnen schuften weiter für Hungerlöhne. Mit scharfer Munition haben Soldaten Demonstrationen aufgelöst.

Die Bilder machten betroffen: In Kambodscha streikten Zehntausende Arbeiterinnen und Arbeiter von Textilfabriken. Sie gingen auf die Strasse für bessere Arbeitsbedingungen und verlangten eine Verdoppelung des monatlichen Mindestlohns von 80 auf 160 Dollar. Mit aller Härte und scharfer Munition ging die Militärpolizei in der kambodschanischen Hauptstadt Phnom Penh gegen die Demonstranten vor. Es gab Tote, Verletzte und Verhaftete.
Der Westen ist empört – aber kauft trotzdem
Das Eingreifen der militärischen Spezialeinheit 911 des Langzeit-Premiers Hun Sen erschütterte Menschenrechts-Organisationen, Regierungen und sogar prominente westliche Textilunternehmen. Es hagelte Proteste. Doch die moralische Entrüstung im Westen dauerte nur wenige Tage. Kaum war Kambodscha aus dem Fokus der Medien verschwunden, kehrte im südostasiatischen Armenhaus wieder der Courant normal ein. Und auch im Westen.
Zur Freude der Konsumentinnen und Konsumenten sind Textilien – hergestellt in Nähfabriken in Kambodscha oder Bangladesch – in Geschäften der westlichen Industriestaaten noch immer spottbillig. Trotz Fair Trade oder Clean Clothing Campaign, eingekauft wird im Westen jenseits von Moral – ganz nach dem Motto «Geiz ist geil». Die Tränen der Empörung über das brutale Vorgehen des Militärs gegen streikende und demonstrierende Textilarbeiter sind deshalb nichts anderes als Krokodilstränen.
Polizei und Armee zum Äussersten bereit
Premier Hun Sen – ehemaliges mittleres Kadermitglied der mörderischen Roten Khmers – klopft sich derweil als «guter Demokrat» selbst auf die Schulter. Der Einsatz seiner Soldaten und Polizisten hat sich für ihn und seine Partei – die Kambodschanische Volkspartei CPP – gelohnt. Kaum war Ruhe und Ordnung wieder eingekehrt, verfügte Hun Sen harte Massnahmen, auf dass sein widerspenstiges Volk ja nicht auf falsche Gedanken komme. Versammlungen von mehr als zehn Personen sind verboten. Die Uni-Studenten wurden angewiesen, keine «politischen Versammlungen zu veranstalten» und sich «politisch sensitiver Diskussionen» zu enthalten. Polizei und Armee stehen in Phnom Penh in voller Anti-Demo-Montur Gewehr bei Fuss allzeit bereit.
Der 62-jährige Hun Sen, seit bald dreissig Jahren an der Macht, will schliesslich noch lange nicht abtreten. Seine Popularität hat jedoch in den letzten Jahren gelitten. Bei den Wahlen im vergangenen Juli hat er zur Überraschung aller, auch der internationalen Medien, gewaltig an Boden verloren. Seine CPP konnte nur noch 68 Sitze gewinnen, die Opposition kam auf sensationelle 55 Sitze.

Aufwind für die Opposition

Ob alles mit richtigen Dingen zugegangen ist im elend korrupten Land, daran zweifelt nicht nur die oppositionelle «Nationale Rettungspartei Kambodschas» (CNRP). 1,3 Millionen Stimmen, so die CNRP, seien ihr «gestohlen» worden. Wie auch immer – die Opposition hat an Popularität gewonnen. Galionsfigur ist der ehemalige Finanzminister Sam Rainsy. Er hatte einst mit Hun Sen gemeinsame Sache gemacht, trennte sich aber im Streit, wurde verhaftet, landete im Gefängnis, ging ins Exil nach Frankreich und kehrte für die Wahlen zurück. Hun Sen zeigte sich gnädig, weil er sich seines überlegenen Wahlsieges sicher war. Er sollte sich täuschen.
Oppositions-Supremo Ransy nutzte als gewiefter Politiker den seit längerer Zeit schwelenden Streit um die Lohnfrage in den Textilfirmen. Er schlug sich auf die Seite der Arbeiter und unterstütze deren Forderungen nach mehr Lohn und besseren Arbeitsbedingungen. Die Beschäftigten der Textilindustrie ihrerseits unterstützten zusammen mit dem Gewerkschafts-Dachverband die Forderung nach einem Rücktritt Hun Sens und vorgezogenen Neuwahlen.
Zum Leben zu wenig, zum Sterben zu viel
Doch Hun Sen denkt nicht an Rücktritt. Die nächsten Neuwahlen sind laut Verfassung erst im Jahr 2018 fällig. Den monatlichen Mindestlohn in den Nähfabriken hob die Regierung moderat von 80 auf 95 Dollar an. Damit hat Hun Sen auch die zu neunzig Prozent asiatischen Textilunternehmen – aus Thailand, Singapur, China, Taiwan, Südkorea – auf seiner Seite. Schliesslich trägt die Textilindustrie zu einem Drittel des Staatsbudgets bei und generierte mit fünf Milliarden Dollar im vergangenen Jahr über 80 Prozent aller Exporte. Nur: Mit 100 Dollar im Monat kann ein Textilarbeiter oder Arbeiterin im heutigen Kambodscha kaum leben. Es ist zu viel zum Sterben und zu wenig zum Leben.
Die Textilhersteller argumentieren, dass sie als Lieferanten bekannter westlicher Kleidermarken unter starkem Preisdruck stünden. Sie hätten keine Wahl. Zudem sind sie sich der Unterstützung der korrupten Regierung von Hun Sen gewiss. Zu Recht, wie die Repressionsmassnahmen zeigen. Dass Textilunternehmen bei einer Erhöhung des Mindestlohns abwandern würden, ist eine Drohung ohne Substanz. Denn billiger geht es kaum irgendwo. Kambodscha gehört mit Bangladesch und Pakistan zu den absoluten Textil-Billigstlohnländern.
Neuwahlen sind vorerst kein Thema
Die Luft für Hun Sen und dessen Volkspartei CPP wird allerdings immer dünner. Eine Rolle spielt dabei nicht zuletzt das Internet. Die sozialen Medien verbreiteten Meldungen und Videos über das brutale Vorgehen von Hun Sens Prätorianergarde in der Hauptstadt Phnom Penh bis ins hinterste Dorf. Die Mehrheit der über 500‘000 Textilarbeiterinnen und -arbeiter kommt vom Land. Bei Neuwahlen hätte Hun Sen deshalb heute kaum eine Chance. Doch mit Hilfe seiner Partei, seiner Freunde in Industrie und Handel wird er vorerst Neuwahlen zu verhindern wissen. Und für die nächsten regulären Wahlen in vier Jahren wird sich Hun Sens CPP bestimmt etwas Kreatives einfallen lassen.
In der Zwischenzeit müssten eigentlich internationale Textilunternehmen und Konsumenten in sich gehen. Doch die verbreitete Geiz-ist-geil-Mentalität wird verhindern, dass sich an der Situation der Arbeiterinnen in den Nähfabriken etwas ändert.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine. Peter Achten arbeitet seit Jahrzehnten als Journalist in China.

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