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Die französische Justiz kann sich nicht einigen, ob Bürgermeister Pestizide verbieten dürfen. © pixabay

Pestizid-Verbote: Französische Gerichte sind sich nicht einig

Tobias Tscherrig /  Ein Gericht gibt Bürgermeistern Recht, die den Einsatz von Pestiziden verboten haben. Andere Gerichte haben Verbote gekippt.

Daniel Cueff, der parteilose Bürgermeister der französischen Gemeinde Langouët, erliess am 18. Mai eine Verordnung, die den Einsatz des Herbizids Glyphosat in einem Umkreis von 150 Metern zu Schulen, Kindergärten und Wohnhäusern verbietet (Infosperber berichtete). Das Verwaltungsgericht Rennes hob die Verordnung im August schliesslich wieder auf. Gemäss dem Urteil sind Bürgermeister nicht befugt, den Einsatz von Pestiziden zu regulieren.

Aus Protest gegen den Gerichtsentscheid verboten zahlreiche Bürgermeisterinnen und Bürgermeister aus der gesamten Republik Pestizide – allen voran Produkte, die die chemische Verbindung Glyphosat enthalten. Von der Protestaktion sind rund 40 französische Kleinstädte betroffen, darunter zum Beispiel Nanterre, Murles, Parempuyre oder Boussières, das in der Nähe zur Schweizer Grenze liegt.

Etappensieg und zahlreiche Niederlagen
Als Folge muss sich die französische Justiz mit den entsprechenden Verordnungen befassen. Am 8. November hat das Verwaltungsgericht von Cergy-Pontoise nun erstmals einen Entschluss gefasst, der die Glyphosat-Verbote der Bürgermeister von Sceaux und Gennevilliers stützt. Ein erster Erfolg für die französischen Glyphosat-Gegner, aber kein lupenreiner. So haben französische Gerichte in zwanzig weiteren Fällen beschlossen, die Glyphosat-Verbote aufzuheben.

Und auch der Erfolg der Bürgermeister von Sceaux und Gennevilliers hat Makel: Das Glyphosat-Verbot gilt nur vorläufig, der Fall ist noch nicht abgeschlossen. Noch weiss niemand, wann der endgültige Entscheid fallen wird. Konkret lehnte das Verwaltungsgericht von Cergy-Pontoise den Antrag des Präfekten ab, der die dringende Aussetzung der Anti-Pestizidverordnungen der Gemeinden Sceaux und Gennevilliers verlangt hatte.

Bis die Glyphosat-Verbote erneut vor Gericht behandelt werden, ist es in Sceaux und Gennevilliers verboten, Produkte auf der Basis von Glyphosat und anderen chemischen Substanzen zu verwenden. Insbesondere solche, die endokrine Disruptoren enthalten und zur Bekämpfung von Organismen gebraucht werden, die als schädlich gelten. Bei Übertretung des Verbots wird eine Busse von 38 Euro fällig. Eine geringe Strafe, die von Umweltschützern als der nächste Makel der Verordnungen angesehen wird.

«Wir dachten, wir seien eine pestizidfreie Stadt»
Trotz der Vorläufigkeit der Verbote reagierten die Gemeindeverantwortlichen von Sceaux positiv auf den Gerichtsentscheid. Gegenüber dem Online-Portal «mediapart» sagte Florence Presson, Stellvertreterin des Bürgermeisters von Sceaux: «Unser Ziel war es, das Labbé-Gesetz zu vervollständigen, das ab 2017 den Einsatz von Pestiziden im öffentlichen Raum – mit Ausnahme von Friedhöfen und Sportplätzen – verboten hatte und ab 2019 auch den Bürgern den privaten Gebrauch untersagte.» Ab sofort sei die Nutzung von Pestiziden auf dem Gemeindegebiet von Sceaux nun auch für private Vermieter, Besitzer von Eigentumswohnungen und im Umfeld der Geleise des Transportunternehmens «RATP-Group» verboten.

Sceaux war vom Pestizid-Einsatz im Umfeld von Geleisen besonders betroffen, in der Gemeinde gibt es vier Stationen des Metro-Systems «Réseau Express Régional». «Wir dachten, wir wären eine pestizidfreie Stadt, da die Stadtverwaltung bereits 2009 die Nutzung von Pestiziden eingestellt hatte», sagte der zuständige regionale Beamte für Energiewende und Kreislaufwirtschaft gegenüber «mediapart». Dann habe man festgestellt, dass bei zwei Dritteln der Grünflächen der Gemeinde Pestizidrückstände nachweisbar seien, unter anderem aufgrund der Pestizidnutzung durch die «RATP-Group».

Die «RATP-Group» hatte im Juni beschlossen, die Pestizid-Versprühung auf ihrem gesamten Schienennetz einzustellen. Bis dahin wurden auf der Île-de-France jedes Jahr zwei Sprühaktionen durchgeführt. Dabei wurde «Touch Down EV» verwendet, ein Unkrautvernichter des Agrochemie-Riesen Syngenta, der aus dreissig Prozent Glyphosat besteht. Heute werden die Gleisinstandhaltungen mechanisch durchgeführt, Pestizide kommen dabei nicht mehr zum Einsatz.

Justiz ist sich nicht einig
Der Beschluss des Verwaltungsgerichtes Cergy-Pontoise, die Pestizid-Verbote in den Gemeinden Cergy-Pontoise, Sceaux und Gennevilliers zuzulassen, widerspricht allen bisherigen Entscheidungen, die die französische Justiz im Zusammenhang mit der Protest-Aktion der Bürgermeister getroffen hatte. Am 20. September hatte zum Beispiel das Gericht von Versailles das Pestizid-Verbot der Gemeinde gekippt. Am 13. November veröffentlichte das Verwaltungsgericht Melun seine Entscheidung und setzte die Pestizid-Verbote in rund 20 Gemeinden der Departemente Val-de-Marne und Seine-et-Marne aus. Auch das Verwaltungsgericht Rouen entschied gegen das Pestizid-Verbot der Gemeinde Sotteville-lès-Rouen. Und am 25. Oktober war es das Gericht von Rennes, dass das Pestizid-Verbot von Bürgermeister Daniel Cueff, einer der bekanntesten Persönlichkeiten der Anti-Pestizid-Bewegung in Frankreich, ablehnte.

Das Gericht von Rennes begründete seinen Entscheid mit den Worten, es sei nicht Sache eines Bürgermeisters, über Pestizide zu entscheiden. Vielmehr sei das Landwirtschaftsministerium zuständig. Das Verwaltungsgerichtes Cergy-Pontoise sieht das nun anders. Daniel Cueff kommentierte den Entscheid gegenüber «mediapart»: « Für das Gericht von Cergy-Pontoise existiert ein Versagen des Staates – und niemand kann die Gefahren von Pestiziden heute leugnen. Bürgermeister sind daher befugt zu intervenieren.»

Gericht kritisiert Staat
In der Tat ist der Beschluss des Gerichts von Cergy-Pontoise, die Pestizid-Verbote aufrechtzuerhalten, ein Novum. Das Gericht begründete seinen Entscheid damit, dass die betroffenen Bürgermeister «hinreichend Grund zur Annahme» gehabt hätten, dass die schädlichen Auswirkungen der nun (vorläufig) verbotenen Produkte gefährlich für die öffentliche Gesundheit und die Umwelt seien. Im Übrigen hätten es die zuständigen Minister verpasst, ausreichende Regulierungsmassnahmen umzusetzen, weswegen die Bürgermeister der Gemeinden das Recht zu der Annahme hätten, dass die Einwohner der Gemeinden einer ernsten Gefahr ausgesetzt seien.

Gräben zwischen Stadt und Land
Während die einstweilige Verfügung des Gerichts von Cergy-Pontoise vielleicht einen Präzedenzfall schaffen könnte, häufen sich in Frankreich die Stimmen, die bei der unterschiedlichen Behandlung der Pestizid-Verbote in den verschiedenen Regionen von Frankreich einen Graben zwischen Stadt und Land sehen. So war der Einsatz von Pestiziden in vielen eher städtischen Gemeinden bereits vor der Protestaktion der Bürgermeister zumindest teilweise verboten. In ländlichen Gegenden ist das anders, die meisten der ansässigen Bauern üben viel Druck aus und bekämpfen die drohenden Verbote.

Befürworter der Pestizid-Verbote argumentieren, dass es bei den Pestizid-Verboten um die öffentliche Gesundheit gehe und sich die Frage nicht auf die Präferenzen der Landwirte beschränken dürfe. Es könne nicht sein, dass Bürgermeister von städtischen Gemeinden das Recht hätten, Pestizid-Verbote zu erlassen, Bürgermeister von ländlichen Gemeinden dagegen von Gerichten zurückgebunden würden.

Einige französische Medien sprechen zudem von einem Staat, der ein Interesse daran habe, «die endgültige Entscheidung in dieser Sache zu verzögern». Immerhin würde die gerichtliche Validierung der Anti-Pestizid-Verordnungen auch bedeuten, eine Schwäche des Staates einzugestehen und die Legitimität der lokalen Mandatsträger wiederherzustellen. Das sei nicht wirklich die Linie, die die Behörden unter Präsident Emmanuel Macron bisher verfolgt hätten.
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Eine Meinung zu

  • am 19.11.2019 um 15:19 Uhr
    Permalink

    Komisch, das Eindeutiges so schwer zu handhaben ist.Glyphosat gehört sofort verboten auch in der Schweiz

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