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Die Verlagerung der Güter auf die Bahn geht der Astag noch immer zu weit © Astag

Lasterlobby will Alpenschutz durchlöchern

Hanspeter Guggenbühl /  Der Nutzfahrzeugverband Astag will einen neuen Verkehrsvertrag mit der EU. Doch die Forderungen richten sich gegen den Alpenschutz.

Am 20. Februar 1994 stimmte das Schweizer Volk der Alpeninitiative zu und verankerte damit den Artikel 84 zum Alpenschutz in der Bundesverfassung. Zum 20. Jahrestag dieser Abstimmung verlangt nun die Astag, der Dachverband Schweizer Strassentransporteure, eine «Neuverhandlung des Landverkehrsabkommens» mit der EU; dieses Verkehrsabkommen hatte das Schweizer Volk mit der Zustimmung zu den übrigen «Bilateralen 1» im Jahr 2000 bewilligt.

Nationales Recht im Visier

Publizistisch schlägt die Astag damit den Sack, nämlich den bilateralen Vertrag, inhaltlich aber meint sie vor allem den Esel, nämlich das nationale Recht zum Alpenschutz. Das zeigen die drei konkreten Forderungen, welche die Astag am Montag dieser Woche den Medien präsentierte:

1. Die Verlagerung des alpenquerenden Güterverkehrs auf die Schiene soll nur Transporte mit einer Distanz ab 300 Kilometer betreffen, «die für die Bahn geeignet sind». Mit dieser Forderung durchlöchert die Astag den nationalen Verfassungsartikel zum Alpenschutz. Denn dieser Artikel verlangt eine hundertprozentige Verlagerung des (mindestens 300 Kilometer langen) «Gütertransits von Grenze zu Grenze» auf die Schiene; dies unabhängig von seiner Eignung für die Bahn. Das Landverkehrsabkommen hingegen schreibt eine Verlagerung weder für kurze noch für lange Distanzen vor. Vielmehr postuliert dieser Vertrag mit der EU «die freie Wahl der Verkehrsmittel» sowie ein «Diskriminierungsverbot».

2. Um den Verfassungsartikel, der den Gütertransit auf der Strasse verbietet, diskriminierungsfrei umzusetzen, beschlossen Bundesrat und Parlament 1999 das Verkehrs- und 2009 das Güterverkehrs-Verlagerungsgesetz. In diesen Gesetzen begrenzten sie die Lastwagenfahrten für alle Transportarten auf maximal 650 000 pro Jahr; nach neustem Verlagerungsgesetz darf diese Grenze ab 2018 nicht mehr überschritten werden. Diese Grenze will die Astag auf eine Million Fahrten pro Jahr erhöhen. Damit weicht sie wiederum nationales Recht auf. Denn das bilaterale Abkommen mit der EU sieht keine Begrenzung der Lastwagenfahrten vor.

3. Der Ausbau der Güterverkehrs-Korridore auf der Nordsüdachse soll vertraglich ins Landverkehrsabkommen integriert werden. Mit dieser Forderung schlägt der Nutzfahrzeugverband halboffene Türen ein. Denn die entsprechenden Verträge bestehen bereits, allerdings nicht mit der EU, sondern mit den direkt betroffenen Nachbarstaaten Deutschland und Italien.

Transport profitiert vom EU-Vertrag

Die Strassen-Transportlobby wehrte sich von allem Anfang an gegen die Alpeninitiative und die darauf aufbauenden Verkehrsverlagerungs-Gesetze, weil diese den Strassentransport begrenzen. Das ist legitime Interessenvertretung. Wenn die Astag diesen Widerstand jetzt aber verknüpft mit dem bilateralen Landverkehrsabkommen, so ist das nicht nur verwirrlich, sondern auch paradox. Denn der bilaterale Verkehrsvertrag minderte die härteren Bestimmungen des nationalen Alpenschutzes – und verhindert damit den konsequenten Vollzug der Schweizer Verlagerungsgesetze (siehe Ausgabe vom ….).

Zudem liberalisierte der Verkehrsvertrag den grenzüberschreitenden Gütertransport. Damit verloren einheimische Transporteure zwar einige Wettbewerbsvorteile gegenüber ausländischen Transporteuren. Gleichzeitig profitierten sie aber von einem besseren Zugang zum europäischen Verkehrsmarkt, etwa durch das Recht, Güter innerhalb der EU zu transportieren (Kabotage).

Für die Forderung, den bilateralen Verkehrsvertrag neu zu verhandeln, bleibt damit nur eine Erklärung: Die Astag nutzt das Feuer, welches die Abstimmung über die Anti-Zuwanderungsinitiative der SVP entfachte, um ihre bislang erfolglosen Argumente gegen den Alpenschutz aufzuwärmen.


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5 Meinungen

  • Portrait_Pirmin_Meier
    am 18.02.2014 um 11:54 Uhr
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    Vor 20 Jahren, bei Annahme der Alpeninitiative, für die mit Wilhelm Tell geworben wurde, hatte ich fast zum letzten Mal ein makellos und ungetrübt gutes Gefühl bei einem emotional einfahrenden Volksentscheid, das vorletzte Mal war Rothenturm, als die Berggeister und Sumpfnymphen mitstimmten. Das Gemeinsame aber von praktisch allen «heldenhaften» Volksentscheiden im Geist von Morgarten und Sempach ist, dass der symbolische Wert meilenweit von der politischen Durchführung entfernt bleibt. Nicht mal der Moorschutz ist, wegen Kompromissen mit der Landwirtschaft, viel besser als die Verhinderung eines Waffenplatzes.

    Das Bewundernswerte an den Beiträgen von Hp. Guggenbühl ist, wie nahe er bei den konkreten Problemen dran bleibt und wie er immer dieselbe kritisch-sachliche Tonlage beibehält, aber im Gegensatz zu einem Ideologen nicht immer dasselbe schreibt. Es bleibt netto ein Informationsgewinn haften.

    PS. Meine Erinnerung an den sonnigen 20. Februar 1994 hängt mit einer auf den damaligen Spätnachmittag angesetzten Einladung nach Gersau zusammen, der kleinsten Landsgemeinderepublik der Welt, zum Thema «Berggeister auf der Rigi». Schon Golowin wusste, dass diese Zusammenhänge viel politischer sind als man denkt, und dass man mit Mythen nicht nur die Tibeter, Indianer, Griechen und Spanier erklären kann.

    PS 2: Auch die Initiative gegen die Abzockerei, ebenfalls mit Durchsetzungsproblemen, gehört m.E. auf die Liste der historisch makellosen menschheitsdienlichen Volksentscheide.

  • am 18.02.2014 um 12:45 Uhr
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    Zur Erinnerung. Die Alpeninitiative wurde seinerzeit deutlich angenommen, ganz im Gegensatz zum hauchdünnen Ja der «Masseneinwanderinitiative». Sie ist bis heute nicht umgesetzt worden. Die Realisierung wurde genau von denselben Kreisen torpediert, die sich stets lautstark auf die Stimme des Volkes berufen. Genau dieselben, die nun fordern, das unglückliche Votum vom 9. Februar kompromisslos durchzusetzen.
    ASTAG, an diesem Etikett klebt auch ein Name: Adrian Amstutz, SVP-Hardliner, unflätiger Polterer gegen Menschen mit Migrationshintergrund, warmherziger Verteidiger von Steuerkriminellen aus aller Herren Länder. «Es gibt durchaus Ausländer, die ok sind», mag er sich sagen. Dazu gehören wohl auch ein bayrischer Fussballtrainer, eine etwas verblühte Frauenrechtlerin … Nun zu diesem A. A.: Auch seine Bäume wachsen nicht in den Himmel. Ich erinnere mich noch an jenen Sonntag nach der letzten Berner Ständeratswahl, als der SVP-Mann mit über 20’000 Stimmen von einem Sozialdemokraten aus seinem Amt gefegt wurde. Das war vier Wochen nach dem ersten Wahlgang, als A. A. noch klar führte. Die 50.3% sind ein so dünnes Polster, dass sie morgen schon unter die 50%-Marke abgleiten könnten. Was sehr wohl der Fall sein dürfte. Eben höre ich aus den SRF-Nachrichten: Die slowakischen Krankenschwestern in der Schweiz drohen mit Wegzug, gestern wurde von der EU das Stromabkommen, der Studentenaustausch und ein wichtiges Forschungsprojekt sistiert. Na ja, SVP, das ist in die Hosen gegangen.

  • Portrait_Pirmin_Meier
    am 18.02.2014 um 14:52 Uhr
    Permalink

    Eine korrigierende Abstimmung findet nicht morgen statt. Eher schon muss die noch ungebodigte, aber auch nach Blochers und vor allem Amstutz› Willen jetzt klar gedämpfte Ecopop-Initiative unschädlich gehalten werden. Es bleibt aber dabei, dass die von P.B. und mir und unzähligen anderen hochmotiviert unterstützte Alpeninitiative u.a. auch von BR Leuenberger nicht so geliebt wurde, wie wir es gern gehabt hätten, und aussenpolitisch im kleineren Ausmass Schwierigkeiten machte wie jetzt MEI.

    Es ist noch nicht absolut absehbar, wie weit die Themen MEI und Alpeninitiative eines Tages am gleichen Verhandlungstisch zumindest mehr oder weniger gleichzeitig angesprochen werden.

    Noch etwas, Kollege Beutler, hörte gestern meinen theoretischen «Gesinnungsfreund» als Christdemokrat, Volker Kauder, über die Schweiz reden im Echo der Zeit, undiplomatischer als Merkel. Wenn er sagte «Ich bin ein Freund der Schweiz», erinnerte mich das an die Christlichsozialen im Senslerland, die sagten «Ich habe nichts gegen Ausländer» und Ja stimmten. Nur bedeutet bei «Gesinnungsfreunden» wie Kauder «Ich bin ein Freund der Schweiz» etwas Ähnliches wie bei Frau Schwarzer, die ebenfalls als «Freundin der Schweiz» aufgeflogen ist. Selbstverständlich ist es weder juristisch noch politisch sinnvoll, führende EU-Antipoden im gegenwärtigen Säbelgerassel durch Kontenveröffentlichungen in der BILD zu überführen. Kollege Beutler äusserte sich über Frau Schwarzer klar sexistisch, kann sogar in der SP passieren.

  • am 18.02.2014 um 19:52 Uhr
    Permalink

    Dass die Lästwägeler ihre Güter nicht auf die Bahn bringen und den zweiten Gotthardtunnel wollen haben sie eigentlich noch nie verheimlicht. Immer wieder versuchten und versuchen sie die Alpeninitiative zu unterlaufen. Bis dato erfolglos. Im Parlament haben sie dank ihren dortigen Handlangern und verbündeten (Baulobby, Automobilverbände, etc.) erreicht dass die Alpeninitiative nicht dem Volkswillen entsprechend umgesetzt wird. Wenn es aber, wie bei der SVP-Initiative, darum geht die Fremdenfeindlichkeit zu fördern dann schreien die gleichen lauthals nach sofortigem Umsetzen; was den Nationalkonservativen und Ewiggestrigen nicht passt wird auf die lange Bank geschoben, bis zur Unkenntlichkeit zurechtgebogen oder schweigend bis zum Vergessen ausgesessen!

  • am 20.02.2014 um 22:47 Uhr
    Permalink

    Dass die Alpenschutzinitiative leider weiter verwässert werden wird, ist abzusehen, dafür spricht eigentlich schon die wenig glaubwürdige Bundesrätin. Es ist offensicht so, es wird gebogen und gedreht, bis die Interessensverbände obsiegt haben, es geht ja schliesslich um Wirtschaftswachstum, wie ja auch bei der SVP-Initiative vom 9.2.14. Schon mal etwas von qualitativem Wachstum gehört, liebe ASTAG und Economiesuisse? Wo bleibt der volkswirtschaftliche- und gesellschaftspolitische Sach- und gesunde Menschenverstand?

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