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Kohlegrube im Bezirk Korba, Chhattisgarh, Indien. © India Water Portal, Flickr, CC

Indien: Fragliche Autarkie auf Kosten des Urwalds

D. Gschweng /  Während andere Länder Ausstiegspläne bekanntgeben, will Indien mit Kohle die Wirtschaft retten.

Indien befindet sich mitten in der Corona-Pandemie, die Wirtschaft ist bisher um 23 Prozent eingebrochen. Diesen Rückstand will das Land möglichst schnell wieder aufholen. Indien setzt dabei auf Kohle, einen Rohstoff, der im Land reichlich vorhanden ist.

Bisher importiert Indien jährlich 247 Millionen Tonnen Kohle für 20 Milliarden US-Dollar, listet der «Guardian» auf. Durch verstärkte Kohleförderung soll künftig der indische Energiebedarf mit heimischer Kohle gedeckt werden.

Der Rohstoff soll auch darüber hinaus Geld in die Kassen spülen: «Warum kann nicht Indien der grösste Kohleexporteur der Welt werden?», fragte der indische Premierminister Narendra Modi, als er im Juni die Versteigerung von 41 Erschliessungsgebieten für den Kohlebergbau an private Investoren ankündigte. Die Versteigerung stellt einen Umbruch dar, bisher war Kohle in Indien Staatseigentum.

Kohle, die keiner haben will

Ob Modis Rechnung aufgeht, ist fraglich, sowohl im In- wie im Ausland. Indische Kohle ist von eher schlechter Qualität, sie enthält etwa 45 Prozent nicht-brennbare Bestandteile oder Asche. Das macht sie nicht nur ineffizient, sondern auch zur schmutzigsten Kohle der Welt. Selbst indische Unternehmen greifen deshalb oft auf Importkohle zurück. Ob es überhaupt einen Markt für indische Kohle gibt, ist deshalb unklar.

Wieviel Kohleenergie Indien in Zukunft brauchen wird, ist ebenfalls offen. Die bereits bestehenden Minen haben mehr Kapazitäten, als sie bräuchten, um den Energiebedarf Indiens im Jahr 2030 zu decken, rechnete das «Centre for Research on Energy and Clean Air» nach Angaben des «Guardian» aus. Das Land investiert zudem erfolgreich in einen wachsenden Solarsektor. Bisher wäre Indien sogar in der Lage, das Pariser Klimaabkommen einzuhalten.

Indiens grösster Urwald soll für Kohle umgegraben werden

Mehr Kohleabbau in Indien ist nicht ohne hohe Kosten für Mensch und Umwelt zu haben. Der grösste Teil der 41 Abbaugebiete oder «Blocks» ist von indigenen Stämmen besiedelt, die sich in ganz Indien gegen Marginalisierung und Landraub wehren müssen. Mindestens sieben Blocks liegen in ökologisch wertvollen Gebieten Zentralindiens.

Vier davon liegen in einem der grössten zusammenhängenden Waldgebiete des Landes, dem Hasdeo Arand im Staat Chhattisgarh. In dem 170’000 Hektaren grossen Areal leben geschützte Tierarten wie Leoparden und Elefanten sowie mehrere indigene Stämme, die in Indien zuammenfassend Adivasi genannt werden. Unter dem Waldgebiet liegen schätzungsweise 5 Milliarden Tonnen Kohle.


Der Hasdeo Arand (zu Deutsch: Wald am Fluss Hasdeo) ist eines der grössten zusammenhängenden Waldgebiete Indiens. (Karte: DownToEarth)

Die Einwohner wehren sich schon länger gegen neue Minen in und um den Hasdeo Arand. Ihnen droht der Verlust ihrer Kultur, ihrer Lebensgrundlage und die Umsiedlung in trostlose Ersatzquartiere. Ende 2019 begannen sie einen Streik, weil sie ihr Land nicht aufgeben wollen.

Womit sie rechnen müssen, haben sie im benachbarten Bezirk Korba gesehen. Dort befindet sich Gevra, die zweitgrösste Tagebaumine der Welt, mehrere kleinere Tagebaustätten sowie einige Kraftwerke. Mehr als 80 Prozent der indischen Kohle stammen von dort.

Korba ist eines der am meisten verschmutzten Gebiete Indiens. Luft, Wasser und Umwelt sind von der Kohleindustrie verpestet, die Landschaft oft zerstört. Babita, die in Korba aufgewachsen ist, erinnert sich, wie sie als Kind auf den Feldern ihrer Familie und in den Wasserläufen gespielt hat. 2004 wurde ihre Familie umgesiedelt. Als Teenager lebte die heute 29-Jährige in einer vom Bergbau verschmutzten Minenstadt.

Bei Sprengungen flogen Kohlebrocken

Das grösste Problem ist Flugasche. Sie gelangt überallhin und verschmutzt Boden, Luft und Wasser. «Überall war Staub», berichtete Babita auf «Mongabay». «Auf den Feldern, auf dem Essen, in den Häusern». Die Wasserläufe seien grösstenteils trockengefallen, der Grundwasserspiegel gesunken. Wasser gab es erst in drei Kilometern Entfernung, Elektrizität gar nicht. Die neuen Häuser bekamen von den ständigen Sprengungen schnell Risse, manchmal habe es deshalb Kohlebrocken geregnet, sagt die Computerwissenschaftlerin, die sich gegen neue Minen engagiert. Einmal habe sie ein Brocken am Kopf getroffen.


Der Fluss Hasdeo bei Amritdhara (Wikimedia Commons)

Die indische Regierung bestreitet weder die Eingriffe in ein wertvolles Ökosystem noch, dass viele Menschen für den Bau neuer Minen umgesiedelt werden müssten. Dafür bekämen sie jedoch «hohe Kompensationen». Der Kohle- und Bergbauminister Pralhad Joshi kündigte an, dass neuer Bergbau in Chhattisgarh 60’000 Arbeitsplätze schaffen würde. «Wie sonst können wir die Adivasi in Zentralindien entwickeln?», fragt er.

Ex-Umweltminister sieht Lobbyinteressen am Werk

Alok Shukla, Aktivist aus Chhattisgarh, bestreitet diese Behauptung. «Sie können sich jedes beliebige Kohlebergbauprojekt in Chhattisgarh ansehen, und keines von ihnen hat das Versprechen eingelöst», sagte er der «CNN». «Der Kohleabbauprozess ist stark mechanisiert. Die Chancen auf die Schaffung von Arbeitsplätzen sind minimal».

Der ehemalige indische Umweltminister Jairan Ramesh sieht vor allem Lobbyinteressen hinter dem neuen Kohle-Boom. Getrieben werde er vor allem von der «Adani Group», einem Grossunternehmen, das in Chhattisgarh mehrere Minen betreibt. Deren Gründer und Vorsitzender, der Milliardär Gautam Adani, ist ein Freund des Premierministers. Sein Einfluss sei sichtbar, sagt Ramesh. Während seiner Amtszeit seien wegen ihrer Biodiversität vor Bergbau geschützte Gebiete bereits von 30 Prozent auf 5 Prozent der Fläche reduziert worden, beklagt er. Die «Adani Group» weist die Vorwürfe zurück.

Der Widerstand ist teilweise erfolgreich

Als Reaktion auf den Widerstand in mehreren indischen Staaten hat die indische Regierung die Anzahl der «Blocks» Anfang August bereits auf 38 reduziert. Fünf Blocks im Hasdeo Arand wurden gestrichen, drei neue dafür aufgenommen. Die Bewohner der verbleibenden Blocks sind weiter in Gefahr, ihr Land und ihre Lebensgrundlage zu verlieren, relativ unberührte Natur ginge für immer verloren. Wenn eine Mine nach 30 bis 50 Jahren ausgebeutet ist, wird das Gebiet nicht renaturiert, wie es im Westen vorgeschrieben ist. Die Kohlegruben werden allenfalls aufgefüllt, oft mit den Abfällen der Kraftwerke.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

keine

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