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17 Prozent mehr Benzin als Hersteller angeben © Guggenbühl/Südostschweiz

Das Märchen vom sparsamen Auto

Hanspeter Guggenbühl /  Der Spritverbrauch der Personenwagen hält auf der Strasse nicht, was der Prüfstand verspricht: Die Differenz wird immer grösser.

»Die sechste Auflage von BMWs Dreier ist mustergültig sparsam», schreibt der Touring Club der Schweiz (TCS) über sein zuletzt getestetes Auto. Denn laut Werkangabe, die dem offiziellen europäischen Testwert auf dem Prüfstand entspricht, verbraucht das Modell BMW 320d Automat pro hundert Kilometer Fahrt nur noch 4,5 Liter Dieseltreibstoff. Doch auf der Strasse, so mass der TCS nach einer rund 3000 Kilometer langen Testfahrt, schluckte der «sparsame» BMW durchschnittlich 5,9 Liter/100 km. Gegenüber der Werkangabe entspricht das einem Mehrverbrauch von 1,4 Liter oder 31 Prozent.

Die Differenz zwischen Prüfstand und Praxis wächst

Der BMW 320d ist ein Extrem-, aber kein Einzelfall. Das zeigt die Statistik des TCS, die den durchschnittlichen Verbrauch ihrer Testfahrzeuge gemäss Werkangabe und gemäss Testverbrauch auf der Strasse erfasst und vergleicht. Resultat: Im jüngsten Erhebungsjahr 2011 verbrauchten die 20 vom TCS getesteten Personenwagen (mit Motoren bis 2000 cm3) durchschnittlich 6,37 Liter Benzin. Dieser mittlere Praxisverbrauch lag um 17 Prozent über der mittleren Werkangabe respektive dem Verbrauch auf dem Prüfstand.

Bemerkenswert ist nicht nur die deutliche Differenz im Jahr 2011, sondern auch die langfristige Entwicklung: Seit dem Jahr 2000 ist die Differenz zwischen Werkangabe und Praxisverbrauch der vom TCS getesteten Neuwagen stetig gestiegen, nämlich von fünf Prozent im Jahr 2000 auf die erwähnten 17 Prozent (siehe Grafik: «Treibstoffverbrauch in Theorie und Praxis»).

Rückgang des Treibstoffverbrauchs ist in der Praxis kleiner

Die TCS-Erhebung eignet sich, um die Differenz zwischen Theorie und Praxis darzustellen. Sie klammert aber die grossen getesteten Autos mit mehr als 2000 Kubikzentimeter Hubraum aus. Das wahre Verbrauchsniveau der Schweizer Neuwagenflotten liegt deshalb um rund einen Liter höher.

Das zeigen die offiziellen Daten des Bundes über den Treibstoffverbrauch der in der Schweiz neu in Verkehr gesetzten Autos: Im Jahr 2011 verbrauchten diese Neuwagen auf dem Prüfstand durchschnittlich 6,4 Liter Treibstoff pro hundert Kilometer. Gegenüber dem Stand im Jahr 2000 ist der mittlere Verbrauchswert auf dem Prüfstand damit um rund einen Viertel gesunken. In der Praxis hingegen, so lässt sich aus der TCS-Statistik schliessen, betrug der Verbrauchsrückgang zwischen 2000 und 2011 lediglich einen Sechstel.

Praxiferner Fahrzyklus erlaubt Optimierung für den Prüfstand

Die Unterschiede des Treibstoffverbrauchs zwischen Werkangaben und Praxis wurden schon früher thematisiert. Der wichtigste Grund dafür: Der europäische Fahrzyklus, der bei der Prüfstandmessung angewendet wird, entspricht immer weniger der Praxis. Selbst besonnene Fahrerinnen und Fahrer beschleunigen ihre stark motorisierten Autos in der Praxis schneller, als dies beim Fahrzyklus auf dem Prüfstand vorgeschrieben ist. Zudem verfügen immer mehr neue Autos über Klimaanlagen, beheizte Sitze, leistungsstarke Stereoanlagen, etc. All diese energiezehrenden Geräte dürfen bei der Messung auf dem Prüfstand ausgeschaltet werden.

Kommt dazu: Autohersteller optimieren ihre Fahrzeuge für die Prüfstandmessung oder helfen mit Leichtlaufölen und widerstandsarmen Pneus nach, um tiefere Werkangaben ausweisen zu können. Die Vorschriften in der Schweiz und der EU, die den CO2-Ausstoss und mithin den Treibstoffverbrauch von Neuwagen ab 2015 begrenzen, dürften solche Optimierungen fördern und damit Differenz zwischen Prüfstand- und Praxisverbrauch weiter ansteigen lassen.

Um diesen Missstand zu beheben, müsste der (uralte) «Neue Europäische Fahrzyklus» (NEFZ) den wahren Verhältnissen angepasst werden. Doch dagegen wehren sich die Autohersteller mit Händen und Füssen. Denn ein praxisnäherer Fahrzyklus auf dem Prüfstand würde sie zwingen, sparsamere Fahrzeuge herzustellen, also kleinere und leichtere Autos mit weniger starken Motoren. Damit sänke aber nicht nur die Umweltbelastung, sondern auch der Umsatz der Autobranche. Darum wird sich auch die Politik kaum um eine Anpassung des Fahrzyklus bemühen. Denn im Konfliktfall kommt Umsatz stets vor Umweltschutz.

Mehr Verkehr kompenssiert tieferen spezifischen Verbrauch

Die bisherigen Daten in diesem Text betreffen den spezifischen Verbrauch der jährlich neu in Verkehr gesetzten Personenautos. Diese Neuwagen machen aber weniger als zehn Prozent des gesamten Fahrzeugbestandes in der Schweiz aus. Der Treibstoffverbrauch der ganzen Autoflotte auf den Schweizer Strassen, so lässt sich aus den vorliegenden Daten abschätzen, betrug im Durchschnitt des Jahres 2011 rund 8,5 Liter/100 km – und liegt damit um zwei Liter über dem Prüfstandverbrauch der Neuwagen.

Der spezifische Treibstoffverbrauch des gesamten Fahrzeugbestandes ist damit auch weniger stark gesunken als derjenige der Neuwagen allein. Und weil in der Schweiz immer mehr Autos herumfahren, ist der Spritkonsum und verkehrsbedingte CO2-Ausstoss der Fahrzeugflotte in der Schweiz gegenüber dem Jahr 2000 sogar noch etwas gestiegen.


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