Sperberauge

«Schweizer»: Das waren laut Bundesgericht nur Männer

Sperber Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des AutorsKeine © Bénédicte Sambo

Red. /  Dass mit «Schweizer» selbstverständlich auch alle Schweizerinnen mit gemeint seien, ist keineswegs so.

Seit 1874 lautete Artikel 4 der Bundesverfassung «Alle Schweizer sind vor dem Gesetze gleich». Ob mit «Schweizer» beide Geschlechter gemeint seien oder nur die Männer, das käme auf die jeweilige «herrschende Rechtsanschauung» an, urteilte das Bundesgericht. Falls die Frauen nicht mit gemeint seien, müsse es allerdings eine «innerliche Begründung» dafür geben.
Eine solche «innerliche Begründung» war laut Bundesgericht im Jahr 1886 gegeben, als Emilie Kempi-Spyri vor einem Zürcher Zivilgericht ihren Ehmann als Anwältin vertreten wollte. Das Gericht lehnte sie ab, weil ihr «das Aktivbürgerrecht fehlt». Die Anwältin beschwerte sich darauf beim Bundesgericht, in dem sie sich auf Artikel 4 der damaligen Bundesverfassung berief:
«Alle Schweizer sind vor dem Gesetze gleich. Es gibt in der Schweiz keine Untertanenverhältnisse, keine Vorrechte des Orts, der Geburt, der Familien oder Personen.»
In seinem Urteil vom 29. Januar 1887 bezeichnete das Bundesgericht die Auffassung der Anwältin als «eben so neu als kühn», könne jedoch nicht gebilligt werden. Es erscheine «nach der jedenfalls zur Zeit noch zweifellos herrschenden Rechtsanschauung» eine «innerliche Begründung zu geben für die unterschiedliche Behandlung der Geschlechter auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts, speziell in Bezug auf das Recht der Betätigung im öffentlichen Leben.»

Mit den heutigen Worten von Markus Nussbaumer der Bundeskanzlei: «Das Bundesgericht äusserte die Auffassung, das Maskulinum in den Personenbezeichnungen der Bundesverfassung sei unter Berufung auf die ‹herrschende Rechtsanschauung› einmal generisch und einmal geschlechtsspezifisch auszulegen.»

PS: Aus «Alle Schweizer sind vor dem Gesetze gleich» ist in der revidierten Bundesverfassung von 1999 geworden: «Alle Menschen sind vor dem Gesetze gleich.»
_________________
Quelle: LeGes 1/2018; 1/2019; 2/2019 https://www.weblaw.ch/competence/editions_weblaw/leges.html


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Eine Meinung zu

  • am 14.10.2019 um 11:44 Uhr
    Permalink

    «Das Bundesgericht äusserte die Auffassung, das Maskulinum in den Personenbezeichnungen der Bundesverfassung sei unter Berufung auf die ‹herrschende Rechtsanschauung› einmal generisch und einmal geschlechtsspezifisch auszulegen.»

    Das Wort ‹Schweizer› ist kein Personen-, sondern ein Kategorialbezeichner. Personenbezeichner sind im Deutschen nur die 5 Worte ‹Mensch›, ‹Mann›, ‹Frau›, ‹Kind› und ‹Person› selbst. Das generische Maskulinum meint immer eine Kategorie und niemals das Kategorisierte.

    Wenn ich in der Ausnahme über Menschen und nicht über Kategorien von Menschen sprechen möchte, muss ich das entsprechend zum Ausdruck bringen. Dafür gibt es aber nur sehr selten Grund.

    Das Bundesgericht ist für derartige Fragen allerdings nicht zuständig. Das obliegt der Duden- Redaktion oder sonst einem Sprachgremium. Es hat mich erst kürzlich irritiert, als das Bundesgericht sich humanpathologische Kompetenz anmass und die Störung Alkoholsucht gegen medizinische Logik als Krankheit klassifizierte. So etwas kann nur eine internationale pathologische Gesellschaft vorschlagen und ggf. entscheiden, aber kein Staat oder Gericht. In dem Fall ist es aber grob falsch.

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