catanzaro

Die «Imponimento»-Untersuchung, die auch in der Schweiz Konsequenzen hatte, begann in Catanzaro. © tvsvizzera/M. Rossi

Die Schweiz als Wohlfühloase der Mafia

Madeleine Rossi, swissinfo.ch /  Die 'Ndrangheta hat auch in der Schweiz Wurzeln geschlagen. Die milden Strafen hierzulande sind wenig abschreckend.

Die Anti-Mafia-Operation «Imponimento», durchgeführt von schweizerischen und italienischen Sonderkommandos, hat die italienischen Mafia-Organisationen und ihre Präsenz in der Schweiz ins Rampenlicht gerückt. Insgesamt wurden 75 Personen verhaftet, eine davon im Kanton Aargau. Bereits 2016 wurden nach der Zerschlagung einer ‹Ndrangheta-Zelle im Kanton Thurgau drei von Italien gesuchte Männer im Wallis verhaftet.

In jüngerer Zeit hat die Schweizer Polizei zwei weitere Mitglieder der Mafia im Exil zu fassen gekriegt, den ersten im September 2019 bei Lugano und den zweiten Ende Juni im Kanton Bern. Zuletzt, am 21. Juli, wurde ein Mitglied der ‹Ndrangheta, die unter anderem für den Boss Rocco Anello in den Waffen- und Drogenhandel verwickelt war, in seinem Haus im Tessin verhaftet.

Diese Kadenz ist ein Indiz für die Präsenz mafiöser Gruppen in der Schweiz, aber auch ein guter Hinweis auf das Handeln des Bundes, der angesichts der organisierten Kriminalität offenbar die Samthandschuhe abgelegt hat. Sie widerspiegelt zudem die Bedeutung des italienisch-schweizerischen Austauschs auf Ebene Strafverfolgung.

Die Kenntnisse der italienischen Strafverfolger ermöglichen es uns, die «kriminelle» Bedeutung bestimmter Verhaltensweisen besser zu verstehen und Warnhinweise zu erkennen. Tatsächlich ist alles, was an mafiösen Aktivitäten in der Schweiz – oder allgemein im Ausland – geschieht, ableitbar aus dem Tun der Mafia in ihrer Heimat. Die gilt auch in Bezug auf Gewalt, Einschüchterung und auf die wirtschaftliche Mittel.

Zu wenig Ressourcen

Heute kann sich die Schweiz auf kompetente Ermittler und Analysten verlassen, aber es sind zu wenige und es fehlt an Ressourcen. Auf diese Schwäche hat erst kürzlich der ehemalige Polizist und Tessiner Nationalrat Giorgio Galusero hingewiesen. Er sagt, dass der Kampf gegen die Mafia vor allem durch Prävention, Überwachung und Informationen geführt wird.

Die Spezialeinheit der Tessiner Kantonspolizei, die neben anderen komplexen Aufgaben für die Bekämpfung der organisierten Kriminalität zuständig ist, verfügt aber nur über zwei Ermittler. Wie können diese gleichzeitig die Übersicht über das Territorium und die nachrichtendienstlichen Aktivitäten behalten und dazu die Ermittlungsarbeit bewältigen, zumal in einem Kanton, in dem die Dichte an Mafiagruppen hoch ist?

Herausfordernd dazu kommen die Strukturen der italienischen Mafia-Organisationen auf Schweizer Territorium, allen voran jene der ‹Ndrangheta, die seit langem in vielen Bereichen der Schweizer Wirtschaft und in allen Sprachregionen Fuss gefasst hat: Restaurants, Hotels, Baugewerbe. Tätig sind sie aber auch in Finanzberatungsfirmen und mittels Briefkastenfirmen, die sich etwa im Kanton Graubünden ausbreiten.

Die anderen italienischen Mafias, die Camorra, die Sacra Corona Unita und die Cosa Nostra, sind ebenfalls in der Schweiz präsent, jedoch in viel geringerem Ausmass als die mächtige kalabrische Organisation.

Wichtiger aber als die Zahl der Mafiosi, die auf Schweizer Territorium präsent sind, ist die Frage nach der sozialen und gesetzgeberischen Natur des Landes.

Soziale und juristische Defizite

Der soziale Aspekt ist von Bedeutung, weil es leicht ist, sich mit Diskretion an Orten niederzulassen, wo es kein Bewusstsein für das Phänomen gibt. Tatsächlich ist die Schweizer Bevölkerung im Allgemeinen wenig oder schlecht über das Thema informiert, ausser wenn eine gross angelegte Anti-Mafia-Operation stattfindet.

Gesetzgeberisch, weil Artikel 260ter des Schweizerischen Strafgesetzbuches nur von krimineller Organisation spricht, ohne spezifische Nennung der kriminellen Gruppe oder Bande. Der Hauptschwachpunkt dieser Bestimmung aber ist die Strafe: maximal fünf Jahre Gefängnis für ein mafiöses Vergehen. Es ist eine lächerliche Strafe, verglichen etwa mit der lebenslangen Haft, die in Italien riskiert wird.

Bereits im Januar 2014 hatte die Geschäftsprüfungskommission des Ständerats eine Initiative vorgelegt, die eine Revision dieses Artikels forderte. Sie war der Ansicht, dass «entgegen der ursprünglichen Absicht der Artikel in seiner jetzigen Fassung nicht ausreicht, um wirklich gefährliche Mafiaorganisationen erfolgreich zu verfolgen».

Die Rechtsprechung entwickelt sich

Bis heute ist das Gesetz trotz der Appelle vieler schweizerischer und italienischer Spezialisten noch nicht geändert worden. Vor allem italienische Experten werfen den anderen Ländern Europas vor, in Sachen Mafia eine gewisse juristische Laxheit an den Tag zu legen.

In der Praxis hat sich die Situation in der Schweiz jedoch seit einem Urteil des Bundesstrafgerichts aus dem Jahr 2017 weiterentwickelt. Damals hatten die Richter die ‹Ndrangheta als kriminelle Organisation eingestuft.

Das Bundesgericht hat auch zweimal bestätigt, dass bestimmte Verhaltensweisen eindeutig als Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung gewertet werden müssen. So etwas die Besetzung einer hierarchischen Position in der Organisation, die Herstellung von Kontakten und die Förderung von Treffen zwischen Mitgliedern, aber auch die Beteiligung an kriminellen Handlungen, die zu den Interessen und Zielen der Muttergesellschaft beitragen.

Auf der Grundlage dieser Auslegung sollte das Vorliegen einer konkreten Straftat nicht mehr, wie bisher, eine conditio sine qua non für eine Verurteilung sein.

Es bleibt aber noch einiges zu tun, bis die Schweiz von der Mafia nicht mehr als Oase der Ruhe wahrgenommen wird.

Dieser Beitrag ist zuerst auf swissinfo.ch erschienen. Swissinfo ist der internationale Service der SRG und erfüllt einen Informationsauftrag des Bundes fürs Ausland.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

keine.

War dieser Artikel nützlich?
Ja:
Nein:


Infosperber gibt es nur dank unbezahlter Arbeit und Spenden.
Spenden kann man bei den Steuern in Abzug bringen.

Direkt mit Twint oder Bank-App



Spenden


Die Redaktion schliesst den Meinungsaustausch automatisch nach drei Tagen oder hat ihn für diesen Artikel gar nicht ermöglicht.

4 Meinungen

  • am 10.08.2020 um 12:51 Uhr
    Permalink

    Die Schweiz als Oase der Ruhe für die Mafia, na ja, ich denke aufgrund meiner Erfahrungen ist die Schweiz eine Drehscheibe des internationalen Verbrechens d.h. insbesondere die Finanzwelt und das nutzen kriminelle Organisationen. Die Strafen in der Schweiz sind für solche Verbrechen in der Finanzwelt milde, wenn nicht lächerlich. Ich erlaube mir zu sagen, dass aufgrund meinen Erfahrungen die Staatsanwaltschaften nicht nur unterbesetzt in Sachen fähigen Personen sind, sondern viele Inkompetenz insbesondere in Finanzfragen in Bezug auf kriminelle Organisation vorliegt. Letztlich verfolgen die Staatsanwaltschaften sehr gerne politische Ziele. Dies gilt leider auch für die Strafrichter. Die Beweise und Details hierzu erkläre ich auf der Webseite der US Starjournalistin Lucy Komisar

    https://www.thekomisarscoop.com/2020/07/was-there-a-conspiracy-by-the-swiss-courts-and-attorney-generals-office/

    Es braucht eine grundsätzliche Reform der Strafjustiz solange die Frage offen steht: «Unterwirft sich der Richter/Staatsanwaltschaft dem Gesetz oder unterwirft sich der Richter/Staatsanwaltschaft das Gesetz? Von den Hütern der Verfassung und Gesetz zu den Verhütern. Darum nutzen kriminelle Organisationen die Schweiz, weil sie in der Schweiz guten Schutz finden!

  • am 10.08.2020 um 15:42 Uhr
    Permalink

    Wenn Ausländer-Kriminalität zum Tabu-Thema wird, lassen sich die einschlägigen Kreise das nicht 2 mal sagen, und die Mafia geniesst ohnehin den Schutz der «Personen-Freizügigkeit», und wenn das alles nicht helfen sollte, haben wir immer noch eine grosszügige Asyl-Praxis.

  • am 10.08.2020 um 22:38 Uhr
    Permalink

    Ein weiterer Beweis wie abhängig der Schweizer Rechtsstaat und seine Akteuere von Kapitaklgewaltigen sind.
    Gerade diese Ausländer werden von den Machteliten in der SVP u. FDP herzlich willkommen geheissen u. geschützt.
    Aber wer will es ihnen verdenken, dass diese sich für die reichlichen Gebühren bei der Vermögenswaltung Rechtsstaat, Demokratie und sich hier im aussersexuellen sinn, Preis geben; lat prostituere.
    Der Libertäre Kapitalismus ist alternativlos u. Moral der Teufel.

  • am 16.08.2020 um 16:57 Uhr
    Permalink

    Ich habe vor Jahren diese Dokumentation gefunden. Ich war bestürzt einen Nachbarn von mir darin zu finden. Es gibt in Italien nicht nur die Mafia im Süden. Vielmehr auch in Norditalien. Beispielsweise in der Gegend von Turin. Ich habe einfach verfolgen können, dass dieser Mann von Gold und Edelsteinen über Finanzen bis zu Kunst (Galerie) aktiv war/ist. Diese Aktivitäten reichen bis nach London. Sie sollten mein Mail nicht veröffentlichen. Wichtig ist es mir dies irgendwo zu deponieren und vielleicht interessiert sich jemand dafür. Den Link der pdf sende ich ihnen mit. http://studimonetari.org/laconnessionesvizzera.pdf Ich bin überzeugt, dass es heute nicht besser ist. Es ist erstaunlich wieviel Flugzeuge Agno anfliegen. Ein Flughafen wo der Flugbetriebe eingestellt wurde. Irgendetwas gemauschelt wurde ohne Abstimmung. Wer kontrolliert diese Grenze der Reichen mit ihren Privatanflügen. Was auch aufgekommen ist https://www.casaforte.ch/it Ideal und keiner weiss was da ist. Besten Dank für ihre Aufmerksamkeit. Beste Grüsse V.S.

Comments are closed.

Ihre Meinung

Lade Eingabefeld...