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Die Lobbyisten von «Afriforum» fühlen sich diskriminiert. Südafrika erlebe «Völkermord an Weissen». © wikimedia

Leak: Extreme Rechte kämpft um europäischen Menschenrechtspreis

Tobias Tscherrig /  Die extreme Rechte will einen anerkannten Preis gewinnen, setzt dabei auf die Mär vom weissen Genozid und verdreht die Apartheid.

Es ist eines der meistgebrauchten Narrative der extremen rechten Bewegung: Die weisse Bevölkerung wird aufgrund ihrer Rasse benachteiligt, kämpft ums Überleben und wird durch Völkermorde dahingerafft. Eine vielversprechende Theorie für die Ultra-Rechten, die damit zum Kampf und Widerstand aufrufen, die Opferkarte ausspielen, Wahlkampf betreiben und rassistische Ressentiments bedienen.

Obwohl die Theorie jeglicher Grundlage entbehrt, hat die extreme Rechte ihr Lobbying intensiviert. Auf dem Rücken der Umverteilungspolitik in Südafrika behauptet sie den «Genozid an Weissen» und findet dabei – zum Beispiel in der Person von Donald Trump und rechtspopulistischen europäischen Politikern – dankbare Unterstützer. Eine groteske Situation: Die Afrikaaner-Lobby trägt ihre Anliegen in die Welt, Politiker anderer Länder peppen damit ihren Wahlkampf auf.

Mandela-Preis für Apartheid-Verharmloser?
Der neuste Coup der Rassisten ist ein Angriff auf den «Sacharow-Preis» des Europäischen Parlaments. Dieser EU-Menschenrechtspreis wird seit 1988 an Persönlichkeiten oder Organisationen verliehen, die einen herausragenden Beitrag zum Kampf für die Menschenrechte und die Meinungsfreiheit geleistet haben. Der Preis ist nach dem Friedensnobelpreisträger Andrei Sacharow benannt und mit 50’000 Euro dotiert.

Die offizielle Präsentation der diesjährigen Kandidaten ist zwar erst für den 27. September angesetzt, das französische Onlineportal «mediapart» erhielt die Liste aber im Voraus zugespielt. Eine brisante Liste, die mit «Afriforum» eine umstrittene Organisation enthält, die sich der Verteidigung der weissen Minderheit in Südafrika verschrieben hat.

«Afriforum» wurde von «Europa der Nationen und der Freiheit (ENF)», einer Fraktion im europäischen Parlament, als Kandidat für den Preis nominiert. Mit 35 Mitgliedern ist die Fraktion zwar klein, gilt dafür aber als rechtspopulistisch bis rechtsextrem. Neben Mitgliedern von Marine Le Pens «Rassemblement National (RN)» beteiligt sich die «Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ)», die italienische «Lega Nord» und die niederländische «Partij voor de Vrijheid (PVV)». Dazu kommen rechtsextreme oder rechtspopulistische Parteien aus Deutschland, Polen, Rumänien und aus dem Vereinigten Königreich. Der Grossteil der Fraktionsmitglieder gehört zudem der Europapartei «Bewegung für ein Europa der Nationen und der Freiheit» an, die weitere ultra-rechte Politiker aus vielen Teilen Europas eint.

Dieses Bündnis von Rechtspopulisten und Rechtsextremen will mit «Afriforum» einem umstrittenen Lobbyverein zur Ehre verhelfen, der von Weissen finanziert wird, sich hauptsächlich um die Belange der weissen Minderheit in Südafrika kümmert und in der Vergangenheit mehrmals mit kruden Aussagen zur Apartheid aufgefallen ist. Vorgeschlagen ausgerechnet für den «Sacharow-Preis», dessen erster Preisträger Nelson Mandela war.

Segeln unter falscher Flagge
Der Lobbyverein «Afriforum» bezeichnet sich selber als Menschenrechts- und Bürgerrechtsorganisation, die «die Rechte von Minderheiten schützt, unter besonderer Berücksichtigung der Rechte von Afrikaanern». Eine Darstellung, die nur der Hälfte der Wahrheit entspricht und die von vielen Medien unkritisch übernommen wird.

Kallie Kriel, der Vorsitzende von «Afriforum», war zuvor Mitglied der «Konservativen Partei» von Südafrika, die sich im Nachgang der Apartheid gegen Reformen ausgesprochen hatte. Als das damalige südafrikanische Dreikammerparlament mit überwältigender Mehrheit das Separationsgesetz von 1953 aufhob, kamen die einzigen Gegenstimmen aus der Fraktion der «Konservativen Partei», die darin eine «Zerstörung weissen Rechts auf Selbstbestimmung» sahen.

Als 1994 die ersten «multirassischen» Wahlen stattfanden, trat die «Konservative Partei» aus Protest nicht an. Zudem hatte die Partei den Mord an einem kommunistischen südafrikanischen Politiker in Auftrag gegeben. Kriel war aber auch Führer bei der Jugendorganisation von «Freiheitsfront Plus» (FF+), einer betont konservativen südafrikanischen Partei, die die Rechte der Buren vertritt.

Kriel war es auch, der im Mai 2018 heftige Kontroversen auslöste, als er leugnete, dass die Apartheid ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit sei. Bis zu dieser Aussage hatte «Afriforum» die Apartheid als so genannte «historische Ungerechtigkeit» bezeichnet.

Auch der stellvertretende Vorsitzende von «Afriforum», Ernst Roets, nimmt kein Blatt vor den Mund. Als er von einem Professor kritisiert wurde, sagte er, er würde «alle Intellektuellen aufhängen lassen, die Professoren drei Fuss höher als den Rest. Sie würden an den Laternenpfählen hängen bleiben, solange dies mit der Hygiene vereinbar ist». Auch Roets verharmloste die Apartheid indem er sagte, sie sei ein «wohliges Konzept» gewesen.

Die Jugendorganisation des «Afrikanischen Nationalkongresses» (ANCYL) bezeichnet «Afriforum» als «Verteidiger des weissen Privilegs». Der Journalist Max du Preez beschreibt die Positionen der Organisation als «reaktionäre Identitätspolitik» und sagt, dass Afrikaner, die «Afriforum» kritisierten, «aggressiv verteufelt, beleidigt, heruntergemacht und sogar bedroht» werden. Und Adam Habib, Rektor der Witwatersrand-Universität verortet bei «Afriforum» Verbindungen zu «proto-faschistischen Gruppen», wie etwa dem französischen RN und der deutschen «Alternative für Deutschland» (AfD).

Diese Hintergründe zeigen, wie «Afriforum» arbeitet: Unter dem Deckmantel von Menschenrechten, Minderheitenschutz und Toleranz kämpft die Organisation für die Belange der weissen, «gefährdeten» und «unterprivilegierten» Farmer von Südafrika.

Konstruierter Völkermord im Kampf um Böden

Der französische RN-Politiker und Co-Präsident der ENL-Fraktion Nicolas Bay bestätigt gegenüber «mediapart» die Nomination von «Afriforum»: «Die südafrikanischen Landwirte sind immer wieder Opfer von Attentaten und Enteignungen, und es erscheint uns logisch, uns auf diese Situation zu konzentrieren, da es viele schwere Verletzungen der Grundfreiheiten gibt.» Eine RN-Vertreterin gelangte sogar mit einer formellen Frage an Federica Mogherini, der italienischen Kommissarin für EU-Diplomatie. Sie forderte Mogherini auf, Druck auf die südafrikanische Regierung auszuüben, ihre «diskriminierende Politik» zu beenden.

Es ist kein Zufall, dass die rechtsextremen Interessensgruppen ihre Lobby-Bemühungen intensivieren. Cyril Ramaphosa, neuer Präsident der Republik Südafrika und Vorsitzender vom «Afrikanischen Nationalkongress» (ANC) kündigte im Sommer an, Enteignungen von brach liegenden Böden zuzulassen, ohne den früheren Besitzern Entschädigungen zu bezahlen. Damit will Ramaphosa das Erbe der Kolonialzeit und der Apartheid loswerden: Offiziellen Angaben zufolge besitzen noch immer die acht Prozent weisse Bürger Südafrikas etwa 72 Prozent des gesamten Anbaulandes. Ausserdem sitzt dem Präsidenten die erstarkende linksradikale Partei «Economic Freedom Fighters» (EFF) im Nacken, die am liebsten sämtliche weissen Farmer enteignen würde. Ramaphosas Kompromiss ist auch als wahltaktisches Manöver zu verstehen.

Gegen diese Bestrebungen laufen «Afriforum» und andere rechte Organisationen Sturm. Deswegen argumentieren sie mit den Morden, die in regelmässigen Abständen an weissen Farmern begangen werden – und konstruieren daraus Völkermord. Dabei gingen die Morde an Farmern gemäss einer Umfrage des südafrikanischen Landwirtschaftsverbandes «AgriSA» im Zeitraum zwischen 2017 und 2018 auf 47 zurück.

Unterstützung aus dem Ausland

Obwohl das Argument des Völkermords an weissen Bauern und deren systematische Benachteiligung offensichtlich falsch ist, forderte US-Präsident Donald Trump im August seinen Aussenminister Mike Pompeo per Tweet auf, «die gross angelegte Landnahme, Enteignung und Ermordung von Bauern in Südafrika genau zu überwachen». Und das, obwohl Ramaphosa angekündigt hatte, es werde keine grossen Enteignungswellen geben. Die Regierung richte ihr Hauptaugenmerk auf nicht genutztes Land in staatlichem Besitz. Zudem dürfe die Landreform weder der Wirtschaft schaden noch die landwirtschaftliche Produktion drosseln oder die Nahrungsmittelsicherheit gefährden. Die südafrikanische Regierung verurteilte den Tweet von Trump umgehend und erklärte, der US-Präsident sei falsch informiert.

Diese Botschaft des Präsidenten ist das Ergebnis der intensiven Lobbyarbeit von «Afriforum», das mit seinen Ansichten und Forderungen durch die USA, Europa und Australien tourte und so versucht, die südafrikanische Regierung unter Druck zu setzen. Auch Peter Dutton, Innenminister von Australien, griff das Thema auf. Er wollte weissen Farmern aus Südafrika humanitäre Visa ausstellen, denn sie bräuchten Unterstützung «von einem zivilisierten Land wie dem unseren».

Für viele Südafrikaner war die Entscheidung von «Afriforum», mit der Angelegenheit an die US-Regierung zu treten und damit auch ausländische Investoren zu warnen, empörend genug. Die Entscheidung, John Bolton und Ted Cruz zu treffen, war für viele eine Bestätigung dafür, dass die Gruppe ein Sprachrohr für rassistische Afrikaaner ist.

Populismus statt Lösungen
Nun sind die rechtspopulistischen und rechtsextremen Europa-Parteien auf den Zug aufgesprungen. Sie konnten gar nicht anders. Der angebliche «Genozid an Weissen» in Südafrika passt zu gut ins eigene Parteiprogramm, zu gut zu den eigenen Überzeugungen.

Dabei begräbt die reisserische und rassistische Propaganda die wichtigsten Fragen: Südafrikas Landwirte – egal ob schwarz oder weiss – sind mit umgerechnet rund 12.5 Milliarden Franken bei den Banken verschuldet, wobei Land und Geräte als Sicherheiten dienen. Was geschieht mit diesen Krediten? Wie soll mit der Dürre umgegangen werden, die alleine in diesem Jahr in der Landwirtschaft mehrere Zehntausend Arbeitsplätze kostete? Wie können neue Investoren nach Südafrika gelockt werden? Wie kann verhindert werden, dass Südafrika – wie etliche schwarzafrikanische Länder – nach dem Ende der Kolonialherrschaft in ein Muster aus Staatsversagen, Korruption und Armut verfällt? Und nicht zuletzt: Wie kann Südafrika die grosse Herausforderung des eigenen Pluralismus meistern und sich endgültig und endlich von jeglichen ethnischen Nationalismen befreien?

Das Gebaren von «Afriforum», von Trump und den europäischen Rechtspopulisten wird dabei nicht helfen. Immerhin haben die letztgenannten kaum eine Chance, die Kandidatur von «Afriforum» für den EU-Menschenrechtspreis erfolgreich abzuschliessen. Aber die Vorgehensweise zeigt, wie Rechtspopulisten und Rechtsextreme Fakten verdrehen und für ihre eigenen Ziele missbrauchen.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

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Eine Meinung zu

  • am 23.09.2018 um 14:05 Uhr
    Permalink

    "Afriforum» wird den Sacharow-Preis ja hoffentlich nicht erhalten. Dass es überhaupt dafür vorgeschlagen wurde, kommt indessen nicht völlig überraschend.
    Francis Fukuyama hat kürzlich in «Foreign Affairs» einen Essay mit Titel «Against identity politics» veröffentlicht.
    https://www.foreignaffairs.com/articles/americas/2018-08-14/against-identity-politics
    Eine Schlüsselaussage daraus: «Perhaps the worst thing about left-wing identity politics is that it has stimulated the rise of right wing identity politics."

    Ich halte die Stilisierung der weissen Farmer als verfolgte Minderheit angesichts der Vorgeschichte für unpassend. Aber Tobias Tscherrig sollte sich doch fragen: Würde er selbst das Argument, es seien im letzten Jahr nur noch 47 Morde verübt worden, gelten lassen, wenn es um eine Geschichte mit umgekehrtem Vorzeichen gehen würde?

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